Unterm Staub der Geschichte surrt "Die Hamletmaschine"

FOTOPROBE: 'DIE HAMLETMASCHINE'
FOTOPROBE: 'DIE HAMLETMASCHINE'APA/HERBERT NEUBAUER
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Im Vestibül des Burgtheaters lädt die junge Regisseurin Christina Tscharyiski den Klassiker von Heiner Müller mutig mit Symbolismus auf.

Der Schauraum, in den Sarah Sassen die winzige Bühne des Vestibüls verwandelt hat, sieht vernachlässigt aus: Links eine Vitrine ohne Objekt, nur ein Zettel weist auf das Fehlende hin, in der Mitte eine grüne Wand. Dort sollte laut Beschilderung ein berühmtes Ophelia-Bild aus London hängen, aber man sieht nur ein ausgefranstes Loch. Rechts eine Säule, auf der Teile einer Rüstung liegen – ein Armschutz, zudem ein Visier wie für einen Fechter. Zwei schwarz gekleidete Herren sind bereits auf der Bühne, der ältere (Ignaz Kirchner) sitzt abgewandt vom Publikum, der junge (Christoph Radakovits) geht nervös herum. Der Ältere wirft die Rüstung hinunter, konfrontiert die Zuseher, beginnt mit dem ersten Satz der ersten der fünf Szenen von der „Hamletmaschine“, dem Familienalbum: „Ich war Hamlet.“ Der Jüngere lacht: „I am Prince Hamlet!“

Ach, all das Vergangene! Heiner Müller hat diesen neun Seiten langen Text 1977 gleichermaßen als Nebenprodukt zu seiner Übersetzung von William Shakespeares „Hamlet“ verfasst, mitten im Kalten Krieg, als damals wohl bedeutendster deutscher Dramatiker, der weit über die Grenzen der DDR geschätzt wurde, zu der er wiederum ein heikles Verhältnis hatte. Besonders auch dieses Dramolett spiegelt die Situation von Intellektuellen in autoritären Regimen wider.

Als Maschine bezeichnet Shakespeares Hamlet im Brief an Ophelia sein Herz. Bei Müller aber offenbaren „machines desirantes“, dem postmodernen „Anti-Ödipus“ von Gilles Deleuze und Félix Guattari entlehnt, vor allem Grausamkeit und Verstörung. Sprachmächtig und anspielungsreich verdunkelt ist der Text Müllers, der zwanzig Jahre nach dessen Tod vom jungen zum beinahe schon vernachlässigten Klassiker geworden ist. Mutig hat ihn Christina Tscharyiski ins Museum gesteckt, verfremdet durch bedrohliche Musik (Kyrre Kvam). Sie inszeniert symbolträchtig – eine Parallelaktion, losgelöst vom Text.


€KEL. Zweimal ersticht der Alte den Jungen mit einem Stift, selbst davor schützt die leichte Rüstung nicht. Zuweilen fallen die beiden bewusst aus der Rolle, wenn sie etwa das Publikum ansprechen. Kirchner spielt effektvoll in Mimik und Gestik, murmelnd, auch laut, Radakovits mit jugendlichem Herzblut. Und Ophelia (Marie-Luise Stockinger) ist ein Enigma. Aus einer Klappe der zentralen Wand rutscht sie auf die Bühne, lässt sich behandeln wie eine Puppe, sie endet schließlich als Objekt, in einem neuen Schaukasten. Einmal schleppt sie schnaufend einen Büffelkopf daher. Hamlet jr. hängt ihn auf. Aus den Nüstern tropft Blut. Ist es der Stier Europas, der hier zur Schau gestellt wird? Kirchner schreibt „Ekel“ an die Wand, mit dem „E“ als Eurozeichen. Am Ende aber, nach Akten der Gewalt und Demontage, räumt er auf, wischt Blut weg.

Müller ist bei dieser erfrischend jungen Interpretation im 21. Jahrhundert gelandet. Das ist gut so. Aber einiges der tragischen Geschichte blieb dabei auch auf der Strecke.

Fakten

Heiner Müller wurde am 9. Jänner 1929 in Eppendorf (Sachsen) geboren, er starb am 30. Dezember 1995 in Berlin. Seine Werke (neben berühmten Dramen wie „Quartett“ oder „Der Auftrag“ auch Lyrik und Prosa) zählen zu den bedeutendsten der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Regisseurin Christina Tscharyiski, 1988 in Wien geboren, studierte Theaterwissenschaft und Soziologie. Erste Inszenierungen: Im Theater in der Josefstadt 2013 („Das Interview“) und im Rabenhof-Theater 2015 („Das Schwert des Ostens“). Seit 2013 arbeitet sie auch am Burgtheater.

Termine im Vestibül: Am 18., 24. und 27. Oktober sowie am 2., 5. und 9. November.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2015)

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