Handke: "Der Held heißt Ich, ein Irrer, ein Tier – und ein Zauberer!"

Peter Handke, der Dichter als Demiurg.
Peter Handke, der Dichter als Demiurg.Serge Picard / Agence Vu / picturedesk.com
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Marquis Posa, Lear, Prospero oder Caliban? In Peter Handkes Stücken tritt oft er selbst auf, in vielerlei Gestalt und meist mit einer mystischen, aber strengen Dame.

„Ich habe ein bisschen an bei mir zu Hause gedacht, an Griffen. Das Stück spielt auf einer Straße, die nicht mehr befahren wird, die außer Betrieb ist. Dort sitzt einer, der ist der Wächter, in sein Reich darf niemand hinein.“ So beschrieb Peter Handke 2014 im Interview mit der „Presse“ sein neues Stück: „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße. Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten“. Claus Peymann inszeniert die Uraufführung am 27. Februar im Burgtheater.

Wer sind die Unschuldigen? „Es sind nicht die alten Bösewichte, die alles absichtlich machen, sondern sie wissen nicht, was sie tun“, erzählt Handke: „Jesus sagt: ,Herr, verzeihe ihnen‘, ich sage: ,Herr, verzeihe ihnen nicht.‘ Der Held heißt Ich, er ist eine Mittelgestalt aus Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Wirrkopf, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer, er möchte alles für sich haben. Er hatte einmal ein Reich, und jetzt ist er auf dieser Insel. Mein Stück hat nicht mehr diese unverschämte Poesie von Shakespeare. Es ist alles schon ein bisschen auf der Kippe: Darf man das noch? Versteht man das?“ Das wird sich weisen. Sicher ist, in Handkes Stücken treten immer wieder, zuletzt öfter, Alter Egos seiner Selbst auf. In „Immer noch Sturm“ lässt ein Lear-Kind, das alt und jung zugleich ist, seine Familie aufmarschieren, auf die Art, wie Kinder gern ihre Familie sehen, ohne Makel, idealisiert, immer auf der Seite der Guten.


Blätterwirbel im Apfelgarten. Der junge Mann freut sich vor allem, dass er seine Mutter wieder trifft, die noch so temperamentvoll, tanzend und freisinnig wirkt wie zu Anfang ihres Lebens und von ihrem „Wunschlosen Unglück“ noch nichts zu wissen scheint. Es gibt die Geschichte, dass Tote ihren Hinterbliebenen nicht in ihrer hinfälligen Endphase erscheinen, sondern in ihren Dreißigern und Vierzigern, als sie noch Hoffnung hatten. Klingt ziemlich esoterisch? Handkes Stücke haben auch etwas Esoterisches an sich. Jens Harzer spielte 2011 bei den Salzburger Festspielen und am Burgtheater die Hauptrolle in „Immer noch Sturm“ in der Inszenierung des mittlerweile verstorbenen Dimiter Gotscheff: Ein Handke-Ich im Blätterwirbel zwischen Apfelgarten und Gewitterwiese.

Mit seinem träumerischen Ernst kam Harzer in dieser emotionsgeladenen Handke-Aufführung nah an das Original heran. Harzer war auch 2012 mit Dörte Lyssewski in „Die schönen Tage von Aranjuez“ (ein Zitat aus Schillers „Don Carlos“), in der Regie von Luc Bondy (1948-2015) im Akademietheater zu sehen: In diesem „Sommerdialog“, der wegen Geschwätzigkeit teilweise herb verrissen wurde, treffen einander Variationen des kühlen Marquis Posa und der nachdenklichen Königin Elisabeth zum Gespräch über die Liebe. Es geht um die verlorene Unschuld und um das Genau-Bescheid-wissen-Wollen des Mannes über die Liebeserfahrungen der Frau. Das zerstört manchmal alles. Wie war es für Harzer, Handke zu spielen, und was ist seine Ansicht über Handkes Frauenbild? „Handke verweigert das Drama, in seinen Stücken geht es nicht um einen auf der Hand liegenden Konflikt. Handkes Jähzorn und Widerspenstigkeit richten sich auch gegen die Frauen. Er feiert und vernichtet sie“, so Harzer 2012 im „Presse“-Interview.

Luc Bondy hätte auch Handkes „Untertagblues“, eine Schimpfkanonade in der U-Bahn, inszenieren sollen. Als er absagte, zog Claus Peymann die Uraufführung an sein Berliner Ensemble. Im Akademietheater in Wien inszenierte danach Friederike Heller mit Philipp Hochmair und Bibiane Zeller. Der Einbruch einer Regisseurin in die großteils von alten Herren dominierte Interpretation von Handke im Theater erwies sich als überaus erfrischend, Hochmair tobte, geißelte sich selbst mit dem Mikrokabel und stürzte gar von der Bühne den Zuschauern zu Füßen. Zeller maßregelte ihn mütterlich, großmütterlich wegen seines Furors. Der Wiener „Untertagblues“ offenbarte eine selbstironische Seite von Handke, die durchaus ein Teil von ihm und seinem Werk ist. Mit Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek hat Handke gemeinsam, dass er manchmal viel zu ernst genommen wird. Humorvolle Auflockerung tut gut.


