Psychotrip nach Solaris wird zur Geduldsprobe

Solaris
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Andriy Zholdak verrennt sich bei den Festwochen in Stanisław Lems komplexem utopischen Roman.

Ein Astronaut im weißen Anzug klinkt sich aus. Schon fliegt er, sich immer schneller drehend, in die unendlichen Weiten des Alls, bis er nur noch ein Punkt ist. Dieser Alptraum hat dem ukrainischen Regisseur Andriy Zholdak so gut gefallen, dass er eine kurze Filmsequenz davon auf riesiger Leinwand im Museumsquartier circa ein Dutzend Mal wiederholen ließ, vor und nach der Pause bei der Premiere von „Solaris“ am Freitag bei den Wiener Festwochen. Das war symptomatisch für die dreieinhalb Stunden lange Aufführung des mazedonischen Nationaltheaters Skopje. Solche Schleifen werden auf allen Ebenen gemacht, bis es schmerzt, schließlich langweilt. Ihre Botschaft lautet wohl: Schaut her, wie tief und avantgardistisch wir sind! Zwar gelingen punktuell fantastische Bilder, aber meist kratzt die Aufführung nur an der Haut.

Zholdak hat sich auf die Spur des Romans „Solaris“ begeben – eines vielschichtigen Werks des polnischen Jahrhundertschriftstellers Stanisław Lem aus dem Jahr 1961. Der Regisseur nimmt auch Anleihen bei der Bildwelt der eindrucksvollen sowjetischen Verfilmung durch Andrej Tarkowski von 1972. Er kommt aber an die Komplexität des Romans bei Weitem nicht heran, und im Vergleich zum stilbildend ruhigen Film wird gar noch entschleunigt – zum Nachteil der Aufführung. Viele Szenen wirken unpassend pathetisch, dilettantisch und seltsamerweise geschwätzig, obwohl fast gar nichts gesprochen wird (Mazedonisch mit deutschen und englischen Übertiteln).


Roman und Film sind hier nur ein Ausgangspunkt: Der Psychologe Kris Kelvin wird zur Raumstation über dem Planeten Solaris geschickt, weil es dort Probleme gibt. Es herrscht Chaos, die Mannschaft, die lang schon den alles bedeckenden Ozean erforscht, der offenbar organisch ist und ein Eigenleben entwickelt, scheint verrückt geworden zu sein. Einer der drei hat sich umgebracht, zudem gibt es offenbar noch mehr Leute hier. Kelvin dokumentiert die Vorgänge auf der Station und weiß selbst bald nicht mehr zwischen Realität und Traum zu unterscheiden. Er trifft zum Beispiel auf seine Frau, die vor Jahren Selbstmord begangen hat. Seine Schuldgefühle deshalb sind enorm.

Die Romanfiguren Snaut und Sartorius auf Solaris spielen bei Zholdak nur absurde Nebenrollen, die Begegnung von Kris (Dejan Lilić) mit seiner toten, in der Fantasie zu tötenden Frau Rheya (Darja Rizova), steht im Zentrum der Inszenierung, die vor der Pause in abstraktem Raum spielt (Bühnenbild: Andriy Zholdak und Monika Pormale). Der Astronaut legt sich auf eine helle Liege in einem Glaskasten – eine Rakete vielleicht. Sie wirkt wie ein Sarg. Das gewellte Möbel darin könnte die schicke Ordination eines Psychiaters zieren.

Bald doppeln sich Figuren. In der Erinnerung sind Kris und Rheya verliebte Jugendliche, Kinder. Sie werden heiraten, aber die Geschichte geht böse aus. Es herrscht Symbolismus: Messer werden gezückt, Kerzen angezündet, all das geschieht provokant langsam, mit Wiederholungszwang. Besonders penetrant sind neben der einschläfernden Musik die verstärkten Geräusche. Jeder Schritt wird zum lauten Knirschen, jedes Absetzen von Objekten oder Schließen von Türen ist eine Detonation. Das wirkt bald komisch, auch in Mimik und Gestik. Lilić in Großaufnahme spielt übertrieben wie in einem Stummfilm, fallsüchtig tanzt Rizova pure Verzweiflung, rauft sich das Haar.

Seltsame Bräuche: Kelvin bedeckt den Sarg der Frau mit Nüssen, vergeht sich an einem Zimmermädchen. Er hat einiges abzuarbeiten, auch an den Beziehungen zu den Eltern. Der Vater wollte den Buben einst zwingen, einen Vogel zu schießen, der später groß wie ein Menschenkind an der Rampe liegt. Nach der Pause folgen Erinnerungen an das Blockhaus der Eltern in der Natur. Es rauschen die Wälder, Wild rennt vorbei, von Wölfen gehetzt. Knabe Kris beobachtet alles, etwa dass er als Erwachsener ein Messer unter dem Bett versteckt. Rheya taucht auf, ebenfalls in zweierlei Gestalt. Spät kommt das Motiv der Verzeihung. Und dann und wann ein Meteor, groß wie eine Raumkapsel oder klein wie ein Kopf. Besuch vom Horror Vacui. Ein Astronaut verschwindet im All. Welche Pein!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2016)

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