Tanz: Muss man seine Heimat lieben?

The Loose Collective arbeitet demokratisch - das kann dauern.
The Loose Collective arbeitet demokratisch - das kann dauern.Christine Ebenthal
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In "The Music of Sound" sucht die Performancegruppe The Loose Collective Antworten.

Heimat ein vielschichtiger Begriff, romantisch, verkitscht und auch missbraucht. Heimat, das muss kein konkreter Ort sein, Heimat ist nicht immer das Vaterland, und in der Muttersprache muss man nicht beheimatet sein. Doch wann immer von Heimat mit all ihren Komposita, von Heimatfilm über Heimatmuseum bis zur Heimatpflege, die Rede ist, gehen Emotionen hoch. Das er-fuhren auch die Mitglieder der Tanz- und Performancegruppe The Loose Collective, als sie begannen, sich dem Begriff zu nähern. Mit einer Montage aus Text und Musik, Tanz und Bildern, Gesang und Foley-Effekten (imitierte Geräusche) können sie möglicherweise eine Antwort auf die Frage geben, was denn das sei, das Heimatgefühl, und ob wir sie bedingungslos lieben müssen, die Heimat. "The Music of Sound" nennt The Loose Collective die Performance im Tanzquartier.

Wer da gleich einen Filmtitel im Kopf und "Edelweiß" (jüngst von Lady Gaga bei der Oscar-Verleihung 2015 geträllert) im Ohr hat, liegt nicht ganz falsch. Natürlich haben auch alle im lockeren Kollektiv Beheimateten den grasgrünen und rosenroten Film gesehen, doch danach gleich wieder vergessen. Stattdessen haben sie in der Vorbereitungszeit heftig diskutiert. Wo ist unsere Heimat? Warum ist jemand stolz auf sein Geburtsland? Ist Heimatliebe eine Tugend? Wie empfinden wir das nolens volens übernommene Erbe? Motivierend, peinlich, befremdlich oder beschämend?

Immer im falschen Land

Die Antworten gehen nicht immer konform, haben doch die Teilnehmer des Kollektivs ganz unterschiedliche Heimatländer. Gegründet wurde die basisdemokratische Gruppe von Alex Deutinger (A), Alexander Gottfarb (S), Marta Navaridas (ES), Anna Maria Novak (PL). Eine europäische Patchworkgemeinschaft. So einfach ist das dann doch nicht. Marta Navaridas hat zwar einen spanischen Pass, betont aber gern, dass sie Baskin ist. Ein amtliches Dokument kann sie für ihre Heimat nicht vorweisen. Teresa Vittucci verwirrt die Frage, wo sie sich denn beheimatet fühlt. Als Tochter amerikanischer Eltern ist die Tänzerin/Schauspielerin in Wien geboren und aufgewachsen und hat in den USA studiert: "Wo immer ich bin, ich bin im falschen Land."

The Loose Collective
The Loose Collective Christine Ebenthal

Vittucci hat an das Kollektiv angedockt, weil Anna Maria Novak, verheiratet mit Alexander Gottfarb, eben Mutter geworden ist und nicht mittanzt, was sie nicht gehindert hat, mit gewölbtem Leib an den Proben teilzunehmen. Auf der Bühne ist jetzt Vittucci zu sehen. Die Musiker, Guenther Berger (A) und Stephan Sperlich (A) brauchen keinen Ort, sie sind im Reich der Töne und Geräusche zu Hause. Die Österreicherin Hanna Hollmann (A) hat nur ein feines Lächeln als Antwort, ihre Biografie zeigt: Sie ist auf der Bühne zu Hause und in allen Metiers der bildenden Kunst. Im Loose Collective ist sie meist als Bühnen- und Kostümbildnerin tätig, für das aktuelle Stück wird sie zudem Technicolor-Bilder gestalten. So live wie die Töne werden auch die Bilder erzeugt. Hollmann stellt Figuren und Landschaften en miniature zusammen, die die Kamera dann gezoomt auf die Leinwand sendet. Mit den bewegten Körpern, Tönen und Musik, Licht (Roman Streuselberger), Textsamples und Liedern entsteht eine bunte Montage, die zwar keine Ant-worten bereitstellt, doch das Publikum nicht kalt lassen soll. Welche Gefühle diese spezielle Musik des Klangs, der Anspielungen, Klischees und Erinnerungen wecken wird, kann nicht vorausgesagt
werden.