Märchenhafte Musen. Auf Jens Harzer, der den introvertierten Dichter zeigte, der sein Image als Spröder, Schwieriger bewusst vor sich her trägt, und den überschäumende Spielfreude verbreitenden Hochmair folgt nun mit Christopher Nell eine neue Handke-Inkarnation in den „Unschuldigen“. Der 1979 in Kaufbeuren geborene Schauspieler und Sänger, der in Berlin lebt, trat als Erstes im Jugend-Theaterprojekt Kulturwerkstatt seiner Heimatstadt auf. Aus diesen Theaterklubs stammt heute oft der Nachwuchs für die deutsche Bühnenkunst. Nell, seit 2006 an Peymanns Berliner Ensemble engagiert, war dort als Mephisto in Goethes „Faust“, zu sehen: Robert Wilson inszenierte beide Teile der Tragödie mit Musik von Herbert Grönemeyer. Weiters spielte Nell die Fee Tinker Bell in „Peter Pan“, Prinz Hamlet und Romeo.

Martin Schwab ist in den „Unschuldigen“ als Anführer der Unbekannten, als Häuptling/Capo zu sehen. Schwab spielte bereits 1982 in Wim Wenders' Uraufführung von Handkes „Über die Dörfer“ bei den Salzburger Festspielen sowie 1997 in „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“. Regina Fritsch gibt die Unbekannte, Maria Happel die Wortführerin der Unschuldigen bzw. die Häuptlingsfrau. Wer ist die Unbekannte, und was hat es mit Handkes Frauenfiguren auf sich? Regina Fritsch: „Die Unbekannte ist eine Projektion und ein Konglomerat. In gewisser Weise entspricht sie einem Frauenbild der Romantik. Bei Novalis heißt es: ,Die metaphysische Macht der Liebe, die für die Erlösung der Welt und den Übergang ins goldene Zeitalter grundlegend ist, wird Heinrich von Ofterdingen durch Mathilde, seine spätere Frau und Geliebte, offenbart.‘ Auch bei Peter Altenberg findet man Schilderungen solcher Frauen: ,Eine Frau muss sein für uns wie ein Bergwald, etwas, was uns direkt erhöht und freimacht, von unseren inneren Sklavereien, etwas Exzeptionelles, was uns unwillkürlich zu unseren eigenen Höhen milde geleitet, wie eine Fee den armen verirrten Wanderburschen im Märchen.‘ Die Unbekannte ist Muse, Beschützerin, Zauberin, ein Erzengel. Der Anspruch an dieses Wesen ist unglaublich. Die Frau hat den Mann im Griff, sie wird auch handfest, wäscht ihm den Kopf, schwebt keinesfalls esoterisch über den Dingen.“


Raimund. Schwab erinnert Handkes Stück auch an Raimund: „Es gibt schwere Auseinandersetzungen zwischen dem Häuptling und dem Ich, dann kommt es zu einem Showdown. Schließlich sind die Gegensätze aufgehoben, Häuptling und Ich sprechen über die gemeinsame Kindheit. Aus der Feindschaft wird eine Männerfreundschaft, wo geseufzt und geweint werden darf. Die Jahreszeiten verändern sich, es wird Herbst, und die Geschichte hat auch mit dem Tod zu tun.“

Claus Peymanns Handke-Uraufführung bringt aber auch wieder das längst entschwundene Ego-Theater zurück in die Burg, mit drei Monate langer Probenzeit, vielen Überstunden für die Technik. Man kann sich darüber lustig machen oder über die Kosten solchen Aufwandes ärgern. Bei der Premiere wird aber vermutlich alles vergessen sein, und die Peymann-Fans werden der Nostalgie-Veranstaltung ihres längst zur Legende gewordenen Lieblings-Burg-Chefs zujubeln. Gut möglich, dass das die amtierende Burgtheater-Direktorin und langjährige Peymann-Mitstreiterin, Karin Bergmann, bewusst so kalkuliert hat. Das Ereignis erinnert wohl auch daran, dass das Theater immer wieder versuchen muss, nach allen Richtungen möglichst heftig die Grenzen zu überschreiten. Das mag im Kontrast zu vielen Halb-Experimenten und Laientheatern in der Bühnenkunst heute ein lohnendes Erlebnis sein. Hoffentlich.

