Immerhin gibt's im Theater keine Todesstrafe

PRAeSENTATION DER NEUEN KUeNSTLERISCHEN LEITUNGEN FUeR DAS SCHAUSPIELHAUS UND DAS BRUT: KIRSCH / SCHWEIGEN
PRAeSENTATION DER NEUEN KUeNSTLERISCHEN LEITUNGEN FUeR DAS SCHAUSPIELHAUS UND DAS BRUT: KIRSCH / SCHWEIGENAPA/GEORG HOCHMUTH
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Das Theater Brut am Wiener Karlsplatz wurde für zehn Tage zum „Revolutionsgericht“ umgewidmet. Eine Parodie? Nein, postdramatisches Theater, das sich selbst durchaus ernst nimmt.

„Alles in allem war es seit langer, langer Zeit nicht mehr so schlecht um die Sache der Menschheit bestellt.“ Diese Diagnose stellen die als „Haus Bartleby“ zeichnenden Herausgeber des im Passagen-Verlag erschienenen Buchs „Das Kapitalismustribunal“ – und begründen die Notwendigkeit eines ebensolchen, das „eine Konkurrenz auf Verwirklichung dessen, was unabweisbar richtig ist, in Gang setzen“ soll. Das Tribunal soll zunächst von 4. bis 12. Mai 2016 im Theater Brut tagen, das zu diesem Behufe, wie Intendantin Kira Kirsch am Sonntag feierlich erklärte, „zum Revolutionsgericht umgewidmet“ wurde.

Angeklagt vor diesem Gericht sind, wie man der Homepage capitalismtribunal.org entnehmen kann, unter anderem das Patriarchat, die Stadt Wien, die Firma BASF, das kapitalistische Bildungssystem und sämtliche deutsche Automobilhersteller. Die Verteidigung übernimmt ein dem Tribunal nahestehender Philosoph von der Zeitschrift „Agora 42“, dem „systemische Bedingungen für ein nachhaltiges Wohlergehen der Menschheit“ am Herzen liegen, wie er bei der Veranstaltung am Sonntag bekannt hat. Passieren soll das im Namen einer „siebten Internationale“. Die zweite Internationale ist sozialdemokratisch, die dritte war leninistisch, die vierte trotzkistisch, von einer fünften und sechsten Internationalen ist uns nichts bekannt. Der Patron der siebten ist offenbar Bartleby der Schreiber, Held einer Erzählung von Herman Melville, der sich allen Zumutungen mit dem Satz „I would prefer not to“ verweigert.

„Unsere Vorhersage war exakt richtig“

Was nach einer bitteren Parodie auf den Zustand der Linken klingen mag, ist offenbar ernst gemeint. Dafür spricht, dass bei der Eröffnung auch Robert Misik, Autor etlicher politischer Bücher, gesprochen hat – und zwar, wie man es von ihm gewohnt ist, durchaus Kluges. So gab er zu, dass der Kapitalismus auch Gutes gebracht habe – und sich länger als funktionsfähig erwiesen habe, als Marx annehmen wollte. Seine Wortschöpfung „Kaputtalismus“ mag zwar etwas marktschreierisch sein, bemerkenswert ist aber, dass er ganz sozialdemokratisch für langsame Transformation plädiert – und gegen die Angstlust vor einem Kollaps des Systems eintritt. Sympathisch an Misik ist auch, dass er nie vorgibt, alles schon immer besser gewusst zu haben. Ganz im Gegensatz zu Graeme Maxton, dem Generalsekretär des Club of Rome, der seine Rede gleich mit denkwürdigen Worten begann: „We were right all alone. The forecast we made was exactly right.“ Was soll man dem hinzufügen? Vielleicht, dass es gruslig wirkt, wenn ein Redner allen, die anderer Meinung sind, „riesige Lügen“ vorwirft. Lachen darf man darüber wohl auch nicht: „Ignoranz, Zynismus, Spott und ahistorische Unwissenschaftlichkeit sind unser gemeinsamer Feind“, heißt es im Vorwort des Buchs.

Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung dagegen sprach sich „wider die Vermessenheit des Messens in der Klimapolitik“, gegen „metrisch ausgerichteten Geist“, Quantifizierung und das, was sie Epistemizid, also erkenntnistheoretischen Mord, nennt, aus.

Ähnlich skurril scheint, dass das Tribunal nach „überpositivem Recht“ wirken soll, und zwar dezidiert in der Tradition der Nürnberger Prozesse. Der Ausgang jedenfalls scheint bereits jetzt klar. Schon bei der Präsentation war öfter von Kapitalismus als Verbrechen, einmal sogar als „crime against humanity“ die Rede. Die Prozessordnung enthält immerhin den Satz „Die Todesstrafe bleibt abgeschafft“. Ist ja beruhigend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2016)

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