Menschenkette am Weg zum sexuellen Abgrund

„BiT“
„BiT“(c) Hervé Deroo/ImPulsTanz
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ImPulsTanz-Eröffnung: In Maguy Marins „BiT“ ist es nicht weit von der Party zum Tod – surreal und zu drastisch.

Am Anfang lullt Maguy Marin mit ihrem Stück „BiT“, das am Donnerstag das ImPulsTanz-Festival eröffnete, das Publikum in Normalität ein: Menschen, deren Durchschnittskörper in Allerweltskleidung stecken, tanzen einen Kettentanz. Sie wirken vertraut, unaufgeregt, locker. Die Herren umgarnen die Damen ein wenig, die Ladies lächeln. Die Szenerie wirkt wie beim 80er des Familienpatriarchen, wo sich nach einem üppigen Mahl kollektive Zufriedenheit breitmacht – die Beteiligten aber (noch) nicht so betrunken sind, dass die Stimmung kippt. Nur das Licht irritiert. Ist es nicht viel zu düster? Wie in Zeitlupe tanzen die drei Männer und drei Frauen, werden schneller, als Technobeats aus dem Lautsprecher wummern (hat ein Teenager ungefragt begonnen, von seinem Smartphone die Party-Playlist abzuspielen?). Die Tänzer tanzen wilder, klatschen, rutschen übermütig wie Kinder über eine der schiefen Ebenen, die hier als Bühnenbild und Blickschutz dienen. Dahinter ist es dunkel. Ein guter Platz für den heimlichen Geschlechtsverkehr, den einer der Männer einer in der Gruppe aufzwingt . . .

Nackte auf einem (blut-)roten Fließband

Bald macht's hier jeder mit jedem. Über eine der Rampen wird ein roter Teppich ausgerollt: Der Sexualtrieb kriegt seinen großen Auftritt. Über die rote Bahn gleiten ineinander verhakte Körper, die nur teilweise in Tücher gehüllt sind: ein (blut-)rotes Fließband voller Menschenfleisch. Am Boden angelangt, gibt man sich dem Gruppensex hin. Das Ganze wird immer surrealer. Es treten auf: nackte Männer im liegenden Zweikampf (wie zwei Eidechsen); bleiche Gestalten, die uns an den Tod (und „The Walking Dead“) erinnern; Kapuzenträger, die einen leblosen Körper über die Rampe werfen (als ständen sie am Rande einer Pestgrube) und gemeinsam eine junge Frau vergewaltigen.

Marin verwendet nicht die feine Klinge, um es dem Publikum ins Hirn zu ritzen: Von Smalltalk und Augenzwinkern zu Belästigung und Vergewaltigung ist es nicht weit. Zurück geht es auch schnell: Schon sind alle wieder in der Festmontur beim Kettentanz, als wäre nichts gewesen. Wieder kommt es zum Übergriff, bis die Frau rücklinks von der Rampe kippt. Am Ende ist man froh, wenn der letzte (freiwillig) ins Dunkel springt, so drastisch, so eindeutig ist dieses düstere Stück. (i. w.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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