Hier klingelt das Gold im Glockenspiel

FOTOPROBE: 'MCTEAGUE - GIER NACH GOLD' IM MUSIKTHEATER LINZ
FOTOPROBE: 'MCTEAGUE - GIER NACH GOLD' IM MUSIKTHEATER LINZAPA/PATRICK PFEIFFER
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Musiktheater Linz. William Bolcoms Oper „McTeague“ über die zerstörerische Gier nach Gold ist erstmals in Europa zu sehen: kein Geniestreich, aber gelungen – ohne moralischen Holzhammer.

Wir ökobewussten Europäer sonnen uns ja längst im Wissen, dass man Geld nicht essen kann. Oder trinken. McTeague jedoch muss es auf die harte Tour lernen. Der minderbemittelt-triebhafte, bärenstarke und zugleich empfindsame zahnärztliche Kurpfuscher ist die Hauptfigur des Romans „McTeague“ (1899), eines dem Naturalismus verpflichteten kalifornischen Zeit- und Sittenbild von Frank Norris. McTeague verliert seine Existenzgrundlage, da ihn sein einstiger Freund Schouler aus Eifersucht und Neid bei der Gesundheitsbehörde verpfeift. Wie einen Fetisch hortet dagegen McTeagues Frau Trina ihren Lotteriegewinn, 5000 Dollar in Gold, an die der Verzweifelte schließlich nur herankommt, indem er sie ermordet. Auf der Flucht spürt ihn Schouler im Death Valley auf; im Kampf um das Gold durchlöchert ein Revolverschuss Schoulers Feldflasche. McTeague tötet auch ihn, doch der Sterbende kann sich noch mit Handschellen an ihn ketten. Der ohnehin schon halb verdurstete McTeague wird nun, an eine Leiche gefesselt, im Niemandsland verschmachten.

1992 in Chicago uraufgeführt

Schon 1924 hat Erich von Stroheim den Roman in extremer Ausführlichkeit und an Originalschauplätzen als Stummfilm inszeniert: „Greed“ soll ursprünglich acht oder neun Stunden gedauert haben, wurde aber vom Studio wegen besserer Vermarktbarkeit für das Kino radikal gekürzt: ein eigener Fall von Gier, dem etwa drei Viertel des Materials unwiederbringlich zum Opfer fielen. Bei der 1992 in Chicago uraufgeführten Opernversion des Stoffes meinten es der 1938 in Seattle geborene Komponist William Bolcom und seine Librettisten, Arnold Weinstein und kein Geringerer als Robert Altman, der damals auch Regie führte, besser mit dem Publikum: Die Handlung ist auf zwei Akte und zweieinhalb Stunden mit Pause komprimiert. Davon, dass das völlig ausreicht, kann man sich nun in Linz überzeugen: Dennis Russell Davies, der „McTeague“ an der Lyric Opera mit Ben Heppner und Catherine Malfitano aus der Taufe gehoben hatte und von jeher als beherzter Anwalt amerikanischer zeitgenössischer Musik gelten darf, holte das Stück als europäische Erstaufführung ins Musiktheater am Volksgarten und erzielte mit einem guten Ensemble und am Pult des stilistisch und klanglich wandlungsfähigen Bruckner-Orchesters einen freundlich beklatschten Erfolg – mit dem Komponisten im Zentrum.

Jedenfalls greifen Handlung, Musik und Inszenierung einander effektiv unter die Arme, wobei dem Bühnenbild Mathias Fischer-Dieskaus die Krone gebührt. Da wird auf der Drehbühne immer wieder ein potemkinsches Westernstädtchen nach dem Zugbrückenprinzip hochgehievt, hinter dessen größter Fassade McTeagues Praxis liegt. Wenn niedergelassen, klappt sich das Ganze weitgehend zusammen und suggeriert eine Felslandschaft: Das besitzt poetische Kraft in seinem Zusammenwirken aus Naturalismus und Abstraktion. Matthias Davids inszeniert in diesem Rahmen Massenszenen wie intime Momente mit gleichbleibend tadelloser Routine. Die Dramaturgie wirkt mehrfach filmisch. So deutet schon der Anfang des Stücks mit einer Vorblende auf das ausweglose Ende hin: Nach einem Fortissimoschlag des Orchesters sehen wir McTeague in der Wüste. Corby Welch wirkt in der heldentenoral fordernden Titelpartie fast zu sympathisch-naiv, beeindruckt aber trotz manch hochgezogener Töne mit Ausdauer, Expression – und geballten Fäusten. Zu einer leisen, aber undurchdringlichen Klangfläche der Streicher schwitzt er gleich zu Beginn unter der riesigen Sonnenscheibe, die wie eine Brutlampe auf ihn herabheizt: In einem frei schwebenden Arioso erblickt er allerdings auch in ihr sofort „a big ball of gold“ – ähnlich wie der monströse Goldzahn, der vor seiner Praxis baumelt, einem Nugget gleicht.

Es klingelt und glitzert

Ja, das Gold! Klischeehaft klingelt und glitzert es stets in Glockenspiel und Celesta, wenn von ihm die Rede ist – und auch MacTeagues Kanarienvogel, ein Leitmotiv des Romans, darf in der Oper mehrfach zwitschern. Die Partitur huldigt einem frisch-fröhlichen Eklektizismus. Auf Schritt und Tritt lassen sich dramaturgische oder konkrete musikalische Vorbilder von Berg über Gershwin bis Britten identifizieren, und nicht immer schneidet Bolcom im Vergleich gut ab – auch wenn er die geschätzten Versatzstücke geschickt arrangiert.

Bei wohlwollender Betrachtung mag das Werk auch den Einwanderer-Schmelztiegel des im Goldrausch groß gewordenen San Francisco abbilden. Das zeigt sich nicht nur in Stilelementen wie Ragtime oder musikalischen Parodien (Trinas deutschstämmige Familie ist grotesk marschbegeistert), sondern auch in zahllosen Anleihen bis hin zu musicalartigen Nummern wie dem Song der heruntergekommenen Trina, die sich ihre „Golden Babies“ unters Nachthemd stopft. Çiğdem Soyarslan, von ihren Anfängen in der Wiener Kammeroper bekannt, gelingt der Wandel vom adretten Töchterchen zur krankhaft geizigen Frau trotz etwas verunklarendem Vibrato nicht übel. Einspringer Michael Wagner verkörpert einen kernigen Schouler, Karen Robertson liefert eine gelungen schräge Charakterstudie als Macapa.

„McTeague“. Noch zehnmal bis 9. 6.; landestheater-linz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2016)

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