Ronacher: „Evita“ klang noch nie so grell

 Andrew Lloyd Webbers „Evita“ – mit Katharine Mehrling als argentinischem Idol – wirkt im Ronacher eher museal.
Andrew Lloyd Webbers „Evita“ – mit Katharine Mehrling als argentinischem Idol – wirkt im Ronacher eher museal.(c) Vereinigte Bühnen/Deen van Meer
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Vincent Patersons konventionelle Musical-Inszenierung enttäuscht – bis auf die temperamentvollen Tanzszenen. Drew Sarich begeistert als Revolutionär Che Guevara.

Drew Sarich hat sich entwickelt, seit er 2009 als Kronprinz Rudolf an der Seite seiner Mary Vetsera (Lisa Antoni) im Raimundtheater übers Eis glitt. Sarichs Revolutionär Che (Guevara), hager, zornig, ein Rebell ohne Reue, aber mit viel Scharfblick, ist der Hit von „Evita“. Das Musical des Erfolgsduos Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Liedtexte) hatte Mittwochabend im Wiener Ronacher Premiere.

Außer Sarichs Auftritt ist davon wenig Positives zu berichten. Durch die Mikroports ist schwer zu sagen, wer an dem teilweise schauerlichen Klang schuld ist, der mit seinen schrillen Entgleisungen an Straßenlautsprecher erinnert, die zu Volksfesten oder politischen Veranstaltungen einladen.

Freilich scheinen auch die Stimmen teilweise eher schwach zu sein. Vincent Paterson hat die Saga von dem Mädchen aus dem Volke, das die südamerikanische Macho-Welt mithilfe der armen Descamisados (der Hemdlosen) das Fürchten lehrte, inszeniert. Webber und Rice waren durchaus mutig; Webber ist ein toller Musiker, firm in vielen Stilen, von Klassik bis Pop.

Aber auch das Buch, das die Legende Eva Perón (1919–1952) demontiert, ihre Sucht nach Anerkennung, Macht, Luxus und ihren Missbrauch der Sympathie des Volkes bloßlegt, war für die 1970er-Jahre, als das Musical entstand, wohl spannend. Heute wirkt das Werk museal. Man fragt sich, warum sich Musical-Macher nicht an aktuelle „Hotspots“ der Geschichte begeben – sondern immer wieder auf die gleichen Werke zurückgreifen. Die Vereinigten Bühnen Wien sind da keine Ausnahme. Sie spielen bis 20. März wieder „Mozart!“, eine übrigens erstaunlich innovative Eigenkreation aus dem Jahr 1999 (der Komponist als „Rockstar des Rokoko“, wie es im Ankündigungstext heißt). Und als nächste Eigenproduktion kommt am 30. September ins Raimundtheater das Leben des „Zauberflöte“-Librettisten und Theaterdirektors Emanuel Schikaneder.

„Weine nicht, Argentinien!“ Oh doch!

Der mediale Trommelwirbel im Vorfeld von „Evita“ wirkt stark übertrieben. Regisseur Paterson, der Shows für Michael Jackson und Madonna gestaltete – die ihrerseits 1996 im Film Evita spielte – sorgte für einen perfekten Ablauf der Aufführung und temperamentvolle Tanzszenen. Madonna war als Evita umstritten. Gewiss ist aber, dass sie die südamerikanische Landesmutter, eine typische Männerfantasie, Göttin, Mutter und Hure, perfekt repräsentierte. Katharine Mehrling wirkt im Ronacher vor allem zu Beginn als berechnende Verführerin schwach – und gewinnt erst am Ende, als Evita an Krebs stirbt, Format. Der Film mit der echten Evita als Schauspielerin, der zu Beginn eingeblendet wird, das Melodram „La pródiga“ („Die Verschwenderische“, 1945), wirkt authentischer und vielschichtiger als Mehrling im Musical, trotz exakter Kostümierung. Thomas Borchert spielt den ehemaligen argentinischen Präsidenten Juan Perón (1895–1974), seinerseits eine Legende, die für den Versuch echter Demokratisierung in Lateinamerika steht, was meist am Militär und der Oberschicht gescheitert ist. Borchert zeichnet Perón als schwächlichen Pantoffelhelden, das mag er zwar gewesen sein, aber eben nicht nur.

Vielleicht kann der Routinier Michael Kunze ja nichts dafür, dass englische Musicals auf Deutsch fürchterlich klingen. Fix ist, dass zwischen „Don't cry for me Argentina“, dem Ohrwurm dieses Musicals (Webber produziert solche Schlager stets verlässlich), und „Weine nicht, Argentinien“ ein Unterschied besteht, für den das Wort himmelweit ein Hilfsausdruck ist. Es ist fast ein Glück, dass man die Texte kaum versteht und sie nach einer Weile auf Englisch mitliest, sie werden neben der Bühne eingeblendet.

Koen Schoots dirigiert die aufwendig illustrierte Aufführung (Bühne: Stephan Prattes). Es geht laut zu, öfter fährt das Orchester über die Sänger drüber. Nur manchmal gibt es lyrische Töne. Das Premierenpublikum jubelte. Das Ronacher ist noch immer ein wunderschönes, altes Theater, das die Fantasie anregt, doch diesmal leider nicht jene der Führung der Vereinigten Bühnen Wien.

( "Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2016)

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