"Ich habe mich in seine Kunst verknallt"

NESTROY 2006: MAERTENS/OFCZAREK
NESTROY 2006: MAERTENS/OFCZAREKAPA
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Nicholas Ofczarek und Michael Maertens spielen bei den Salzburger Festspielen heuer Samuel Becketts "Endspiel". Das eingespielte Paar im Doppelinterview über gegenseitige Komplimente und die Stille zwischen den Worten.

Sie treten so häufig gemeinsam auf, dass man fast schon meinen könnte, Sie seien ein Paar. Empfinden Sie das auch so?

Michael Maertens: Absolut.

Nicholas Ofczarek: Nein.

Die Frage war nicht anzüglich gemeint, aber bei intensiver Zusammenarbeit kennt man sich doch genau. Könnten Sie uns gegenseitig Ihre Stärken und Schwächen verraten?

Ofczarek: Wir durchleben eine sehr interessante gemeinsame Phase. Wir schätzen uns sehr, ohne dass dies eine falsche Harmonie ist. Wir sind einfach im Guten angekommen. Das hat seine Zeit gebraucht, wir sind doch zwei sehr verschiedene Menschen, mit ganz unterschiedlichen Mentalitäten. Herr Maertens ist ein großartiger Kollege und toller Partner. Ich will an ihm keine Schwächen finden. Selbst wenn es welche gäbe, würde ich sie Ihnen nicht sagen. Das Positive am häufigen Zusammenspiel ist, dass man weiß, was es braucht, um den anderen zu heben. Das ist viel wichtiger, als sich selbst zu heben. So kann man sich gegenseitig Schanzen bauen. Dazu gehört auch, dass man es dem anderen schwermacht, damit er noch höher springen kann.

Maertens: Ich kann nur emotional antworten. Bei der ersten Begegnung mit Herrn Ofczarek dachte ich: Was ist das denn? Rasch kam ich zu der Einschätzung: Der ist aber gut, und: Der ist doch ganz anders als ich! Das führte zu einem fast suchtmäßigen Angucken, im Theater wie im Film. Und auf einmal fühlt es sich fast wie Verliebtheit an. Ich habe mich ein bisschen in seine Kunst verknallt.

Samuel Becketts „Endspiel“, in dem Sie demnächst bei den Salzburger Festspielen den Hamm beziehungsweise den Clov geben, ist inzwischen 60 Jahre alt. Was macht den anhaltenden Reiz dieses Stücks aus?

Ofczarek: Es ist ein fantastisches Kunstwerk, hat so viele verschiedene Codes, die nicht einfach zu entschlüsseln sind. Daran arbeiten wir derzeit bei den Proben sehr hart. Beckett spielt sich gut, das merken wir in jeder Phase des Erforschens.

Maertens: Das „Endspiel“ hat eine unschlagbare Komposition, es ist immer gültig. In ihm geht es um die ganz großen Themen: Leben, Tod, Vergänglichkeit, Liebe. Warum sind wir überhaupt hier? Darüber kann man weinen, lachen und staunen. Dieses Stück ist für jeden, der auch nur ein bisschen sensibel ist, berührend.

Macht Ihnen dieses Drama auch Angst?

Ofczarek: In den Fünfzigerjahren hat man aus ihm das Postapokalyptische herausgelesen. Aber es verursacht keine Angst in mir. Es ist ein Spiel. Je mehr man nach seinem Rhythmus sucht, in den Text eindringt, desto tiefer wird es. Und geht auch in die eigene Biografie. Ich würde das „Endspiel“ auch nicht in die übliche Kategorie „Absurdes Theater“ stecken wollen.

Maertens: Es ist absurd wahr.

Beckett hat sehr genaue Regieanweisungen gegeben. Sein Text ist voller Musikalität. Wird es dadurch für den Schauspieler leichter oder schwieriger?

Ofczarek: Obwohl alles so exakt notiert ist, bleibt es Gefühlssache, wie lang man eine Pause macht, wenn im Text „Pause“ steht. Wenn man Becketts Anweisungen und dem Inhalt gewissenhaft folgt, setzt das sehr viel frei. Es fängt an zu fließen. Jede Pause, jeder Gang wird Teil einer Partitur.

Maertens: Wir lernen nicht nur Worte, sondern auch die Stille dazwischen. Stellen Sie sich vor, Beckett hätte durch seine Regieanweisungen nicht geholfen. Sie erleichtern die Umsetzung immens.

Sie sind als Clov die einzige von vier Figuren, die sich frei bewegen kann. Leiter rauf, Leiter runter, hin und zurück, Dinge vergessen, erneut vor und zurück. Was Sie tun, ist auch präzise vorgegeben. Ist das schwer umzusetzen?

Maertens: Diese Vorgänge sind kein Slapstick, sie entstehen aus der Konfusion der handelnden Figur. Das ist nicht lustig. Ein Aspekt der Clownerie wird sich vielleicht von selbst ergeben, aber diese Menschen hier empfinden doch vor allem Schmerz und Verzweiflung.

