Akademietheater: Ein mörderisch brutales Verhör

FOTOPROBE: ´DIESE GESCHICHTE VON IHNEN´ IM AKADEMIETHEATER
FOTOPROBE: ´DIESE GESCHICHTE VON IHNEN´ IM AKADEMIETHEATER(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Andrea Breth inszenierte das Drama „Diese Geschichte von Ihnen“ ungeheuer intensiv – Nicholas Ofczarek brilliert, besonders im Finale mit August Diehl.

Die Bühne des Akademietheaters ist dunkel. Mit schwerem Schritt tappt jemand durch den Raum, kurz leuchtet die Hausbar auf. Möbel fallen um, und ein Mensch, wie ein Sack. Bei Licht sieht man: Der massige Kriminal-Obermeister Johnson (Nicholas Ofczarek) wirkt so verheert wie die Szene, durch die er gestolpert ist. Volltrunken steht er im Wohnzimmer, das Bühnenbildner Martin Zehetgruber als eine übertriebene Reminiszenz an die Fünfzigerjahre gestaltet hat. Eine der Dutzenden kitschigen Porzellanfiguren, die am riesigen Wandverbau aufgereiht sind, ist zu Bruch gegangen, doch Johnson hat noch lang nicht genug. Er taumelt zum Barschrank und gießt erneut Whisky ins Glas, fast bis zum Rand, er schmeißt mit Schallplatten, bis seine Frau erwacht, die ihn nun ausforschen will.

Der mutmaßliche Kinderschänder

In der nächsten Stunde, im ersten Akt des Kriminalstücks „Diese Geschichte von Ihnen“, wird Johnson mehr als eine Flasche leeren, während er, fast schon im Morgengrauen, seiner Gattin Maureen (Andrea Clausen) bruchstückhaft erklärt, dass er zuvor im Verhör einen Verdächtigen brutal verprügelt hat, einen mutmaßlichen Kinderschänder. Nun wartet der Polizist auf Nachricht aus dem Krankenhaus, ob das Opfer seines Gewaltexzesses überlebt hat. Wie gebannt starrt er regelmäßig auf das Telefon. Dazwischen demütigt und schlägt er seine Frau, schüttelt sie wie eine Puppe. Auch sie demütigt und schlägt ihn. Man wird Zeuge einer kaputten Ehe. Was ist zuvor passiert?

Der Brite John Hopkins hat mit seinem Debüt-Drama 1968 eine magnetische Mischung aus Thriller und Psychostudie geschaffen. Andrea Breth hat, wie die stark bejubelte Premiere am Donnerstag im Akademietheater zeigte, das auf einer Bühne Mögliche aus diesem Seelendrama herausgeholt – ein Crescendo, mit Ofczarek stets im Mittelpunkt. Er vollbringt eine gewaltige Leistung, auch physisch. Drei Stunden arbeitet er sich mit wachsender Intensität an je einem Partner ab – bis zur Schmerzgrenze.

Allein das Zusehen grenzt an Folter

Teil zwei und drei sind Rückblenden. Erst befragt Roland Koch als kettenrauchender Kommissar den Prügelpolizisten und gerät selbst an Grenzen. Dann sieht man, wie Johnson einen Verdächtigen (August Diehl als Baxter) zum Geständnis zwingen will. Das Finale ist eine Folge von Verdrängung und Gewalt, in der sich zwei Stars zu außerordentlichen Leistungen peitschen. Besser geht es fast nicht. Diehl als mutmaßlicher Täter, der zum Opfer wird, zeigt im Detail mindestens ebenso große Gemeinheit wie Ofczarek. Der reagiert mit der Brutalität eines Versagers. Baxter lässt den frustrierten Polizisten in den Abgrund schauen. All das Grauen, das der in 20 Jahren sehen musste, hat ihn schwer beschädigt. Fast eine Stunde dauert dieser irre Schlagabtausch, der mit bloßer Rhetorik beginnt und mit brechenden Knochen endet. Es grenzt an Folter, zusehen zu müssen.

Vor diesem Furioso verblassen die zwei Bilder zuvor ein wenig, obwohl auch Clausen als verhärmte Gattin und Koch als erfahrener Ermittler äußerst charaktervoll spielen. Im Vergleich zum wilden Ende sind das aber nur Aufwärmrunden, Assistenzeinsätze, ehe man Baxter beim Provozieren und Johnson beim Ausrasten studieren kann. Das Kampftrinken am Anfang im Wohnzimmer ist etwas übertrieben geraten – Ofczarek hat in diesem Metier inzwischen nicht nur Routine entwickelt, sondern auch Manierismen. Völlig überzeugend wirkt das Zusammenspiel im ersten Teil noch nicht, und im zweiten entsteht punktuell der Eindruck, dass es noch Unsicherheiten im Ablauf gibt. Das kann aber vor allem daran liegen, dass der dritte Teil traumwandlerisch gelungen ist.

Für das letzte Bild auf der Polizeistation hat Zehetgruber eine surreale, zeitlose Szene geschaffen. Der Raum für das Verhör ist eine Art Baustelle, auf der Baxter schließlich gegen eine an die Wand gelehnte Gipsplatte geprügelt wird. Auch hier fällt ein Tisch um, fliegen die Stühle. Es ist Endzeit für eine verdammte Seele, in diesem Verlies, dessen Türen nicht mehr in die Freiheit führen.

Nächste Termine für „Diese Geschichte von Ihnen“ im Akademietheater: 31. Jänner, 3., 7., 11., 14., 24. Februar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)

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