Thomas Jonigk: "Eine extrem egozentrische Heldin von Zweig"

Thomas Jonigk über Zweigs Roman: „Der Stoff ist aktuell, er passt zu unserem Zeitgefühl.“
Thomas Jonigk über Zweigs Roman: „Der Stoff ist aktuell, er passt zu unserem Zeitgefühl.“(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der deutsche Regisseur Thomas Jonigk inszeniert in Sankt Pölten „Ungeduld des Herzens“. Die Romanfiguren Stefan Zweigs hält er für hochdramatisch.

Die Presse: Sie haben fürs Landestheater Niederösterreich Stefan Zweigs 1938 publizierten Roman dramatisiert. Am 27. November hat Ihre Inszenierung Premiere. Was war Ihr Motiv, dieses Werk zu wählen?

Thomas Jonigk: Für mich war Zweig bereits in meiner Jugend ein wichtiger Autor. Dann habe ich ihn vor einiger Zeit wieder entdeckt. Einige seiner Werke haben gut überlebt. Außerhalb Deutschlands ist er noch immer ein Weltstar, das merkt man auch an der Sekundärliteratur, vor allem in Frankreich. Dort hat er nicht den Touch, billige Unterhaltungsliteratur zu sein – ein Vorwurf, an dem vor allem Thomas Mann mit seiner Kritik Schuld trägt. Zweig wurde in Deutschland schlecht behandelt. Er war ein großer Literat. Der Stoff von „Ungeduld des Herzens“ liegt wieder in der Luft: Wir leben ebenfalls im Mikrokosmos des Privaten, während die Welt um uns ihren unheilvollen Gang geht. In der Zeit, in der dieser Roman spielt, dräute bereits der Erste Weltkrieg. Der Stoff ist aktuell, er passt zu unserem Zeitgefühl. Zugleich schafft Zweig, abgesehen vom historischen Umfeld, eine Atmosphäre absoluter Zeitlosigkeit.

Was ist das Zeitlose an Zweig?

Er verstand es, die Hilflosigkeit des Menschen, sein Geworfensein, das Unvereinbare der Welt im Kleinen in Bezug zu setzen zur Menschenvernichtung im Allgemeinen. Seine Psychologie ist absolut treffend. Die Angst, die das Buch thematisiert, das Gefühl, überrollt zu werden, kennen wir doch heute auch. Denken Sie an die Nahost-Krise und die daraus resultierende Flüchtlingswelle, an den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Eine falsche politische Entscheidung wirkt sich verheerend auf so viele Menschen aus.

Wie sind Sie an die Umsetzung dieser berühmten Prosa herangegangen?

Ich habe große Hochachtung vor Zweig. Dieses Buch ist wirklich stark. Bei manchen Romanen bemerkt man beim Graben, dass sie doch recht dünn sind. Das ist bei „Ungeduld des Herzens“ überhaupt nicht so, er gewinnt durch genaueres Lesen. Die Figuren sind hochdramatisch, viele Dialoge konnte ich direkt übernehmen. Zweig macht es einem Dramatiker geradezu leicht. Zugleich aber hatte ich den Anspruch, frei mit dem Text umzugehen, habe viele Figuren wegfallen lassen und eine sogar dazuerfunden. Das ist nicht Respektlosigkeit gegenüber dem Original, sondern der Versuch, herauszufiltern, was dieses Material für heute bietet, wie man es erzählen kann, ohne den Geist des Romans zu verleugnen. Die neue Figur habe ich für Babett Arens hineingeschrieben, die sehr gerne bei diesem Projekt mitmachen wollte.

Berücksichtigen Sie auch Zweigs Biografie in Ihrer Interpretation? Erst unlängst gab es eine enthüllende Studie aus Wien.

Freilich habe ich Ulrich Weinzierls Buch „Stefan Zweigs brennendes Geheimnis“ gelesen, in dem es unter anderem um verdrängte Homosexualität und Exhibitionismus geht. Ich verzichte auf Bezüge zu Zweigs Biografie und maße mir nicht an, über ihn als Menschen zu urteilen. Er war sehr hilfsbereit, hat viele im Exil unterstützt. Ich muss seine Schattenseiten nicht entlarven.