Während des Probenprozesses (die Diskussions- und Einigungsphase ist endlich beendet) werden noch kleine Zettel herumgeschoben, die Tänzerinnen und Performer liegen zweidimensional auf dem Studioboden. Papierchoreografie. Geduldig und ohne Widerspruch. Ein Kollektiv ist schwer auf einen Nenner zu bringen und das vor allem örtlich. Haben die einzelnen Mitglieder doch auch ein Eigenleben, wirken bei anderen Gruppen mit oder beenden gerade eine Ausbildung in Schweden, wie Collective-Member Thomas Kasebacher, der auf dem Foto nicht zu sehen ist und am Gespräch nicht teilnehmen konnte. Das macht nichts, denn wenn es um die Arbeit von The Loose Collective geht, sprechen ohnehin alle mit einer Stimme. Gesittet zwar Demokratie heißt schließlich auch ausreden lassen , aber einmütig und solidarisch.

Demokratie ist kein Schnellimbiss

Demokratisch miteinander zu arbeiten ohne Chef und Untergebene, in einer Gruppe von Künstlern mit unterschiedlichen Talenten, in der jeder gleich wichtig ist und jede Stimme zählt, war die Idee der Gründer. The Loose Collective arbeitet seit 2009 gemeinsam. Die erste Produktion, das futuristische Tanzmusical "Here Comes the Crook" eine Neufassung des Original-Librettos der Musical-Extravaganz "The Black Crook" von 1866, des ersten groß angelegten Broadway-Hits , war nicht nur im Wiener Tanzquartier ein fulminanter Erfolg, auch im Wintertheater von Sochi amüsierte sich das Publikum über die besungene Zukunft, die bereits begonnen hat. Tourneen zu organisieren ist allerdings noch schwieriger als den lockeren Haufen für einen Gesprächstermin einzufangen. Außerdem ist ein demokratischer Prozess auch unter Künstlern kein Schnellimbiss. 16 bis 18 Wochen dauert es, bis ein Projekt bühnenreif ist. Da kann es schon passieren, dass inzwischen ein Kind auf die Welt kommt.

Doch die Freude an der Arbeit lässt alle Zores und Müdigkeit vergessen, das Prinzip des gemeinschaftlichen Arbeitens funktioniert im verflixten siebten Jahr noch. "Es gibt zwei Regeln: Jede Stimme wird gehört, kein Vorschlag wird sofort abgelehnt, alles wird diskutiert, probiert. Später wissen wir oft gar nicht, von wem der Einfall stammt, wir erkennen unsere eigenen Ideen nicht mehr", heißt es im Chor. "Dann kann es passieren, dass wir selbst es sind, die unsere Einfälle wieder verwerfen." Damit kein Chaos entsteht und sich alle wohlfühlen, gibt es das mächtige Instrument des Vetos. "Das ist die zweite Regel, aber
dieses Veto, das jeder vorbringen darf, wird selten eingesetzt, denn es ist gefährlich." Ergänzung aus der Musik-Ecke: "Aber es gibt uns eine unerhörte Freiheit. Wir können alles, auch das Unmögliche, ausprobieren. Das erhöht das kreative Potenzial. Die Grundlage ist doch Respekt vor den anderen und vor der Gruppe." Wie es um den Respekt vor der Chimäre Heimat steht, muss man sich anschauen.

>> Das Kulturmagzin der "Presse" zum Blättern.

Tipp

"The Music of Sound". Die neue Produktion von The Loose Collective: Am 13. und 14.11. im Wiener Tanzquartier. theloosecollective.at

("Kultur Magazin", 16.10.2015)

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