Für Skeptiker sind Handkes Stücke Lesedramen. Das meint er selbst dazu: „Das Theater war ja eigentlich ein Nebeneingang oder ein Nebenausgang für mein Tun, ich war immer Prosaist und wollte immer Epiker sein. Und jetzt stehe ich einfach dazu, ich glaube inzwischen an das Theater.“ (Im Gespräch mit Thomas Oberender, dem früheren Schauspielchef der Salzburger Festspiele). Schön gestaltete Bücher (Suhrkamp) sind wichtig. Handke: „Das Bild eines Stückes soll nicht durch die Aufführung entstehen, sondern durch das Gedruckte,“ betont er. Peymanns Handke-Inszenierungen waren oft wunderbar, aber immer in hohem Maße künstlich, sein Blick auf Handke wirkt ästhetisierend und distanziert.

Als Helmut Wiesner in seiner Gruppe 80 in „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg“ über einen Spanier und einen Amerikaner, die einen Film über den Krieg auf dem Balkan drehen wollen, Figuren in slawischen Sprachen reden ließ, rau, grob und auf ungeschminkte Art dramatisch, wie es zur Geschichte passte, gewann Handkes Theaterkunst gewissermaßen eine neue Dimension.


Neue Regisseure. Wichtig ist, dass Handkes Stücke neue Regisseure finden. 2010 wurde „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ vom Grazer Schauspielhaus in der Regie des 1978 in Budapest geborenen Viktor Bodó zum Berliner Theatertreffen eingeladen: Dieses stumme Stück, das an „Das Mündel will Vormund sein“ anschließt, handelt anders als dieses Drama, in dem es um Macht geht, vom Moment der Abwesenheit: Während Passanten in verschiedensten Konstellationen über einen südlichen Platz wandern, sitzen irgendwo zwei Menschen im luftleeren Raum einer ungewissen Zukunft, in der sie sich vielleicht treffen, trennen, wieder vereinigen werden – oder eben nicht.

Das Vage, in den Individuen, in der Welt, und womöglich im gesamten Universum, das entstehen und wieder zusammenfallen kann, ist ein wichtiges Element in Handkes Werken. Eine wirklich spannende Aufführung schaffte mit Handkes „Selbstbezichtigung“, 1966 uraufgeführt, 2015 der 1971 in Brünn geborene Dušan David Pařízek. Stefanie Reinsperger zeigte das Sprachspiel („Ich bin geboren worden. Ich bin in das Geburtenregister eingetragen worden. Ich bin älter geworden“) als eine existenzielle Selbstbefragung: Wie viel Individualität birgt die menschliche Existenz, wenn alles vorgegeben ist, Pflichten, Vorschriften, Erwartungen? Reinsperger zeichnete die Wege dieses Handke-Ichs mit Verzweiflung und ein wenig Komik nach. Seinen eigenen Ausweg aus dem Dilemma hat der Dichter längst selbst gefunden. Er hat der Realität den Rücken zugekehrt, seinen elfenbeinernen Turm bezogen.

Diesen bewohnt er, aber auch die Kultur- und die Literaturgeschichte. Er haust in diesem riesigen Gebäude wie ein König, möbliert, stellt um und wirft hinaus, was ihm nicht passt: Der Künstler als Demiurg, das ist ja letztlich jeder Künstler. Und oft ist Handke ein Seher. Über die politische Situation in Frankreich meinte er 2014 im Interview: „Es ist ein geheimer Krieg, der stattfindet, zwischen den Klassen, Gruppen, Nationalitäten. Trotzdem ist Frankreich immer noch ein großartiges Land in vielem, was die Arbeit betrifft, den Fleiß, die Vifheit, die Geistesgegenwart wie bei Molière oder Pascal. Es wird noch geredet, und manchmal gibt es ein weit klingendes Gefühl wie nur bei Racine. Aber dann kommt wieder dieser Bruch . . .“ Handke-Sätze bleiben oft offen, Handke-Stücke auch.

Steckbrief

1942
wird Peter Handke in Griffen/Kärnten geboren. Seine Mutter war Kärntner Slowenin, sein leiblicher Vater Bankangestellter.

1954-1965
Internatszeit in Tanzenberg, Matura, Jusstudium.

1966
Als Pop-Literat mit Pilzkopf provoziert Handke die etablierten Schriftsteller der Gruppe 47 in Princeton. Durchbruch mit „Publikumsbeschimpfung“ in Frankfurt (Regie: Claus Peymann).

1971
Suizid der Mutter.

1987
Weltreise, 1990 erwirbt Handke das Haus in Chaville nahe Versailles.

1996
Kritiker werfen Handke die Verharmlosung serbischer Kriegsverbrechen vor. Dieser übt heftige Medienkritik. 2006 tritt Handke bei Slobodan Milšoevićs Begräbnis als Grabredner auf.

Werke
„Die Hornissen“, „Die linkshändige Frau“, „Der Chinese des Schmerzes“, „Kindergeschichte“, Mein Jahr in der Niemandsbucht“, „Die morawische Nacht“, „Der Bildverlust“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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