„Rodin“: Ballett-Psychologie und Polsterschlacht

(c) Burgtheater/Stanislav Belyaevs
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Das Eifman Ballett beeindruckt im Burgtheater mit „Rodin“: Athletischer Tanz, Gefühlsausbrüche und Bilder wie ein Scherenschnitt. (Noch heute, Montag, um 19.30 Uhr zu sehen)

Dieser Abend könnte genausogut „Camille“ anstatt „Rodin“ heißen. Die französische Bildhauerin und Malerin Camille Claudel, für die der 24 Jahre ältere Auguste Rodin zunächst Lehrer, später auch Geliebter war, hat in ihrer Lebensgeschichte mehr Drama als selbst das russische Ballett an einem Abend über sein Publikum auszuschütten vermag. Schon Camilles Geburt war für ihre Mutter ein Missverständnis – denn das Mädchen konnte den Verlust des Erstgeborenen nicht wett machen, der im Alter von nur zwei Wochen gestorben war. Das Verhältnis blieb belastet. Als Camille nach ihrer Trennung von Rodin in eine finanzielle und emotionale Krise schlitterte, war ihr die Mutter keine Unterstützung. Sie soll sie kein einziges Mal in einer der psychiatrischen Anstalten besucht haben, in denen Camille die letzten dreißig Jahre ihres Lebens zubrachte.

Boris Eifman lässt die psychische Umnachtung gegen Ende seines abendfüllenden Balletts, das am Sonntag im Burgtheater gezeigt wurde, in Form eines riesigen schwarzen Tuchs auf die Unglückliche sinken – sie wehrt sich noch gegen den Griff unsichtbarer Gestalten, die nach ihr greifen, aber letztlich ergibt sie sich in ihr Schicksal und reiht sich ein in die Schlange der weiß gewandeten, der Welt entrückten Frauen, die langsam von der Bühne schreiten . . .

Auch Rodin hat an diesem bildgewaltigen Ballettabend der St. Petersburger Compagnie von Boris Eifman viel zu leiden. Doch er ist ein Egozentriker, letztlich ist ihm nichts so wichtig wie er selbst und seine Kunst. Er flüchtet sich im Alter (das Stück springt immer wieder von der Zukunft in die Vergangenheit) in die Obhut seiner Frau Rose Beuret (Maria Abashova) – Rodin hat sie erst im Alter von 76 Jahren geheiratet, einen Monat später starb sie an Lungenentzündung.

Im Stück treffen die beiden Frauen immer wieder aufeinander. Sie eifern gegeneinander, doch während Rose ihre Emotionen weitgehend hintan stellt, bricht es aus Camille in geradezu herzzerreißenden Szenen hervor – so leidenschaftlich, wie sie sich am Beginn in die Arme dieses bewunderten Künstlers wirft, so gewaltig sind auch ihre Gefühlsausbrüche, als ihre Liebe zu zerbrechen droht. Man möchte der jungen, schönen Camille (dargestellt von der athletisch-eleganten Lyubov Andreyeva) gleich zu Beginn warnend zuflüstern: Lass die Finger von dem Typen! Als ihr Rodin (Oleg Gabyshev) die Knetmasse aus den Händen schleudert, mit der sie unablässig spielt, ist sie hin und her gerissen: Soll sie sich der Kunst ergeben – oder diesem faszinierenden Künstler, den die strenge Kritikermeute (alle im grünen Frack, mit rotem Notizbuch) ebenso verehrt wie die frechen Studenten, die den Frauen, die ihnen Modell stehen, gerne auch unter den Rock greifen.

Ein „Theater der Gefühlsoffenbarung“

Eifman versteht es meisterlich, diese Emotionen mit all ihren Ecken und Kanten in eine ebenso sinnliche wie verstörende Körpersprache zu übersetzen, die Duette und Gruppentänze sind rasant – und man begegnet einer ganzen Palette von Gefühlen, von besinnungsloser Hingabe bis zum abgrundtiefen Hass. Er hat eine Faible für Drama und Tragödien, er interessiert sich sehr für psychologische Aspekte und für die Abgründe der Seele. Eifman selbst nennt seine Theaterform „Psychologisches Ballett“ oder auch das „Theater der Gefühlsoffenbarung“. An der Wiener Staats- bzw. Volksoper hat das Publikum schon seine Stücke „Anna Karenina“ und „Giselle Rouge“ erlebt – getanzt vom Wiener Staatsballett. Nun brachte Eifman erstmals seine eigene Compagnie nach Wien – ein erstklassiges Ensemble, das es versteht, den hohen Anforderungen mit Leichtigkeit zu begegnen. Da fliegen die Damen in energiegeladenen Pas de Deux nur so in die Lüfte oder schleudern über den Boden, die Verrenkungen, die die Modelle für den Meister vollführen müssen, tun einem schon beim Hinsehen weh. Hier sind nicht nur Tänzer am Werk, es sind künstlerische Athleten.
Und Eifman versteht sich aufs Theater. Er komponiert aus Licht und Schatten Szenen wie Scherenschnittbilder. Er verstärkt die Dramatik durch die Musik von Ravel, Saint-Saëns und Massenet (alles vom Band). Und er übertreibt, wenn er die Frauen in der Irrenanstalt als dümmlich grinsende Polsterschlacht-Widersacherinnen darstellt. Aber das sei verziehen. Es war ein beeindruckender Ballettabend. Chapeau!

Heute, Montag, um 19:30 Uhr im Burgtheater

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