Unterwegs mit Peymann und Handke auf der Weltlandstraße

INTERVIEW: SCHRIFTSTELLER PETER HANDKE
INTERVIEW: SCHRIFTSTELLER PETER HANDKEAPA/BARBARA GINDL
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Altgriechisch und Van Morrison: Des Dichters Universum.

„Ich erkläre euch den Krieg, ihr Unschuldigen. Ich sage euch den Kampf an. Oder ich leiste euch zumindest Widerstand. Aber wie gegen euch Krieg führen? Wie mit euch kämpfen? Wie euch unwiderstehlich Unschuldigen widerstehen?“ Peter Handke reitet wieder. Schon der Titel seines neuen Stückes ist eine Herausforderung: „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“. Titel von Handke-Stücken müssen sickern, mit der Zeit haken sie sich wie Sprichwörter im Gedächtnis fest: „Die Unvernünftigen sterben aus“, „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“, „Die Fahrt im Einbaum“.


Waffen des Geistes. Wie lebt jemand, der nicht Auto fährt, nicht ins Büro geht, kaum Medien konsumiert? Er befindet sich außerhalb – und so ist auch seine Perspektive. Handkes Figuren sind teilweise narzisstisch. Sie haben aber keine klare Identität. Insofern passen sie in unsere Zeit. Sie spalten sich auf, fließen ineinander. Traum und Wirklichkeit verschwimmen – wie in Strindbergs „Traumspiel“. Wie Agnes, die Tochter des indischen Gottes Indra, stehen auch Handkes Ichs immer wieder vor der Tür, hinter der die Lösung des Welträtsels vermutet wird, doch hinter der Tür ist nichts. Konstellationen in Handkes Stücken erinnern auch manchmal an Kafka, speziell dessen Torhüter-Parabel über einen Mann, der sein ganzes Leben vor einem Tor wartet und keinen Einlass bekommt.

Aber Handke ist nie nur pessimistisch. Er gilt sogar als Veredler der Wirklichkeit, als Heilsbringer. Immer wieder werden Natur und Menschen in seinen Werken von herumtrampelnden Nichtsnutzen gefährdet oder zerstört. Handke führt dagegen die Waffen des Geistes. Er ist ein wissbegieriger Student, die Strebsamkeit hat er aus dem katholischen Internat mitgenommen. Sein Wandern zwischen Welten, Kärnten, Frankreich, das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, Amerika, speziell Alaska, beflügelte seine Sprachbegeisterung. Und weil Handke eine klassische Bildung mit Altgriechisch und Latein genossen hat, geht er gern dem Wortsinn auf den Grund. „Wirtschaften“ nennt er sein unermüdliches Sammeln von Partikeln aus der gebildeten Welt und der Natur für seine Bücher.


Hesse. Den „Unschuldigen“ sind Zitate von Goethe („Wir aber, auf der Allerweltslandstraße“), von Ibn al Farid, mystischer Dichter der arabischen Literatur des 13. Jh.s („In ihrer Erdenzeit sehnt sich die Seele nach dem reinen Ruf“), sowie ein Wort aus Shakespeares „Sturm“ vorangestellt: „Go sleep and hear us“. Dazu braucht es Zeit, Geduld – und Glauben.

Schreiben ist für Handke ein Akt der Selbstvergewisserung: „Literatur ist für mich lange Zeit das Mittel gewesen, mir über mich selber, wenn nicht klar, so doch klarer zu werden. Sie hat mir geholfen zu erkennen, dass ich da war, dass ich auf der Welt war. Ich war zwar schon zu Selbstbewusstsein gekommen, bevor ich mich mit der Literatur beschäftigte, aber erst die Literatur zeigte mir, dass dieses Selbstbewusstsein kein Einzelfall, kein Fall, keine Krankheit war.“ („Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“, 1967). Manche Gedanken verbinden Handke mit Hermann Hesse („Der Steppenwolf“), der ebenso ein gleichermaßen nachdenklicher wie zorniger Zeitgenosse war.

Schmähreden sind ein wichtiges Element in Handkes Stücken. Die Litanei zur sprachlich farbenfrohen Beleidigungsorgie umfunktioniert, wirkt auf der Bühne manchmal zu brav. In diesen Kaskaden von Verdammung spiegelt sich der Großvater, der immer wieder in Handkes Stücken auftaucht, den man – wie es einmal heißt – bis ins nächste Tal hören konnte und von dem der Dichter die Bodenständigkeit hat.


Kärnten. Dieses spezielle kärntnerische Environment mit seinen vehementen Wahr- und Lügen-Rednern, seinem Beharren auf Eigenständigkeit, seinen Fantasmagorien, findet in Handkes Stücken blumigen Ausdruck – und nervt gelegentlich Menschen, die nicht jahrelang in Kärnten Urlaub gemacht bzw. das Jauntal, Handkes Heimattal, erkundet haben.

Handkes Theater erinnert auch an das Lebensgefühl von Freiheit und Individualität der 1960er-Jahre, dieses Alles-ist-Möglich für den Einzelnen, ein Gefühl, das wir teilweise verloren zu haben scheinen. Und Handke erzählt von der Zeit, als Europas Amerika-Bild noch heil war – mit Jukebox, Cowboys, Trappern und Globetrottern. Popmusik (Van Morrison, Beatles) und Film sind für Handke wichtig. Trotz moderner Elemente sind seine Stücke barockes Welttheater.

Viele seiner Werke hat Claus Peymann aus der Taufe gehoben, zunächst in Frankfurt, wo er an der Avantgardebühne Theater am Turm mit dem Skandalon „Publikumsbeschimpfung“ für Aufregung sorgte. Während seiner Zeit am Burgtheater, 1986 bis 1999, inszenierte Peymann viele spätere Handke-Stücke wie „Das Spiel vom Fragen“, eine Parzival-Variation, oder „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“, ein Königsdrama. Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann sorgte für geniale, verwunschene Bilder.


Schamanen. Peymann über Handke: „Der Theaterrevolutionär der Sechzigerjahre ist heute ein nachdenklicher Natursucher, ein heiterer und zugleich schwermütiger Einzelgänger, Wanderer und Mystiker geworden. Aber mit der gleichen Begeisterung. Alle Stücke Handkes waren gewaltige Experimente. Er ist kein sentimentaler Bursche. Die Genauigkeit seiner Beobachtung ist liebend, schließt aber Sentimentalität aus. Es könnte sein, dass das Belehrende von Brecht ihn nervt, obwohl auch er selbst manchmal als ,Weltverbesserer‘ auftritt. Handke hat Tschechow geliebt, Horváth war einer seiner Götter. Als Regisseur hoffte ich oft auf Verkürzungen seiner Stücke, stattdessen kam immer noch etwas Neues dazu. Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen, aber die Meinung des Autors hat mich geleitet. Er ist der König, Handke gehört zu den Visionären. Sie sind die ,Schamanen‘ von heute. Sie erahnen das noch nicht Sichtbare.“ (Zitate aus „Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater“, herausgegeben von Klaus Kastberger, Katharina Pektor, Jung & Jung).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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