Auch ein Machtspiel vollzieht sich, vor allem zwischen Hamm und Clov . . .

Maertens: Sie sind Clowns, vielleicht Vater und Sohn, Herr und Diener, ein Paar. Es geht um Macht, aber auch um Freundschaft.

Ofczarek: Was die beiden eint, ist die Ohnmacht in ihrer Situation. Jeder versucht sich deshalb auch zu ermächtigen. Das geschieht über Manipulation und Druck und verschiedene Mechanismen, die dem menschlichen Handeln eigen sind.

Hamms einziges Atout ist die Sprache. Er ist blind und lahm. Clov könnte doch jederzeit weggehen, oder etwa nicht?

Ofczarek: Wo sollte Clov denn hin, aus diesem geschlossenen Raum im Nirgendwo? In die Küche mit ihren drei mal drei Metern? Hamms Sprache ist die Materialisierung der eigenen Geschichte und das Wissen um die andere Biografie, inklusive jener der Eltern Nagg und Nell, die fast schon bewegungsunfähig in zwei Mülleimern dahinvegetieren.

Wie sehr beeinflusst Becketts Musikalität die Aufführung? Eine Herausforderung?

Maertens: Sie durchdringt das Spiel von Anfang bis Ende, sorgt für absolute Präzision. Wenn wir mit dem Proben fertig sind, gehe ich davon aus, dass sich die Aufführung auch nach drei Jahren garantiert um höchstens eine Minute in ihrer Länge verändern wird.

Ofczarek:Jedes Stück ist auch Musik. Nur durch den richtigen Rhythmus stellt sich auch der Atemrhythmus des Zusehers auf das ein, was er sieht. Sie fragen nach der Herausforderung durch Beckett? Mein Gott, ich denke mir eigentlich bei jedem Autor, den ich entdecken darf, das sei jetzt eigentlich das schwerste Stück. Dasselbe denke ich jetzt auch bei meiner ersten Erfahrung mit diesem Autor auf der Bühne.

Maertens: Ich habe mir Beckett immer gewünscht, hielt mich aber lang für zu jung. Dann habe ich in Bochum „Warten auf Godot“ gespielt. Das war für mich ein toller Kosmos. Er war aber zugänglicher und einfacher. „Godot“ hat mich dann doch für das „Endspiel“ gewappnet.

Ist es ein Vorteil, dabei mit einem erfahrenen Regisseur wie Dieter Dorn zusammenzuarbeiten, der bereits längst aktiv war, als Beckett noch gelebt hat?

Ofczarek: Dorn hat Beckett persönlich nicht gekannt, wohl aber Leute, die mit ihm gearbeitet haben. Trotzdem ist es auch für ihn erst der zweite Beckett, er hat zuvor „Glückliche Tage“ inszeniert.

Maertens: Über Dieter Dorn rede ich gern. Ich habe mit ihm in München drei Jahre gearbeitet. Er hat alles auf den Kopf gestellt. In München war es damals ab den Achtzigerjahren das Theater in Deutschland. Er war ein toller Intendant, nun ist mit dem Alter noch eine Schönheit und Weisheit, Agilität und Freundlichkeit dazugekommen, die mir imponiert. Auch die Besessenheit fällt auf, mit der er dem Stück gerecht werden will.

Ofczarek: Wir sind sehr, sehr glücklich.

Beckett hat einmal angemerkt, dass vielen Regisseuren der Sinn für die Form abgehe. Kann man sich in seinen Dramen verirren?

Ofczarek: Wir werden uns am Ende nicht mehr verirren. Man darf dieses Stück mit seinen Wiederholungsmustern aber auf keinen Fall routiniert spielen, muss es jedes Mal neu gehen, neu entdecken. Man hält sich an die Partitur, das allein aber wäre zu wenig. Es braucht Seele, nicht nur Mechanik. Sehr viele Fragen beantworten sich über das Spielen, so wie auch bei Shakespeares Dramen. Es gibt sehr viele Rätsel zu entdecken.

Stellen Sie sich dabei gegenseitig Fragen?

Ofczarek: Wir stellen uns wenig Fragen.

Maertens: Wir tauschen nur gegenseitig Komplimente aus.

Ofczarek: Wir sind so abhängig voneinander, dass wir uns gegenseitig ziehen . . .

Maertens: . . . und stützen und heben.

Als Hamm müssen Sie Geschichten erzählen. Ergeben sie denn Sinn?

Ofczarek: Ja. Hamm erzählt einmal aus seinem Roman. Letztlich beschreibt er darin seine Ankunft. Als Autor schreibt man doch nur aus sich heraus. Hamm erzählt von einem kleinen Jungen. In dem Moment, als er auftaucht und wächst, endet die Geschichte.

Maertens: Bei einem Teil dieser Geschichte bin ich gar nicht dabei. Aber es gibt den rührenden Moment, in dem ich nachfrage, wie die Geschichte weitergeht.

