Martin Gruber: „Die Angst wird vertrauter“

Martin Gruber.
Martin Gruber.(c) Christine Pichler
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Martin Gruber vom Aktionstheater Ensemble über Gutmenschen und Theater, das die Hosen runterlässt.

Martin Gruber druckst herum. Der Regisseur, der seit 27 Jahren das Aktionstheater Ensemble leitet, behandelt in seiner neuesten Produktion, „Kein Stück über Syrien“, die Flüchtlingskrise – und im Besonderen die Welle der Solidarität, die im Herbst durch die Bevölkerung gegangen ist, als bis zu 10.000 Flüchtlinge pro Tag die österreichischen Grenzen passiert haben. „Man hilft. Schließlich sind wir gut, edel und hilfsbereit und wollen beim größten Event des Jahres dabei sein“, steht im Ankündigungstext zum Stück. War Gruber einer der Edlen und Hilfs-
bereiten? „Ich will nicht, dass es eitel rüberkommt. Ich habe etwas gemacht“, sagt er schließlich abwinkend, was genau er gemacht hat, will er nicht im „Schaufenster“ lesen. „Ich will nicht, dass man glaubt, man muss jetzt helfen. Darum geht es in dem Stück nicht.“

Und er sagt damit indirekt, worum es in seinem Stück schon gehen soll: darum, wie Leute, die den Ankommenden in irgendeiner Weise geholfen haben, darüber sprechen. Und wie jene, die nicht geholfen haben, „mit der Not umgehen, nicht geholfen zu haben“. Da gibt es etwa eine junge Frau, die täglich auf dem Westbahnhof war und bis zu zehn Leute pro Abend in ihrer Wohnung hat übernachten lassen – und trotzdem noch Vorurteile hegt. Eine andere Figur hätte auch gern etwas gemacht, sie fühlt sich aber schon gut dabei, Geschichten vom Helfen zu lauschen. Ein anderer ist mit der ganzen Situation überfordert, ein wiederum anderer genervt.

„Dieses Spannungsfeld interessiert mich“, sagt Gruber. „Weil es letztlich eine schöne Metapher für Tun oder Nicht-Tun ist. Wir stehen ja eigentlich total an. Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. Auch ich bin total überfordert. Ich glaube, das Theater ist eine ganz gute Möglichkeit, damit umzugehen.“ Wie auch bei anderen Produktionen des Aktionstheaters Ensemble begann Gruber damit, seine Darsteller zu befragen: „Haben Sie Flüchtlingen geholfen?“, „Wie haben Sie sich dabei gefühlt?“, „Waren Sie wütend, wenn Flüchtlinge einen Saustall in Ihrer Wohnung gemacht haben?“ Die Antworten verdichtete er zum Stücktext. „Da ist sehr viel Privates drin. Aber um Dokutheater geht es mir nicht. Ich reiße die Dinge total aus dem Kontext. Ich gebe die Dinge, die der eine erlebt hat, manchmal sogar einem anderen. Mir geht es um die Komposition.“

Krise. Ein Stück über das Helfen und Nichthelfen.
Krise. Ein Stück über das Helfen und Nichthelfen.(c) Beigestellt

„Niemand wird geläutert.“ Im Interviewprozess habe Gruber erkannt, dass jene, die Flüchtlingen geholfen haben, oft ein Problem damit haben, es auch zu thematisieren. Gutes zu tun und darüber zu sprechen – das schließe immer auch ein Zurschaustellen der eigenen Hilfsbereitschaft mit ein. „In diesem Moment wird die humanistische Haltung wie ein Schild vor sich hergetragen – was ich auch im Stück mache. Ich provoziere dieses Gutmenschentum bis zum Exzess.“ Eine Jury aus Sprachwissenschaftlern hat „Gutmensch“ zum deutschen Unwort des Jahres gekürt, es diffamiere „Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischen Imperialismus“. Wie ist das passiert, dass jemandem zu helfen plötzlich als negativ gilt? „Ich glaube, es hat etwas mit Abgrenzung, mit Angst zu tun“, sagt Gruber. „Ich bin überfordert. Jetzt versuche ich dem, der hilft, aus dem schlechten Gewissen heraus einen psychischen Schaden zu unterstellen. Um zu entschuldigen, dass ich selbst nichts gemacht habe.“

