„In weiter Ferne“ und doch so nah – das Grauen

In weiter Ferne
In weiter Ferne(c) Marcel Köhler/ Nestroyhof
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Theater Nestroyhof Hamakom. Caryl Churchills kurze negative Utopie wird von Ingrid Lang eindringlich inszeniert.

Ein Mädchen und eine ältere Frau in einem fast rundum verglasten Raum, draußen steht, wie Schatten andeuten, still der Wald. Es könnte der Beginn eines ländlichen Idylls in einem kleinen Bungalow sein. Doch der Schein trügt nicht lang in der Dystopie der britischen Dramatikerin Caryl Churchill (*1938) aus dem Jahr 2000, die nun am Theater Nestroyhof in der deutschen Übersetzung von Bernd Samland Premiere hatte. Im Halbdunkel hört man Motorengeräusche. Hubschrauber? Lastwagen? Es wird heller in dem Raum, man sieht die verstörte junge Joan (Johanna Wolff), die von Schreien aufgeweckt wurde. Ihre Tante Harper (Inge Maux) versucht sie zu beruhigen. Das sei wohl nur eine Eule gewesen. Doch die beiden sagen nicht die ganze Wahrheit.

Die Tante versucht offenbar etwas zu verschleiern, die Nichte hat mehr gesehen, als sie anfangs zugibt. Aus diesem Dialog, in der ersten von drei Szenen, die im Regiedebüt von Ingrid Lang insgesamt rund eine Stunde dauern, taucht Satz für Satz mehr Grauen auf. Werden Menschen systematisch ermordet? Oder werden sie vom Onkel, den Joan draußen zuvor beobachtet hat, gerettet, wie die Tante sagt? Von Blut ist die Rede, von weinenden, misshandelten Kindern, von Attacken mit einer Eisenstange. Wie soll das alles enden? Schon wird es finster und unbestimmt, die nächste Szene beginnt.

Der Raum (Bühne und Kostüme von Peter Laher) ist nun eine Werkstatt, sie wird nach und nach um die eigene Achse gedreht. Joan und Todd (Matthias Mamedof) schneidern bizarre Hüte (von Clare Blake), sprechen über einen Wettbewerb und zeigen ein wenig Auflehnung gegen ein anonymes System. Sie scheinen Handlanger zu sein. Die Hüte sind für Delinquenten bestimmt. Bevor diese Leute im Dutzend verschwinden, vollführen sie eine perverse Modenschau. Ihre entblößten Oberkörper zeigen Folterspuren. Ausdruckslos schreiten sie die Rampe entlang, sie werden von den Hutmachern teilnahmslos beobachtet. Joan freut sich danach: Ihre Kreation hat den Wettbewerb gewonnen.

Die Natur schlägt zurück

Die Entmenschlichung wird in der eindringlichen Inszenierung lakonisch präsentiert, drei Schauspieler bieten bestes absurdes Theater. Das letzte Bild gleitet ins Unglaubliche ab. Die Metaphern grenzen ans Lächerliche, man wird Zeuge einer Apokalypse. Todd und Harper sprechen von globalen Kämpfen und einer Verschwörung von Flora, Fauna, Atmosphäre, von verbündeten oder verfeindeten Tieren, stets wechselnden Bündnissen. Oh Mensch! Die Natur schlägt zurück.

Den Schlussmonolog hält Joan, die von Anfang an verstörte junge Frau. Sie berichtet von blutenden Ratten und verletzten Mädchen am Straßenrand, vom reißenden Fluss. So endet der Albtraum: „Wenn man eben erst hineingestiegen ist, kann man nicht wissen, was noch geschehen wird. In jedem Fall umspült einem das Wasser die Füße.“ Freundlicher Applaus für ein durchwegs gelungenes, geheimnisvolles Kammerspiel.

Termine im Theater Nestroyhof Hamakom: 13. bis 16. und 20. bis 23. April, jeweils um 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2016)

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