Die Rückzugsgefechte des späten Richard Strauss

SALZBURGER FESTSPIELE: ãDIE LIEBE DER DANAE
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"Capriccio" im Theater an der Wien, "Liebe der Danae" in Salzburg, die Netrebko singt "Letzte Lieder".

„Kein Wort versteht man im Tumult des Orchesters“, singt Theaterdirektor La Roche im Zuge der Auseinandersetzungen mit einem Dichter und einem Komponisten über Grundsatzfragen der Dramaturgie. Heutigen Regisseuren fällt es zunehmend schwer, die Entstehungszeit von Richard Strauss' letzter Oper außer Acht zu lassen.

Die Lust daran, über Fragen der Operndramaturgie zu diskutieren, war schon den Zeitgenossen vergangen. Die Zeiten hatten sich geändert. Anfang des 20. Jahrhunderts, zwischen „Salome“ und „Elektra“, war die Freude des Komponisten Richard Strauss an riesig besetzten Orchestern noch Gegenstand der Karikatur und der Diskussion in bürgerlichen Kreisen.

1940, als Strauss mit der Komposition seines „Capriccio“ begann, gab es nichts mehr zu karikieren. Jedenfalls nichts, was ästhetische Fragen betraf. Selten hat ein Künstler einen Rückzug ins Private ungenierter vollzogen. Wer „Capriccio“ heute aufführen möchte, kann kaum umhin, auch das heillose Umfeld zu thematisieren, in das die Autoren ihre heile Welt implantierten.

Die Kunst der Sublimierung beherrschte Strauss schon in der Ära des unblutigen Kriegs der ästhetischen Anschauungen der musikalischen Moderne. Dieser Moderne wurde er ja selbst lange zugerechnet. Bald bezog er eine retrospektive Position: Mythologische Opern wollte er machen, als gerade das „Zeitstück“ populär wurde.

Diese Attitüde nimmt Strauss in seinem „Capriccio“-Text selbst aufs Korn: „In fernste Druidenvergangenheit tauchen unsere Dichter, zu Türken und Persern“, ätzt der Theaterdirektor und fordert von seinen Autoren „Menschen, die uns gleichen“.


„Heitere Mythologien“. Auch wenn Strauss im Geiste diesem, seinem Impresario recht geben mochte: Er selbst ließ die Realität nur noch symbolträchtig verwandelt in seine Musiktheaterwelt eindringen. Auf „Daphne“, die sich zur Flucht vor der Liebe Apollos in einen Baum verwandelt, folgte eine „heitere Mythologie“ namens „Die Liebe der Danae“: Wieder entsagt eine junge Frau göttlicher Liebe und wählt statt Jupiters den Eseltreiber zum Gemahlen, der ihr irdisches, ehrliches, das wahre Liebesglück beschert. Die Uraufführung – anders als jene des später komponierten „Capriccios“ – hat Strauss nicht mehr erlebt. Er konnte jedoch der Generalprobe anlässlich der Salzburger Festspiele 1944 beiwohnen – und war glücklich über sein Werk. Die Uraufführung folgte aufgrund der Kriegswirren erst 1952.

Die Salzburger Festspiele 2016 erinnern an diese posthume Premiere und zeigen, von Alvis Hermanis inszeniert, von Franz Welser-Möst dirigiert, eine Neuproduktion mit Krassimira Stoyanova in der Titelpartie.


„Letzte Lieder“. Im Musikverein singt Anna Netrebko demnächst erstmals – von der Sächsischen Staatskapelle unter Christian Thielemann begleitet – die „Vier letzten Lieder“, jenen Zyklus von herbstlich-melancholischen Gesängen, den Strauss nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Schweizer Exil nach Texten von Hesse und Eichendorff komponierte. „Wie sind wir wandermüde“, heißt es da, „ist dies etwa der Tod?“ – ein Zitat aus der Jahrzehnte früher entstandenen Tondichtung „Tod und Verklärung“ klingt an.

Voll von Zitaten steckt auch das textlich so anspielungsreiche „Capriccio“, das Tatjana Gürbaca im Theater an der Wien inszeniert. Premiere unter der musikalischen Leitung von Bertrand de Billy ist morgen, Montag. Maria Bengtsson ist die Gräfin, Daniel Behle und Daniel Schmutzhard werben als Komponist Flamand und Dichter Olivier um ihre Gunst, Lars Woldt gibt den jungen Männern Belehrungen aus der Sicht des Theaterpraktikers: Eine Oper soll entstehen, damit sich die Gräfin klar darüber werden kann, was wichtiger für das Musiktheater ist: Wort oder Musik?

Wie Richard Strauss diese Frage beantwortet, wird spätestens im Zwischenspiel vor dem zauberhaften Schlussmonolog der Gräfin klar, in der sogenannten „Mondscheinmusik“, die keine Worte braucht – der Komponist entlehnt sie dem zwei Jahrzehnte früher entstandenen Liederzyklus „Krämerspiegel“, in dem er schon einmal (auf Worte von Alfred Kerr) mit dem Musikbetrieb gehadert hatte – und auch dort zu einem positiven Ende fand, jenseits jeglicher „Aktualität“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2016)

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