St. Pölten: Childs lässt die Schatten tanzen

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-(c) AFP (JACQUES DEMARTHON)
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Lucinda Childs' minimalistisches Achtzigerjahre-Stück "Available Light" kommt ins Festspielhaus. Ein Stück Tanzgeschichte, exakt und faszinierend wie ein Uhrwerk.

Im Jahr 1983 hat Lucinda Childs mit ihrem Stück „Available Light“ eine Kontroverse ausgelöst. Warum, fragte man sich, wird eine Ausstellungshalle (das Museum of Contemporary Art in Los Angeles) mit einer Tanzperformance eröffnet? Noch dazu mit einem Stück, das keine Geschichte erzählt und sich über weite Strecken aus immer wieder repetierten Bewegungen zusammensetzt? „Das Publikum war an einen solchen Minimalismus nicht gewöhnt. Das war für manche Leute ein bisschen eigenartig“, sagt Choreografin Lucinda Childs lachend im Gespräch mit der „Presse“: „Es stimmt natürlich, dass dieses Stück über weite Strecken aus Wiederholungen besteht, aber dahinter steckt auch viel Überlegung, und deshalb ist es auch nie das Gleiche. Es zwingt die Leute, genau hinzusehen – und ich nehme an, wenn sie das nicht tun, dann sehen sie auch nicht viel.“

Doch noch mehr war – und ist – außergewöhnlich. Bei der Uraufführung konnte Tageslicht von außen in die Halle eindringen, heute verstärken Scheinwerfer den Schwarz-Weiß-Effekt, und wenn sie die Szenerie im zweiten Teil von der Seite beleuchten, haben auch die Schatten der Tänzer ihren eindrucksvollen Auftritt. Bühnenbildner Frank Gehry stellte die Mitwirkenden zunächst auf zwei unabhängige Bühnen, eine davon höher gesetzt als die andere – das Publikum saß auf allen Seiten. Im Theater rücken diese zwei Bühnenebenen zusammen, schieben sich übereinander und geben „Available Light“ auch so eine beeindruckende Räumlichkeit. Die Musik von John Adams steuert über weite Strecken keine Impulse bei, an denen sich die Tänzer orientieren könnten. „Das ist sehr schwierig für sie“, sagt Childs. „Sie zählen mit und sind die ganze Zeit sehr konzentriert – aber so sind ja alle meine Arbeiten.“

Childs hat darunter drei Favoriten – „Available Light“ zählt dazu. Alle drei Lieblingsstücke hat sie mittlerweile wieder aufleben lassen. Zunächst studierte sie, ohne große Erwartungen, „Dance“ aus dem Jahr 1979 neu ein. „Wir dachten, es wäre nett, das wieder zu machen. Und dann war da so eine große Nachfrage – das Stück ist noch immer auf Tour.“ Dann holte sie „Einstein on the Beach“ (1976) zurück auf die Bühne. Zuletzt kam „Available Light“ an die Reihe, „weil es etwas ganz Spezielles für mich und Frank Gehry und John Adams ist“.

Eine gezeichnete Partitur

Die Tänzer, die das Stück heute interpretieren, sind zu jung, um es vor über dreißig Jahren gesehen zu haben. Childs hat es mithilfe ihrer alten Storyboards einstudiert. „Ich habe ihnen nicht die Videos aus dem Jahr 1983 gezeigt, sondern habe meine Partitur von damals verwendet. Da sind zum Beispiel Zeichnungen aus der Vogelperspektive dabei. Ich habe da sehr detailliert grafisch festgehalten, wo welcher Tänzer in der Musik steht, welche Beziehung derjenige zu den anderen hat und welche Bewegungsphasen gemeinsam ausgeführt werden.“

Das Gelingen von „Available Light“ hängt von der Exaktheit der ausgeführten Bewegungen ab. Ständig bilden sich neue Paare und Gruppen, die auf zwei Ebenen verteilt im völligen Gleichklang tanzen. Es sind schlichte Variationen. Die Kunst und die Faszination liegt darin, dass sie millimetergenau arbeiten wie ein Uhrwerk. Wenn das gelingt, entsteht eine dichte, konzentrierte Atmosphäre, die den Raum nicht nur erfüllt, sondern sogar droht, ihn bersten zu lassen.

„Available Light“: 13. 11., 19.30 Uhr, Festspielhaus

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2015)

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