Ein Rudel „Romeo und Julia“ im Volkstheater

Premiere. Philipp Preuss inszeniert William Shakespeares fantastisches Werk als ein postdramatisches Experiment. Das geht gründlich schief. Verdreifacht muss sich das berühmte Liebespaar in den Tod turnen. Der Rest wird beinah ausgespart.

Wie schafft man es, William Shakespeares „ganz vorzüglicher und höchst beklagenswerter Tragödie von Romeo und Julia“, dieser atemberaubend schnellen, rührenden, witzigen, zarten, ordinären, hochpoetischen und sogar politischen Geschichte einer jungen Liebe der Kinder zweier alter, verfeindeter Familien in Verona schmerzlich viel von dem zu rauben, was sie seit 420 Jahren zum Hit hat werden lassen?

Man lese im Übermaß französische Modephilosophen (und drucke Fragmente davon als Beweis eigener Verwirrung im Programmheft ab), streiche zentrale Figuren wie Romeos Freund Mercutio und seine Gang radikal heraus, mache auch die meisten anderen Personen zu Randfiguren, indem man den komplexen Text (in der erdigen Übersetzung Frank Günthers) erbarmungslos kürzt. Stattdessen stelle man drei Romeos (Thomas Frank, Kaspar Locher, Nils Rovira-Muñoz) und drei Julias (Katharina Klar, Nadine Quittner, Stefanie Reinsperger) simultan oder seriell auf die Bühne und lasse sie einige Schlüsselszenen dreimal in diversen Kombinationen spielen – wie beim Vorsprechen.

Dieser Alter-Ego-Trip des Bregenzer Regisseurs Philipp Preuss ist Voraussetzung dafür, dass „Romeo und Julia“ am Samstag bei der Premiere im Volkstheater zur Kenntlichkeit postdramatischer Eitelkeit entstellt wurde. Weitere modisch-brutale Einfälle garantieren, dass man am Ende im Sinn des Fürsten betrübt behaupten kann: „Kein Leidensweg war schlimmer irgendwo, als der von Romeo und Romeo und Romeo.“

Bipolare Störung: Amme und Lady

Zur Persönlichkeitsspaltung der Titelfiguren in ein bizarres Rudel kommt noch eine Art bipolare Störung: Steffi Krautz muss sowohl die Amme als auch Julias Mutter spielen. Ist sie Erstere, öffnet sie die Augen, und ihr Gesicht wird auf eine transparente vierte Wand an der Rampe projiziert. Ist sie Lady Capulet, setzt sie eine Perücke auf und schließt die Augen: Auf den Lidern sind blaue Pupillen aufgemalt. Ergibt das Sinn? Zumindest weiß man wieder einmal, dass Krautz enorm wandlungsfähig ist. Drei Herren am Rand hingegen sind auf Konvention reduziert. Stefan Suske als Vater Capulet, Rainer Galke als Mönch Lorenzo und Sebastian Klein als Tybalt haben kurze Auftritte, die, weil es hervorragende Schauspieler sind, ahnen lassen, wie man dieses Werk sinnvoll spielen kann.

Eine Aufwertung seiner Rolle erfährt Christoph Rothenbuchner als Graf Paris, der um Julias Hand anhält. Ihr Vater akzeptiert ihn. Paris schmachtet, spendet der Angebeteten, die bald im Brautkleid voll verschleiert erscheint, Blumen, trägt Schnulzen vor. Er schleicht immer irgendwo herum in dem fast leeren, von Ramallah Aubrecht raffiniert einfach gestalteten Bühnenbild. Es besteht vor allem aus dunklen Vorhängen und mehreren Klavieren. Die Pianisten schaffen einen interessanten Klangteppich (Musik: Kornelius Heidebrecht. Stimmung: Vorwiegend düster, ob nun auf der Party der Capulets in andeutungsweise historischen bis punkigen Kostümen mit originellen, riesigen Masken abgetanzt oder die Gruft zum Fluchtpunkt wird. Dort darf sich Paris dann am Ende sogar zu diesem seltsamen Sextett in seiner „Liebe Todesglanz“ dazulegen).

Finales Massensterben in der Gruft

Das finale Massensterben gerät hier jedoch zum Schwank. Unfreiwillig oder zynisch? Wer weiß das schon. Die Damen und Herren, die schon zuvor zu großen Wasserflaschen gegriffen haben, wenn sie geweint, getrotzt oder geblutet haben, übergießen sich am Ende mit roter Flüssigkeit, die Romeos wie auch Paris trinken sie sogar und spucken einander damit an, bis sie von diesem Sprühregen blutüberströmt und nass am Boden liegen. Komik scheint an dieser Stelle jedoch völlig deplaziert, wie vieles mehr in dieser manisch-depressiven Show, die allerlei Spielarten der Liebe dreifach und noch einmal dreifach aufteilt – von sensibler Verliebtheit bis zur lüsternen Handgreiflichkeit. Sechs Personen suchen nicht nur Amore (wie sich am Anfang zeigt, als drei Romeos an der Rampe noch eine abwesende Rosalinde besingen). Doch das Mehr an Gefühlen und Beziehungsgeflecht danach bleibt auf der Strecke. Nur in seltenen Momenten wird die im Liebespaar überbesetzte Inszenierung tatsächlich vielschichtig, vor allem dann, wenn die Darsteller Zeit haben, eine Szene mit längeren Textpassagen tatsächlich zu entwickeln, wenn sie nicht einfach Regieeinfälle exekutieren, sondern das Gesagte kunstvoll umsetzen.

Das Volkstheater sucht den Superstar

Das Gemeine an dieser Aufführung besteht darin, dass die Protagonisten vorgeführt werden, als ginge es um das nächste Topmodel oder als ob das Volkstheater den Superstar suche. Ganz offensichtlich besitzen Thomas Frank und Stephanie Reinsperger, die doch gar nicht dem Klischee von Romeo und Julia entsprechen, wesentlich mehr Ausdrucksmöglichkeiten auch in diesen für sie ungewöhnlichen Rollen als die Übrigen. Sie dürfen zudem noch handgreiflich zur Sache gehen, neben all der verbalen Zärtlichkeit im Liebeswerben. Katharina Klar vermag ihrer Julia auch einige reizvolle, neckische Akzente zu verleihen, die anderen bleiben blass – zum Teil wohl, weil die Regie ihnen diese romantische Spielart mitten im Unartigen vorschreibt. Erschwerend ist auch das Fragmentarische selbst in den wichtigsten Szenen. Nur andeutungsweise erfährt man, was sich beim Fest, auf dem Balkon und in Julias Zimmer abspielt. Nie sind diese Auftritte harmonisch, das Sextett läuft oft Gefahr, asynchron zu sein. Man fällt sich ins Wort und wirkt verstimmt. Nein, das ist nichts für Nachtigallen. Ein Lercherl nur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2016)

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