Ein Stück über die Schrecken von gestern – und morgen

(c) Andrea Klem/Nestroyhof
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„Morsch“ im Theater Nestroyhof: Spannend, ergreifend, tragikomisch.

Von welchem Regime hier genau die Rede ist, bleibt unerwähnt in „Morsch (Im Nachhinein)“, jenem Stück vom Schweizer Jérôme Junod, das im Theater Nestroyhof Hamakom unter seiner Regie uraufgeführt wurde. Ein totalitäres Regime muss es gewesen sein, eines, in dem Menschen ausgegrenzt, gefoltert und ermordet wurden. Eines, das irgendwann vorbei, in den Köpfen der Menschen aber längst nicht abgeschlossen war. Und das schließlich mehr verdrängt als aufgearbeitet wurde.

In geschickt konstruierter, zuweilen tragikomischer Weise verhandelt Junod das Thema in fünf Handlungssträngen, über fünf Generationen, deren Geschichten verwoben sind: Da sind zwei Häftlinge, die auf ihre Befreiung warten, eine Familie beim Abendessen, die die Opfer von damals für die Schurken von heute hält, eine Intellektuellenrunde, die sich über die Deutungshoheit über die Vergangenheit streitet, eine Gruppe schulschwänzender Teenager, die die Ereignisse nur noch aus der Musicaladaption kennt – und da sind die Gefangenen von morgen.

Die Darsteller (Jan Nikolaus Cerha, Saskia Klar, Martin Schwanda) wechseln von einer in die nächste Generation auf der mit Rindenmulch übersäten Bühne, sie beherrschen die komischen wie die bedrückenden Momente. Wer zu den Guten, wer zu den Bösen gehört, muss mit jeder Wendung neu verhandelt werden. „Niemals vergessen“ wird als Stehsatz, der seine Bedeutung verloren hat, immer wieder genannt. Eines lässt das Stück nicht vergessen: Wir wissen nicht, was die Schrecken der Zukunft sein werden. Doch die Mechanismen des Schreckens, die werden wohl dieselben sein. Großer Applaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)

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