Volx: Ausbrüche aus der Zwangsjacke

(C) Volkstheater/ Ulrike Rindermann
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Stefanie Reinsperger begeistert in Handkes „Selbstbezichtigung“. Dušan David Pařízek inszenierte das Stück als kleine Schöpfungsgeschichte und als Suche nach Selbstfindung.

Ich bin geworden/Ich bin gezeugt worden/Ich bin entstanden . . .“ Seien wir ehrlich, Peter Handkes frühe Litaneien wie „Publikumsbeschimpfung“ oder „Weissagung“ wirken, womöglich unbewegt chorisch wiedergegeben, heute nicht mehr so provokant und originell wie vor 50 Jahren. Im Volx, Dependance des Volkstheaters in Margareten, hat Dušan David Pařízek nun eine Form gefunden, eines dieser frühen Sprachspiele, „Selbstbezichtigung“, lebendig zu machen: Er lässt den Monolog als Geschichte der Protagonistin erzählen – und diese ist grandios. Als Embryo, nackt und bloß, liegt Stefanie Reinsperger zu Beginn der Aufführung auf der Bühne. Sie freut sich auf das Leben, was auch in ihren Kinderfotos offenbar wird, die verschwommen über die Wände flimmern: ein fröhlicher Fratz ist da zu sehen, der – auch das ein Sprachklischee, wie Handke wohl finden würde – mit neugierigen Kinderaugen in die Welt schaut.

Doch sobald Reinsperger das Hemdchen übergestreift hat, nimmt die Zähmung ihren Lauf, und – schon wieder ein Kalauer – sie höret nimmer auf. Reinsperger lässt ihre bisherige schauspielerische Karriere Revue passieren, im Burgtheater und im Volkstheater, wo sie zuletzt als „Nora3“ brillierte. In Handkes Text mischen sich Zitate aus dieser Melange von Ibsen und Elfriede Jelinek, die Noras Weg in die Fabrik verfolgte.

Das Theater ist in Wahrheit kein besonders freier Ort, sondern einer der durchtrainierten Sprech- und Spielmaschinen, die nach der Pfeife eines Regisseurs tanzen. Und außerhalb der Bühne gibt es sowieso nur Verbotsschilder. Aber die Protagonistin hat genug von allen Beschränkungen, ähnlich wie der junge Jusstudent Handke, der aus Staunen und Zorn über die vielen Regeln in den Gesetzbüchern und außerhalb nicht herauskam, nach dem Motto: Alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten. Auch unsereins staunt ja immer wieder, welche Heere von Menschen sich mit dem Aufstellen und Kontrollieren von Regeln beschäftigen. Die Protagonistin rebelliert, aber es kommen leider nur Worthülsen aus ihr heraus: „Ich habe das Kapital korrupt genannt/Ich habe das Gefühl dumpf genannt/Ich habe das Weltbild verzerrt genannt.“

Leben mit und gegen Schuldkomplexe

Schließlich verlässt die tapfere Kämpferin ein Weilchen die ausgetretenen Pfade. Sie besinnt sich ihrer kindlichen Spontaneität – und versucht Anarchie: „Ich bin wortbrüchig geworden/Ich bin unbelehrbar gewesen/Ich bin bei Rotlicht über Kreuzungen gegangen/Ich habe in feuergefährdeten Räumen mit offenem Licht hantiert.“ Vermutlich funktioniert die Befreiung jedoch nur temporär, denn der braune Herrenanzug klebt an der Frau wie eine zweite Haut, und der Schluss ist wieder eher resignativ: „Ich bin nicht gewesen, wie ich hätte sein sollen/Ich bin nicht geworden, was ich hätte werden sollen.“ Freiheit ist ein zentrales Thema in Handkes Werk: „Er war Herr seiner Zeit“, heißt es über „Don Juan“. Aber die Freiheit ist jederzeit bedroht. In „Das Mündel will Vormund sein“ dirigiert der Vormund das rebellische Mündel mit Blicken. „Ich möcht ein solcher werden wie einmal ein anderer gewesen ist“, wünscht sich Handkes „Kaspar“ (Hauser). Kaum ist der Mensch zur Sprache gekommen, die Individualität ermöglichen soll, droht schon wieder die Entindividualisierung, bei „Kaspar“ durch den Einsager.

Durch Reinspergers überschäumendes Spiel und Pařízeks auch humorvolle Inszenierung gelingt es von der Suche nach Selbstfindung zu erzählen, eine kleine Schöpfungsgeschichte, auch vom Dichter selbst. Dass ein Befreiungsschlag möglich ist, entsprach dem Lebensgefühl der 1960er- und 1970er-Jahre, heute ist das nicht mehr so. In den frühen Stücken sind Handkes spätere Roadtrips (der neueste wird ab Februar in der Burg zu sehen sein) bereits enthalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2015)

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