Dieter Giesing: "Da fange ich an, Rezas Figuren gernzuhaben"

„Ich habe immer neue Stücke inszeniert.“ Dieter Giesing nennt Botho Strauß, Harold Pinter, David Mamet, Heinar Kipphardt, Neil LaBute und Yasmina Reza.
„Ich habe immer neue Stücke inszeniert.“ Dieter Giesing nennt Botho Strauß, Harold Pinter, David Mamet, Heinar Kipphardt, Neil LaBute und Yasmina Reza. Die Presse
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Vor der Premiere von „Bella Figura“ erzählt Regisseur Dieter Giesing vom Reiz der entlarvenden Stücke Yasmina Rezas: Es gehe nicht nur um Pointen, sondern um Schicksale.

Die Presse: Als Anweisung „Bella Figura“ vermerkt Yasmina Reza, im Text seien die nötigen Momente des Schweigens oder der Verlegenheit nicht immer angegeben, aber entscheidend. War es schwer für Sie als Regisseur, diese rhythmischen Wechsel zu treffen, die Pausen auszumachen?

Dieter Giesing: Nein, die Dramaturgie des Stücks gibt einen sehr klaren Rhythmus vor. Auch ohne extra Anweisung der Autorin. Da könnte sie ihrem Text eigentlich vertrauen.

Ein Seitensprung wird in diesem Drama aufgedeckt, durch eine zufällige Begegnung. Da helfen keine Ausreden. Läuft die Handlung auf einer schiefen Ebene ab?

Wie meinen Sie das? Die Personen im Stück versuchen, bella figura zu machen, wie das in unserer Gesellschaft üblich ist. Sie wollen etwas verdecken, schaffen es aber im Moment nicht. Es kommt zu absurden Retardierungen, dabei eskaliert es dann.

Soll man hier überhaupt noch zwischen Komödie und Tragödie unterscheiden?

Man hat eigentlich nicht viel zu lachen, ähnlich wie bei Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“, das ich 2008 am Burgtheater inszenierte. Die Komik ihrer Dramen liegt in all den Entlarvungen und Entblößungen unserer fragilen Gesellschaft. Die Texte sind sehr intensiv, höchst fokussiert. Auch wenn ich bei den Proben nicht an Lacher gedacht habe, die Premiere von „Der Gott des Gemetzels“ ging oft in Lachstürmen unter. Damit hatten wir alle noch bei der Generalprobe nicht gerechnet.

Was ist das Besondere an Rezas Dramen?

Sie hat eine ganz gewöhnliche Umgangssprache, die trifft aber genau. Wir haben fast nichts gestrichen. Wenn ich an Rezas Stücken eine Weile arbeite, fange ich an, ihre Figuren sehr gernzuhaben, weil es nicht nur um Pointen geht, sondern um die Schicksale dieser Leute. Es gelingt ihnen nicht, Tabubereiche zu verstecken. Boris etwa, die männliche Hauptfigur, ist wahnsinnig toll, er hat den Glauben an Wunder in sich, sucht Sachen, die ihn stimulieren und weiterbringen, auch im Abenteuer. Da stößt er auf Andrea, die Alternative zu der Frau, die er zu Hause hat, die er als Heilige und als Nutte einsetzt. Er ist nicht zufrieden mit dem, was er bekommt, auch beruflich. Er hat Glas hergestellt, jetzt baut er Verandas, ohne genaue Analyse, ob das Erfolg haben könnte. Damit scheitert er dann auch. Die Figuren bewegen sich stets auf dünnem Eis. Man nimmt Anteil an ihnen.

Ein Mann, der vor die Hunde gehe, solle das in aller Stille tun, sagt Andrea. Was halten Sie von diesem verletzenden Satz?

Warum soll sie das nicht sagen? Sie wird den ganzen Abend schlecht behandelt, sogar als Hure bezeichnet, ist außerdem betrunken. Und sie nimmt sich in vieler Hinsicht Freiheiten. Dazu steht sie. Zu Andrea habe ich die meiste Sympathie, dann kommt ihr Liebhaber, diese gespaltene Persönlichkeit. Das zweite Paar dagegen sind keine Abenteurer. Eher das Gegenteil. Françoise und ihr Mann Eric machen sich das in ihrer kleinen Familie aus, sie machen sich ihre Hölle selbst.

Glauben Sie, dass die Beziehung zwischen Andrea und Boris zu Ende geht?

Das glaube ich nicht. Sie sind abhängig voneinander. Sie lieben sich. Sie kommen nicht voneinander los, der Verlust des anderen würde sie töten. Das ist der Grundgedanke. Sie kommen nicht raus.

Sie haben seit den Sechzigerjahren inszeniert. Ihr Debüt mit Harold Pinters „Kollektion“ gaben Sie 1964 in München. Welche Dramatiker waren für Sie wesentlich?

Ich habe immer neue Stücke inszeniert. Vieles von Harold Pinter, vieles von David Mamet, das geht bis zu Heinar Kipphardt, Neil LaBute und Yasmina Reza. Und natürlich zu Botho Strauß, meinem Freund – Stücke, die zum Teil von den Spielplänen verschwunden sind, aber heute auch wieder von jungen Regisseuren entdeckt werden.

Was machen Sie, wenn Sie eine Passage bei einem zeitgenössischen Autor nicht verstehen? Sie könnten ihn ja anrufen.

Ich rufe ihn an. Aber ob die Antworten immer nützlich sind? 1966 habe ich „Heimkehr“ von Pinter gemacht, an den Münchner Kammerspielen. Da bin ich mit Peter Stein, mit dem ich viele Jahre befreundet bin, nach London geflogen, wir haben Harold Pinter getroffen und ihn über das Stück ausgefragt. Er sagte normalerweise wenig über seine Stücke, aber damals haben wir einen langen Vormittag geredet. Wir waren sehr guter Dinge. Als Stein und ich am nächsten Tag wieder in München waren, erhielten wir ein Telegramm von Pinter: Wir sollten vor den Proben bitte alles wieder vergessen, was er gesagt hatte.

Was waren für Sie die wunderbaren Jahre?

Die gibt es nicht. Aber natürlich gibt es wunderbare Erinnerungen an viele Inszenierungen. Besonders in Wien. An „Sonnenuntergang“ mit Michael Rehberg, an „Oleanna“ mit Susanne Lothar und Ulrich Mühe, an „Professor Bernhardi“ mit Joachim Meyerhoff, Nicholas Ofczarek, Caroline Peters und Roland Koch, der seit fünf Jahren hier auf dem Spielplan steht.

Haben Sie Dramatiker auch unterschätzt?

Robert Musil. Sein Drama „Die Schwärmer“ habe ich in Zürich 1995 inszeniert. Ich wusste nicht, was für ein tolles Stück das ist. Wenn ich Mut hätte, würde ich es in Wien noch einmal machen. Es gibt keine Stadt im deutschsprachigen Raum, in der das Publikum dermaßen begeistert und interessiert ist. Es hat auch keine Vergesslichkeit. Ich habe hier einmal einen Mann getroffen, der eine Aufführung 16 Mal gesehen hat. Das kenne ich aus keiner anderen Stadt.

PREMIERE VON „BELLA FIGURA“

Am 3. April im Wiener Akademietheater, um 19 Uhr. Mit Caroline Peters, Joachim Meyerhoff, Sylvie Rohrer, Roland Koch und Kirsten Dene.

Dieter Giesing wurde 1934 in Ostpreußen geboren. Sein Debüt gab er 1964 an den Kammerspielen in München. Seit 1976 arbeitet er als freier Regisseur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2016)

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