Wiener Festwochen: Müllers Gespenster der Revolution

Gescheiterte Aufrührer in der Karibik, ein Nachspiel zur Französischen Revolution (von links): Hagen Oechel, Corinna Harfouch, Janko Kahle.
Gescheiterte Aufrührer in der Karibik, ein Nachspiel zur Französischen Revolution (von links): Hagen Oechel, Corinna Harfouch, Janko Kahle. (c) Katrin Ribbe
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„Der Auftrag“ wird bei Tom Kühnel und Jürgen Kuttner zur bunten Zirkusnummer mit einem ehrfürchtig fernen Nachklang auf den großen DDR-Dramatiker.

„Liberté – Égalité – Fraternité“ steht in gezierten Versalien oben auf dem tiefroten Vorhang im Theater an der Wien, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, wie einst 1789 in Paris erhofft. Ein nostalgisches Fest der Ungeduld des Herzens war offenbar am Montag bei den Wiener Festwochen angesagt, zur Österreich-Premiere von Heiner Müllers „Der Auftrag. Erinnerungen an eine Revolution“. Tom Kühnel und Jürgen Kuttner führten Regie bei dieser Inszenierung für das Schauspiel Hannover und die Ruhrfestspiele Recklinghausen, die im Frühjahr 2015 im Theater Marl Premiere hatte. Nun hat der hehre „Auftrag“ Wien ereilt.

Vorn im Orchestergraben nimmt eine feine Combo Platz. „Die Tentakel von Delphi“ haben Schwung. Schon hebt sich der Vorhang, die Sicht auf eine mit weiteren Vorhängen gesäumte Bühne ist frei. Ein Radiosprecher fragt: „Kommt er, oder kommt er nicht?“ Er kommt. Man hört nun den 1995 verstorbenen ostdeutschen Autor Heiner Müller, seine Lesung dieses Dramas war 1980 mitgeschnitten worden, sie wird fast zur Gänze in diese Inszenierung montiert.

Die sonore Stimme des damals 51-Jährigen dominiert den Abend, die sieben Darsteller auf der Bühne sind im Vergleich dazu Statisten, sie bewegen die Lippen, wenn der Meister spricht, sie sind nur Beiwerk, da mögen sie sich noch so sehr als fahnenschwingende Artisten bemühen, als Teekannen und Tassen verkleiden, eine Show als riesige Pudel bieten oder als längst verblasste Klassenkämpfer. Auch Kuttner, ein neuer Müller in Kunstlederjacke und mit Mikrofon, wird zum schlecht synchronisierten Akteur. Ein Epigone. Die Geschichte wiederholt sich als Farce. Selbst Corinna Harfouch als trauriger Weißclown behauptet sich nur mit Mühe neben dem großen Toten, obwohl sie ein grandioses Solo hat, eine rasende Gegenrede zur monotonen Radiostimme, über einen Auftrag, der nie bei ihr ankommt. Harfouch hat Müller gut gekannt, mit ihm gearbeitet. Der Text scheint ihr nahezugehen.

Die Antwort des Weltgeistes: Napoleon

Trotzdem (oder gerade deshalb?) wünscht man sich, dass der Manegenzauber auf der Bühne nicht gar so aufdringlich von der Stimme des Dramatikers ablenkte. Das Herumturnen ermüdet in eineinhalb Stunden viel rascher als Müllers posthumer Monolog. Und das wird zum Problem der Altenehrung. Die Bilder sind originell, sie wirken aber geschwätzig im Vergleich zum Text, der vom Scheitern dreier Abgesandter der Französischen Revolution berichtet, die in Jamaika einen Sklavenaufstand initiieren sollen. Sie spielen dabei mehr oder minder gekonnt ihre Rollen, zwei von ihnen können ihre Maske nicht behalten, als sie einen gemarterten Sklaven in einem Käfig sehen. Nur der Jakobiner Debuisson, Sohn aus privilegiertem Haus (hier ist er der Clown), erträgt das Leid. Er scheitert aber letztendlich so wie der brutale Bauer Galloudec und der unterdrückte Schwarze Sasportas. Weiß, rot und blau sind diese Figuren, wie die Flagge der großen Nation. Frankreich, von dem aus die Revolution in die Kolonien getragen werden sollte, wird bereits von einem General regiert. Die Antwort des Weltgeistes: Napoleon. Es ist längst zu spät für den Auftrag.

Ende der Geschichte? Nein, die Müller-Maschine, sie arbeitet noch, sie wirft immer wieder aufs Neue Fragen auf. Kühnel und Kuttner bieten dafür keine alten Antworten, sie flüchten in grelle ironische Verkleidungen, die apart anzusehen sind. Ohne Video geht in postmüllerschen dramatischen Zeiten gar nichts mehr. Da liefern sich die Protagonisten von einst als Pappfiguren in einer Tricksequenz gnadenlose Kämpfe: Danton und Robespierre im Dauerclinch, einmal verirren sie sich sogar in Marats tödliche Badewanne. Die Darsteller sind auch als KP-Ideologen verkleidet, das wird per Kamera auf einen transparenten Screen übertragen: Marx ist schlank geworden, seine Witzfigur hat einen noch längeren Rauschebart als das Original. Rosa Luxemburg scheint ordentlich gewachsen zu sein. Stalin, Lenin, Mao und Che sehen verdächtig wie Ossis bei einem Maskenball aus. Unterm Mummenschanz aber lauert Verrat. Was sagt Debuisson in einem Moment der Schwäche zu Sasportas? Was sagt uns Heiner Müller in einem Augenblick der Klarheit? „Ich fürchte mich vor der Schande, auf dieser Welt glücklich zu sein.“

Letzter Termin im Theater an der Wien: 25. Mai, 18 Uhr. Mit Corinna Harfouch, Janko Kahle, Jürgen Kuttner, Daniel Nerlich, Hagen Oechel, Julia Schmalbrock, Jonas Steglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2016)

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