Ein alter „Vater“ verschwindet im Labyrinth des Vergessens

Er leidet an Alzheimer: André (Erwin Steinhauer) mit seiner Tochter Anne (Gerti Drassl).
Er leidet an Alzheimer: André (Erwin Steinhauer) mit seiner Tochter Anne (Gerti Drassl).(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Kammerspiele: Alexandra Liedtke inszeniert Florian Zellers Drama subtil und auch beklemmend.

Wie stellt man das allmähliche Verblassen dar, das Gespenst der Senilität? Vor einigen Jahren hat Arno Geiger über seinen an Alzheimer erkrankten Vater ein Buch mit dem treffenden Titel „Der alte König in seinem Exil“ geschrieben. Es geht nicht ohne Rührung. Auch der Pariser Dramatiker Florian Zeller (*1979) hat sich dieses derzeit in Film und Literatur gängigen Sujets angenommen. Sein Stück „Vater“ wurde 2014 mit dem Prix Molière ausgezeichnet.

Am Donnerstag hatte es an den Kammerspielen der Josefstadt Premiere, in der Übersetzung von Annette und Paul Bäcker. Man könnte diesen von Alexandra Liedtke inszenierten „Vater“ auch „Der alte Mann in seinem Labyrinth“ nennen. Beklemmende Verwirrung vermittelt sich vielschichtig in dieser betroffen machenden Aufführung. Allein schon das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt ist raffiniert: Eine Wohnung mit Wänden aus leicht gerilltem Plexiglas, hinter denen man nur Schatten erkennt, vorn zwei Räume mit fast identischem Mobiliar (moderne Sessel und Tische) sowie eine versenkbare Wand aus Plexiglas an der Rampe, die als Videowand dient und zuweilen eine Figur für eine kurze Reflexion von der Wohnung ausschließt. In dieser scheinbar transparenten Flexibilität, in der auch die meisten Personen austauschbar werden, findet sich der Kranke bald nicht mehr zurecht. Ja, dieser von Erwin Steinhauer in 90 Minuten intensiv gespielte Vater nimmt die Zuseher auf seiner Irrfahrt tatsächlich mit – ein Abend der Einfühlung. Die Regie ist klugerweise sparsam mit Ironie, arbeitet jedoch am Ende mit etwas zu viel Symbolismus: Da werden in Schaukästen Erinnerungsstücke präsentiert – die alte Armbanduhr, ein Kinderanzug, ein Fotoalbum – wie Restposten an Sentiment.

Was aber passiert zuvor mit diesem Vater namens André? Er hat offenbar eine Pflegerin verbal und körperlich attackiert, weil er sie des Diebstahls verdächtigte. Seine Uhr ist weg! Die Pflegerin ist weg! Nun kommt Anne, seine Tochter (Gerti Drassl), um das Geschehene in einem Gespräch zu klären. André hat bereits die dritte Pflegerin vertrieben. Er weigert sich, Hilfe anzunehmen. Anne, die ihm seine Uhr finden hilft (er hat bloß vergessen, wo er sie versteckt hat), macht ihn erst schonend, dann dringend darauf gefasst, dass sie wegziehen werde aus Paris, nach London, dass der Vater also fremde Hilfe brauche.

Es wird dunkel. Nächste Szene: Die Möbel sind leicht verändert. Eine andere Frau (Therese Lohner) spielt nun Anne. Horror – nicht nur für André, sondern auch für die Zuseher ist sie also fremd, so wie sich in der Folge ihre Männer (Oliver Huether, Martin Niedermair) abwechseln. Die mutmaßen, dass André nur simuliert, schließlich aber verwechselt er alle und alles, die Wohnung der Tochter mit der eigenen und dem Heim, die neue Pflegerin (Eva Mayer) mit der toten zweiten Tochter. Steinhauer spielt eine beeindruckende Skala der Gefühle vor, Drassl ergänzt ihn ideal in Schattierungen des Leids. Der Vater herrscht, schmeichelt, bettelt, droht, ängstigt sich, klagt an. Am Ende wird er zum Kind, das nach der Mutter ruft. Den winzigen Anzug umarmend, verkriecht er sich in der Vitrine.

Nächste Termine: 16., 17., 22., 27. und 28. Februar, 20 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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