„Aus diesem Pathologisieren mache ich eine Show“, fügt er hinzu. Er wolle aber nicht werten, dem Zuschauer keine Moralvorstellungen aufdrücken. Vielmehr möchte er das Publikum aus seiner Komfortzone locken, eine Projektionsfläche schaffen, in der es sich selbst erkennen kann – um dann selbst zu entscheiden, wie es das Stück lesen will. „Niemand geht geläutert aus dem Theater. Das ist ein Topfen.“
„Kein Stück über Syrien“ wurde schon im Dezember in Dornbirn uraufgeführt. Für die Wiener Premiere hat das Aktionstheater Ensemble, das von den Feuilletons als „schnelle Eingreiftruppe des Theaters“ beschrieben wird, große Teile geändert – weil sich in der Zwischenzeit so viel getan hätte. Gruber will die Gegenwart kartografieren, „aufs Jetzt reagieren“. Fertig ist ein Stück demnach nie. Oder: „Wenn es fertig ist, dann setzen wir es ab.“

Maske runter, nicht Maske rauf. Die Welt lediglich zu imitieren reicht ihm dabei nicht. „Es gibt einen jiddischen Ausdruck für Schauspieler: Das ist Versteller. Ich versuche aber, auf der Bühne purer zu sein, als wenn ich meine soziale Rolle im Alltag spiele. Es heißt Hose runter, nicht Hose rauf. Maske runter, nicht Maske rauf. Antonin Artaud hatte ein Werk, ,Das Theater und sein Double‘: Da ist die Welt das Double, das Theater ist das Original. Das ist natürlich eine philosophische Provokation.“

Purer sein als die Wirklichkeit – ist das Grubers Anspruch? „Insgeheim ja“, gibt er zu. „Aber das sind zu große Sätze.“ Ein reines Imitieren der Wirklichkeit wäre ihm jedenfalls zu wenig. „Ich mag die Abmachung nicht, dass man so tut, als ob. Dass man etwa sagt: ,Das spielt im Wien der Jahrhundertwende, und wir lassen uns alle darauf ein.‘ Ich gebe zu: Wir sind im Theater. Wo sollen wir denn sonst sein?“ Die vierte Wand, die das Publikum von der Bühne trennt, will er zerstören. „Wir sind ja nicht Künstler, die über euch da unten reden. Das ist Blödsinn. Wir sind in derselben Situation wie alle.“

Und oft genauso unwissend, was die Antworten auf die Fragen betrifft, die das Aktionstheater in seinen Stücken stellt. Martin Gruber will sich mit Dingen auseinandersetzen, die er noch nicht versteht – sei es die Flüchtlingskrise, seien es die Grabenkämpfe in der Gesellschaft, die er in seinem nächsten Stück, „Jeder gegen jeden“, verhandelt (Premiere: am 28.  4. im Bregenzer Festspielhaus). „Aus dem Mut, nichts zu wissen, entsteht die Kraft“, sagt er, den Sprung ins kalte Wasser will er immer wieder wagen.
Wird er leichter? „Eigentlich scheißt man sich immer wieder von vorne an. Aber die Angst wird vertrauter.“

Tipp

„Kein Stück über Syrien“. Von Martin Gruber und dem Aktionstheater Ensemble. Mit
Michaela Bilgeri, Susanne Brandt, Robert Finster, Alexander Meile. Am 9., 11.–13. 2., 20 Uhr, im Werk X – Eldorado (Petersplatz 1, 1010 Wien). aktionstheater.at

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