„Der Sturm“ auf einem Eiland aus Dreck

SCHAUSPIELHAUS GRAZ: 'DER STURM'
SCHAUSPIELHAUS GRAZ: 'DER STURM'SCHAUSPIELHAUS GRAZ/LUPI SPUMA
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Schauspielhaus Graz. Stephan Rottkamp betont in William Shakespeares später Romanze die dunkle Seite der Macht. Die Höflinge sind bloß Staffage, doch Caliban, Ariel und vor allem Prospero dürfen brillieren.

Der Inseltraum bei der Premiere von William Shakespeares Drama „Der Sturm“ am Samstag in Graz dauert wenige Minuten. Noch versperrt der schwarze eiserne Vorhang im Schauspielhaus die Bühne. Davor an der Rampe aber cremt sich eine Frau im Liegestuhl mit Sonnenschutz ein. Sie trägt einen glitzernden Badeanzug sowie anachronistische Gummistiefel, liest ein Taschenbuch: „Sturmhöhe“ von Emily Brontë. Wer kann diese Leserin sein?

Bald erfährt man die Lösung in dieser Inszenierung Stephan Rottkamps. Es wird dunkel, es wird hell, fünf Höflinge in historischen Kostümen (Esther Geremus) und zwei wie Butler gekleidete Lakaien sind aufgetaucht. Die Dame im Glitzer isst Kartoffelchips, fegt Brösel von ihrem Badeanzug. Das hat starke Auswirkungen auf die sieben Figuren neben ihr. Sie bewegen sich wie in heftigem Wind. Sie schüttelt ihr Handtuch – ein Orkan kommt auf, der die anderen durcheinanderwirbelt, mehrmals gegen die Wand drückt. Hier verunglückt ein Schiff samt Besatzung. Die Sonnenbadende ist eigentlich ein Mann: Shakespeares Luftgeist Ariel, der dem vor vielen Jahren aus Mailand vertriebenen, mit seiner Tochter Miranda auf dieser Insel gestrandeten Herzog Prospero zu Diensten ist.

Komödie oder Rachetragödie?

Dieser hatte sich mehr seinen Zauberbüchern als dem Herrschen gewidmet und war in Folge von seinem Bruder Antonio unter Mithilfe König Alonsos von Neapel entmachtet worden. Nun hat das Schicksal diese Herrscher sowie Alonsos Sohn Ferdinand und Bruder Sebastian in die Nähe der Insel geführt. Prospero, der sich inzwischen die Geisterwelt und auch den Wilden Caliban unterworfen hat, nutzt den Zufall und ordnet Ariel an, das königliche Schiff heranzutreiben. „Der Sturm“, 1611, fünf Jahre vor Shakespeares Tod vollendet, wird als Romanze bezeichnet, besteht aber aus dem Stoff, aus dem auch Rachetragödien sind: Es geht um Liebe und Fantasie, um Herrschaft und Einsamkeit. Worauf hat diese Inszenierung den Akzent gesetzt?

Ariels Vorspiel mutet hier wie Slapstick an. Dann aber hebt sich der Vorhang, es offenbart sich die dunkle Seite der Macht: Ausstatter Ralph Zeger hat tonnenweise fette Erde aufgeschichtet, mit Höhlen links und rechts für Abgänge. Nein, diese Insel ist keine Idylle, sondern ein Ort des Schreckens, von dem jeder flüchten will – außer Caliban und Ariel, die bloß ihre Freiheit wollen. Das Bühnenbild ist eine beeindruckende Seelenlandschaft, spielt auf großes Kino an. Hier könnte „Krieg der Sterne“ stattfinden (Prospero ist schwarz gekleidet und hat Kräfte wie Darth Vader). Die Höflinge in Seide irren wie die Helden aus „Der Herr der Ringe“ durch den Dreck. Zur großen Abrechnung ertönt schließlich gar eine Melodie aus Sergio Leones Western „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Das zauberhafte Stück (in der flotten Übersetzung von Werner Buhss) wird in zwei Stunden vor allem auf die Darstellung politischer Perversion verknappt. Lauter potenzielle Mörder, die um Kronen raufen, die Ariel ihnen hinwirft! Die Liebesgeschichte zwischen Ferdinand (Raphael Muff) und Miranda (Tamara Semzov) hingegen ist zur Persiflage einer Seifenoper reduziert. Gelungen sind Clownszenen mit den Lakaien (Pascal Goffin, Benedikt Greiner), der übrige Hof ist Staffage: Gerhard Balluch als schwächlicher König, Fredrik Jan Hofmann blass als dessen intriganter Bruder, Nico Link ähnlich peripher als Herzog Antonio und Franz Solar als braver Kanzler – Karikaturen am Rande.

Drei Frauen in tollen Männerrollen

Im Mittelpunkt stehen hier beeindruckende Frauen in Männerrollen – eine Umkehrung zur Shakespeare-Zeit, als Knaben Frauen spielten. Drei Schauspielerinnen tragen diesen Abend: Sarah Sophia Meyer gibt den leichten Luftgeist Ariel, der Popsongs wie auch romantische Klaviermusik dirigiert und einmal als strafend-erlösender Raubvogel-Engel vom Himmel herabschwebt. Zauberhaft! Stärker noch ist Julia Gräfner als Caliban. Halb nackt und lehmverschmiert robbt oder rollt sie über die Bühne. Sie spricht als Kontrast zur ungeschützten Wildheit die allerschönsten Verse. Die junge Schauspielerin hat sich in wenigen Monaten als absoluter Gewinn für das Ensemble herausgestellt.

Unübertroffen ist aber Burgschauspielerin Barbara Petritsch in ihrer Grazer Gastrolle. Als Prospero vermag sie nicht nur, den Hass des Vertriebenen, seine Angst vor Alter und Kontrollverlust so gallig wie souverän darzustellen, sie zeigt auch das Poetische in aller Vielfalt. Petritsch macht selbst hermetische Verse verständig, selbst wenn sie manchmal bloß murmelt oder raunzt. Sie reißt das Ensemble mit. Sie scheint im Zentrum zu stehen, auch wenn sie von der Szene abwesend ist. In diesem reifen Geisterstück erwecken vor allem diese drei Grenzgänger das Reich der Fantasie zum Leben.

Nächste Termine: 11., 13., 23., 24. Februar um 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2016)

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