In Gorkis "Nachtasyl": Bitte mittrinken!

Und dann kommt Wodka ins Spiel - im "Nachtasyl" im Wiener Burgtheater.
Und dann kommt Wodka ins Spiel - im "Nachtasyl" im Wiener Burgtheater.(c) D. Matvejevas
  • Drucken

Regisseur Oskaras Koršunovas hat das zeitlose Lehrstück über das Elend radikal gekürzt. Die vitale und blendend gespielte Aufführung bedient allerdings Klischees vom herzlichen, aber haltlosen "Ostler".

In einem „höhlenartigen Kellerraum mit von Rauch geschwärzter Deckenwölbung“ spielt Maxim Gorkis Nachtasyl, 1902 in Moskau uraufgeführt: Ein rohes Stück im Vergleich zu den ebenfalls in dieser Zeit erstmals gezeigten Tschechow-Werken, deren Rauheit erst später entdeckt wurde. In der derzeitigen „Drei-Schwestern“-Version von David Bösch im Burgtheater zum Beispiel geht es teilweise ähnlich zu wie in „Nachtasyl“. Das ist auch ein wichtiger Aspekt des Gorki-Dramas: In seinen „Szenen aus der Tiefe“, wie der Untertitel von „Nachtasyl“ lautet, bilden sich „Szenen aus der Höhe“ ab, nämlich aus der besseren Gesellschaft, die nicht weniger - aus wirtschaftlichen Gründen - den Boden unter den Füßen verloren hat als die einfachen Leute. Der litauische Regisseur Oskaras Koršunovas platziert die Typen aus „Nachtasyl“ wie zu einem Meeting an einem langen Tisch, zunächst geht es sehr gesittet zu.

"Schlägt Sie Ihr Mann? Wirklich nicht?"

Dann kommt Wodka ins Spiel. Die Akteure fordern das Publikum auf, mit zu trinken, man umhalst einander und flirtet. Mit der Zeit wird es sehr laut und wüst – und am Ende geschieht etwas Unerwartetes. Das Publikum bei der Premiere Montagabend im Künstlerhaus-Theater, das mit seiner Keller-Atmosphäre für die Aufführung der ideale Ort ist, spielte zurückhaltend mit. In Litauen sieht das vermutlich anders aus, schon allein, weil es keine Verzögerungen von Pointen durch die Übersetzung gibt. Ein Zuschauer verpasste auf Aufforderung einem Spieler einen Kinnhaken, der stürzte fast zu Boden, Show oder Ernst? Eine Besucherin antwortete auf die Frage, ob ihr Mann sie schlage, leicht empört: „Nein!“ Das kommt noch, erwiderte die Schauspielerin (Nelé Savičenko als Kwaschnja, eine zornige Frau mittleren Alters, die das Heiraten als einen Weg zu Ausbeutung und Prügeln verdammt). Koršunovas hat Gorkis Stück, das vier Akte hat, auf einen, im wesentlichen den vierten, zusammen gefasst – und eine kräftige Prise aus Becketts „Warten auf Godot“ hinein gemischt. Es geht um nichts weniger als den Sinn des Lebens und die Essenz des Menschseins.

Was will Gott von den Menschen? Will er was?

Ein abwesender und rätselhafter Gott, „der Alte“, blickt herab auf seine desolaten Geschöpfe, den Kürschner, den seine Frau betrog und der sein Geschäft verlor, den heruntergekommenen Baron, der von seinem noblen Vorleben erzählt, auf den charismatischen Mörder und den Tatar, der betet und sich erst spät den Säufern anschließt. Man sieht den Abscheu des Moslems vor den entfesselten Trinkern - und doch kann er sich ihnen nicht entziehen. Dies ist ein Stück über die Fremdheit, die Figuren sind aus ihrer „bürgerlichen“ Existenz herausgerissen, Schauspieler und Publikum scheinen einander teilweise wie fremdartige Tiere zu betrachten. Insofern ist die Aufführung – die als Illustration der Stimmung in einem vom Kommunismus befreiten und dann von der Wirtschaftskrise heimgesuchten Land gedacht ist – interessant. Aber, wer mehr als die Hälfte des Original-Textes schwänzt, darf der sich noch auf Gorki berufen? Eine Frage, die man sich bei solchen Aufführungen, die es ja ziemlich oft jetzt gibt, immer wieder stellt. Irritationen ergeben sich auch daraus, dass diese Produktion sehr stark Klischees vom „russischen Menschen“ (herzlich, aber haltlos) bedient, sonderbar für eine litauische Truppe. Gorkis Drama, durchaus verortet in Zeit und Milieu, verhandelt die Zerstörung des Charakters, der Individualität durch das Elend durchaus ideologischer und universeller. Darum wird sein Werk auch allüberall gespielt. (Mittwoch, 25. 5. Publikumsgespräch im Anschluss an die einstündige Aufführung im Festwochenzentrum im Künstlerhaus)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.