Ein dominantes Thema im Roman ist Mitleid. Was für eine Rolle spielt das für Sie?

Bei Zweig gibt zwei Formen davon. Die mindere ist eben die Ungeduld des Herzens, die nur dazu dient, im Affekt auf Leid zu reagieren, es aber von sich fern zu halten. Die andere Form ist das schöpferische Mitleid, das sich tatsächlich für den Anderen einsetzt. Im Buch ist es gar nicht vorhanden. Die Figuren darin sind alle erst mal sehr unsympathisch. Das gilt besonders auch für Edith von Kékesfalva, die im Rollstuhl sitzt, und auch für ihren Vater. Er ist vollkommen darauf fixiert, die Tochter zur kompletten Heilung zu bringen. All diese Leute sind stark angreifbar, man erlebt eine Welle von Negativität, nur durch die Selbstentblößung der Figuren kann man ihnen näherkommen und schließlich überraschend viel Sympathie für sie empfinden. An Edith ist ungewöhnlich, dass sie trotz ihrer Opferrolle nicht ein anämisch-leidendes Wesen ist, wie das zu Zweigs Zeiten zu erwarten war, sondern extrem egozentrisch, kontrollierend. Und Anton Hofmiller, der Ulanen-Leutnant, der in eine Verlobung mit ihr einwilligt, macht doch ständig alles falsch.

Sie waren künstlerisch in den Neunzigerjahren in Wien tätig. Am Schauspielhaus wurde bereits 1994 Ihr Stück „Rottweiler“ uraufgeführt. Nun inszenieren Sie in Sankt Pölten. Eine langsame Rückkehr?

Fürs Landestheater Niederösterreich bleibt das „Zweig“-Stück vorerst mein einziges Projekt, es ergab sich, weil ich Intendantin Bettina Hering gut kenne. Sie geht aber bald zu den Salzburger Festspielen. Wien ist für mich noch immer interessant. Im September 2016 gibt es am Theater an der Wien eine Uraufführung für mich als Opern-Librettist. Derzeit habe ich aber vor allem einen Roman fertiggestellt, er heißt „Liebesgeschichte“ und wird im Frühjahr bei Droschl erscheinen.

Wie sind Sie zum Autor und Theatermacher geworden? Wurden Sie gefördert?

Ich komme aus einer kunstfernen Familie ganz im Norden Deutschlands, aus Eckernförde in Schleswig-Holstein. Bei uns zuhause wurden kaum Bücher gelesen, höchstens Illustrierte. Meine Eltern starben auch sehr früh. Ich habe mir aber schon als Kind eingebildet, dass ich Schriftsteller werden wollte, habe mit zehn Detektivgeschichten geschrieben. Ans Theater dachte ich in meiner Jugend überhaupt nicht. Erst mit 19 schrieb ich mein erstes Stück, noch in Versen und Reimen. Das war gar nicht so schlecht, weil ich mich aber in Form eines jungen Mannes, der immer Recht hat, selbst hineingeschrieben habe, wurde es leider nie fertig. Also ging ich nach Berlin und studierte Mediävistik, Literatur und Theaterwissenschaft. Während des Promotionsstipendiums bemerkte ich, dass die Wissenschaft doch nicht ganz meines war und begann, parallel Stücke zu schreiben. So hat das alles begonnen. Ich bin dann sehr schnell im Theater gelandet.

THEATERMACHER AUS DEM NORDEN

Thomas Jonigk (*4. März 1966 in Eckernförde an der Ostsee) ist Schriftsteller, Regisseur, Dramaturg. Seine Dramen wurden seit 1991 vielfach übersetzt und werden weltweit gespielt. Eine erste Sammlung von Stücken („Theater eins“) erschien bei Droschl. Er schreibt auch Libretti, Drehbücher und Romane.

Termine: Uraufführung am 27. November (19.30 Uhr) am Landestheater Niederösterreich, 2., 10., 18. Dezember, 23. (16 Uhr) und 30. Jänner. Am 26. und 27. Jänner 2016 Gastspiel an der Bühne Baden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2015)

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