Das TAG: „Die Möwe“ ließ Federn bei ihrer Zerlegung

(c) Anna Stöcher/ TAG
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Teils originell, teils befremdlich wirkt eine Tschechow-Version des litauischen Regisseurs und Schauspielers Arturas Valudskis: Sympathieträger gibt es hier keine.

Theater ist manchmal auch sehr insiderisch. Bekannte Stücke werden immer wieder gespielt – bei den Premieren bejubeln einander die Theatermenschen, von denen viele im Publikum sitzen: Angehörige und Fans. Die Heiterkeit, die sich bei „Das Spiel: Die Möwe“ im TAG entlädt, hat nicht unbedingt etwas mit dem Untertitel von Tschechows Stück, eine Komödie, zu tun. Kollegen feuern Kollegen an. Der litauische Regisseur und Schauspieler Arturas Valudskis hat allerdings einiges unternommen, damit einem bei diesem Tschechow nicht langweilig wird. Die heimliche Hauptrolle spielt eine Waschschüssel. Sie dient als Mond, fürs Fußbad und zuletzt für Selbstmordversuche. Muss man noch erzählen, wovon dieses viel gespielte Stück handelt?

Ganz kurz vielleicht, damit es nicht mit anderen Dramen des Autors verwechselt wird. Statt des Kirschgartens und dreier Schwestern gibt es in der „Möwe“ eine dominante Schauspielerin, die sich einmal im Jahr herablässt, ihren Urlaub auf dem Gut ihres Bruders zu verbringen. Dabei tyrannisiert sie ihre Familie, vor allem ihren Sohn, Konstantin, der Schriftsteller werden möchte: Irina Arkádina ist ein Pendant zum egomanischen Professor in „Onkel Wanja“.

„Frei nach“ bedeutet meist: Der Regisseur oder Bearbeiter macht mit dem Stück, was ihm einfällt. Valudskis blieb aber durchaus bei Tschechows Vorlage. Er hat bloß den Text in einer Art gekappt, wie man Gliedmaßen eines Körpers abschlägt. Au! Ein Torso macht bei einer Skulptur einen interessanten Effekt. Hier aber fehlt viel. So hängen die Monologe in der Luft, die Figuren reden ins Leere. Manchmal wirkt ihr Furor unverständlich. „Die Möwe“ wurde also zerlegt und zu einer Art Kunstobjekt oder Installation.

In dieser treten auf: Michaela Kaspar, sie blieb der Tschechow'schen Arkádina am nächsten, eine energische Frau, die gewohnt ist, ihren Willen durchzusetzen. Häufig, in dem sie andere manipuliert oder heruntermacht. Ihr Freund, der Erfolgsautor Boris Trigorin, wird gern mit einer gewissen eleganten Lässigkeit konturiert. Markus Kofler spielt ihn als Maniac, der die ganze Zeit nur auf ein treffendes Wort oder eine Geschichte der anderen wartet, um sie in sein Notizbuch einzutragen. Überhaupt lebt der Mann nicht richtig, er existiert nur, wenn er schreibt. Als er sein Problem mit der jungen Nina (selbstbewusst und vital: Julia Schranz) bespricht und sich ein bisschen verliebt, teils aus Recherchegründen, teils aus Lebensüberdruss, gerät seine Routine in Gefahr.

Die Figuren spielen sich selbst vor

Die Arkádina fängt ihn mit einer kräftigen Schmiere wieder ein. Raphael Nicholas ist als Konstantin weder ein unverstandenes Genie noch ein Mitleid erregender Melancholiker, sondern eine Nervensäge: Dieser „Hamlet“ möchte am liebsten noch von Mama gewickelt und gefüttert werden, Mama darf kein eigenes Leben haben – und schon gar keinen Freund. Der Aggressionsausbruch der Arkádina gegen ihren Sohn ist nicht grausam, sondern verständlich. Mascha (Claudia Kottal) sieht mit ihren schwarzen Locken und ihrer schwarzen Kluft zwar recht zivil aus, ist aber eine Anarchistin. Sie trinkt nicht nur, schnupft Tabak und vernachlässigt ihr Baby, sie gibt auch der Arkádina Saures, als wäre diese ihre Schwiegermutter. Mascha liebt nämlich Konstantin, ohne von ihm wiedergeliebt zu werden.

Manches wirkt unmotiviert in dieser Aufführung, etwa Maschas Gelächter, wenn sie von ihrem seelischen Elend spricht. Oder wie die Akteure immer wieder zusammenstürzen. Wie oft hat man das schon gesehen? Anderes wieder ist großartig: Manch schonungslose Feinzeichnung bei den Figuren oder das Klavier, dessen Deckel beim Zuklappen knallt wie ein Pistolenschuss. Diese „Möwe“ dauert nur 80 Minuten. Wem Originaltexte egal sind, der mag sie probieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2016)

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