Oper in Paris: Die Petibon adelt den jugendlichen Mozart

Die Stimme Myrtò Papatanasius' als Xiphares schmiegt sich jener von Patricia Petibon (Aspasia) schmeichelweich an.
Die Stimme Myrtò Papatanasius' als Xiphares schmiegt sich jener von Patricia Petibon (Aspasia) schmeichelweich an.(c) Théâtre des Champs-Élysées
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„Mitridate, re di Ponto“ fordert den Hauptdarstellern aberwitzige Kehlkopfakrobatik ab. Wie das im besten Fall klingt, demonstriert Patricia Petibon im Théâtre des Champs-Élysées; und auch Nachwuchs in dieser Kunst ist dort zu hören.

Die Zeiten waren freilich andere: Eine Opernaufführung in der Ära des musikalischen Spätbarock – der anno 1770 noch lange nicht überwunden war – gehorchte anderen Gesetzen als das Musiktheater des angehenden 21. Jahrhunderts. Dessen wird man bei den verzweifelten Versuchen gewahr, musikalische Meisterwerke von Händel oder frühe Geniestreiche Mozarts zu neuem Bühnenleben zu erwecken.

Wenn der Regisseur nicht ungebührliche Bewegungsorgien veranstaltet, geschieht während der endlos langen Bravourarien in der Regel nichts. Während der musikalisch weniger ausgiebigen Rezitative muss das Publikum mitlesen, um den Faden nicht zu verlieren und zu ergründen, warum in der folgenden Nummer geklagt, gejubelt oder gezürnt wird.

Mit dem psychologisch fein gestalteten Musiktheater, das Mozart mit seinen Reifewerken auf den Weg bringen wird, haben frühe Versuche wie „Mitridate“, vom 14-Jährigen für Mailand komponiert, wenig zu tun. Sie spiegeln vielmehr, welch ungeheures Talent in dem kindlichen Meister schlummerte und wie sicher er aus den Vorlagen der besten älteren Zeitgenossen Kapital zu schlagen wusste. So alle zwanzig Minuten blitzt dann ein Gedanke auf, der die Menschen jener Zeit staunen machen musste; und uns heute noch die Frühreife dieses Komponisten bewundern lässt.

Post-zivilisatorische Desperados

Dergleichen ist nicht leicht zu einem konsistenten Theaterabend zu formen. Doch ist es Clément Hervieu-Léger (von der Comédie Française) gelungen, ein immerhin ästhetisches Spiel im Spiel zu entwickeln, das aus der Atmosphäre in einem offenbar abbruchreifen ehemaligen Theater (Caroline de Vivaise) herauswächst: Ein paar post-zivilisatorische Desperados finden das Libretto von „Mitridate“ und spielen es nach. Irgendwann wird aus dem ungelenken Versuch dann Theater-Ernst.

So zwischen den Stühlen saßen ja wohl auch Mozarts einstige Interpreten, denen es vor allem darum zu tun war, ihre Koloratur-Virtuosität zu demonstrieren. Wenn dann noch ein wenig Emotion und Dramatik übrig blieb, war der Opernabend schon gerettet.

Freilich: Die Kehlkopfakrobatik der damaligen Primadonnen und Primi uomini muss exorbitant gewesen sein. Sonst hätte Mozart seinen Protagonisten nicht dermaßen halsbrecherische Aufgaben gestellt, die Soprane, Kastratenstimmen und Tenöre jeweils über zwei und mehr Oktaven in allen Lagen zu aberwitzigen Volten zwingt.

Wie das im besten Fall gewirkt haben kann, demonstriert im Pariser Théâtre des Champs-Élysées Patricia Petibon, die auch noch die vertracktesten Staccati bombensicher absolviert und ihrer Stimme, je nach Stimmungsgehalt des Textes, in den melodischen Bögen alle koloristischen Nuancen abzutrotzen weiß, die es braucht, um Triumph, Angst, Liebessehnen und was dergleichen Aufregendes in der Oper noch verlangt wird, zum Schwingen zu bringen.

Da ist eine Wandlungsfähigkeit im Spiel, über die in unserem Äon wohl nur noch die besten Sopranistinnen gebieten. Sabine Devieilhe lässt in der Rolle der Ismene ahnen, dass solche vokale Kunstfertigkeit auch „nachwächst“: Der Sopran der blutjungen Französin verfügt trotz aller Koloraturgewandtheit bereits über eine wohlig gerundete Mittellage und Tiefe: Man darf auf kommende Engagements gespannt sein.

Auch Myrtò Papatanasiu in der Hosenrolle des „guten Königssohns“ Xiphares vollbringt ein Kunststück: Im einzigen Duett der Oper schmiegt sich ihre Stimme jener der umschwärmten Königin Aspasia der Patricia Petibon schmeichelweich an. Nur in der höchsten Höhe muss der Melomane in diesem Fall ein paar kleine Abstriche machen. Im Übrigen herrscht bei allen Damen dieser Besetzung eitel Wohlklang.

Mozart verlangt viel von Mitridate

Dem bösen Buben Pharnace verleiht der Countertenor Christophe Dumaux die rechten sinistren Töne: Bemerkenswert auch bei ihm die technische Beherrschung der Stimme, die keine Mühe mit dem heiklen Wechsel vom Kopf- ins männliche Brustregister hat. Diese Tugend braucht auch der Titelheld, den Mozart besonders reich mit Demonstrationsmaterial versorgt: Den Ansprüchen, die denen an die Primadonna in nichts nachstehen, ist wohl kein Tenor der Welt heutzutage in jener Souveränität gewachsen, über die eine Petibon verfügt. Doch darf man Michael Spyres bescheinigen, ohne Furcht und Tadel auch im Register um das hohe C herum aktiv zu werden – und jedenfalls die herrscherlichen Attribute wie Kraft und Entscheidungsgewalt entsprechend eindrucksvoll in Töne umzusetzen.

Seine Nachdrücklichkeit hat viel mit dem ungestümen Gestus zu tun, den Emmanuelle Haim aus ihrem Originalklang-Ensemble Le Concert d'Astrée holt. Da sind auch manche feine Klangvaleurs zu vernehmen; aber doch auch die Frage zu stellen, ob man zu Mozarts Zeiten in einem so großen Haus – das Pariser Théâtre des Champs-Élysées fasst immerhin mehr Zuschauer als etwa die Wiener Staatsoper – mit einer so minimalen Streicherbesetzung das Auslangen gefunden hätte. Zur Akkommodation braucht das Ohr des Zuhörers jedenfalls Zeit, die es angesichts der notorischen Opera-Seria-Längen ja zur Verfügung hat. Die Reise von Genieblitz zu Genieblitz versüßen immerhin etliche vokale Glanzpunkte.

Als Livestream via Arte Concert ist die letzte Reprise dieser Aufführung am 20. Februar zu erleben. Im Haus davor noch am 14., 16. und 18. www.theatrechampselysees.fr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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