Ofczarek: Das Erzählen ist auch ein Mittel von Hamm, um Clov zu halten. Dieser droht doch damit, ihn zu verlassen.

Es fragt sich, wie Sie bereits bemerkt haben, wohin er gehen soll. Wenn Sie als Clov auf die Leiter steigen und aus dem Fenster schauen, was sehen Sie da wirklich?

Maertens: Im Moment sehe ich die graue Brandmauer. Es wird dann wohl das graue Nichts sein. Ja, ich sehe nichts.

Ofczarek: Es wird wohl so sein, als ob man in das Hirn von Beckett hineinsieht, in den Kopf eines Menschen, dem das Nichts droht.

Maertens: Über Gott heißt es zum Beispiel, der Lump, er existiert noch nicht. Wenn man all diese Sachen hört, kriegt man beinahe Angst, ins Theater zu gehen. Aber diese Furcht ist bei Beckett absolut unberechtigt. Man sieht zwei Stunden lang bei aller grauenhaften Ausweglosigkeit tatsächlich ein sehr unterhaltsames Stück.

Haben Sie eine Botschaft an die Zuseher?

Maertens: Ich appelliere an das Publikum, keine Berührungsängste zu haben. Die Aufführung wird mit Ihnen etwas machen, was in jedem Fall auch schön sein wird.

Ofczarek: Ich würde mich freuen, wenn sich meine Tochter das ansieht. Es handelt auch von Schauspielern, ist immer auch ein Sowohl-als-auch.

Maertens: Es ist trotz der kleinen Besetzung abwechslungsreich. Wir haben Vater und Sohn, ein Ehepaar, ein Schauspielerpaar, Herr und Knecht, Pfleger und Kranker.

Ofczarek: Es gibt auch einen Floh oder eine Filzlaus, eine Ratte sogar. Die kann man als Bedrohung empfinden, aber auch als Hoffnung, dass es weitergeht, dass neues Leben entsteht.

Maertens: Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es diese Tiere überhaupt noch gibt. Diese Passagen zählen zum Slapstick. Sie sind ein Signal, dass man die Stücke nicht allzu ernst nehmen sollte. Beckett war ein großer Fan von Buster Keaton.

Womit ist „Endspiel“ für Sie vergleichbar?

Maertens: Direkt möchte ich keinen Vergleich anstellen. Aber die Proben an dem Stück haben für uns eine ungeheure Auswirkung auf andere Aufführungen, die wir gemeinsam machen. „Die Affäre Rue de Lourcine“ von Eugène Labiche spielen wir, seit wir uns mit diesem Beckett beschäftigen, anders. Wir haben geradezu einen Sprung gemacht, haben viel dazugelernt.

Ofczarek: Mir ist etwas Ähnliches bei „Diese Geschichte von Ihnen“ aufgefallen. Der Autor dieses Stückes, John Hopkins, hat Beckett offensichtlich genau studiert. Es gibt bei ihm sehr viele Motive, sehr viele Beschreibungen, die mich ans „Endspiel“ erinnern. Becketts Drama ist für uns ein immer größer werdender Kosmos, der zum Nachdenken über das Leben an sich anregt.

Steckbrief

1971 wurde Nicholas Ofczarek als Sohn des Opernsängerpaars Klaus und Roberta Ofczarek in Wien geboren. Nach der Matura absolvierte er eine Schauspielausbildung am Konservatorium Wien und spielte danach in der freien Wiener Theaterszene.

1994 holte ihn Claus Peymann ans Burgtheater, dessen festes Ensemblemitglied Ofczarek seitdem ist.

2005 reüssierte er bei den Salzburger Festspielen als Zawisch von Rosenberg in Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“.

2005 und 2006 erhielt er den Nestroy-Theaterpreis (2005 geteilt mit Michael Maertens).

Von 2010 bis 2012spielte Ofczarek den Jedermann in dem gleichnamigen Stück von Hofmannsthal. 2012 feierte Ofczarek zudem einen großen Erfolg mit seiner Rolle in David Schalkos TV-Serie „Braunschlag“. 2015 folgte „Altes Geld“.

2016 spielt Ofczarek den Hamm in Samuel Becketts „Endspiel“ bei den Salzburger Festspielen. Premiere ist am 30. Juli.

Michèle Pauty

Steckbrief

1963 wurde Michael Maertens in Hamburg in eine Schauspielerfamilie geboren.

1984 begann er seine Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München und wurde danach ans Thalia-Theater in Hamburg engagiert.

2001 bekam er nach Stationen beim Deutschen Theater Berlin, bei den Münchner Kammerspiele und beim Berliner Ensemble eine feste Stelle unter Matthias Hartmann am Schauspielhaus Bochum.

Seit 2002/03 war er regelmäßig Gast am Burgtheater. Für seine Rollen in „König Ottokars Glück und Ende“ und Oscar Wildes „Ernst ist das Leben“ bekam er 2005 den Nestroy-Theaterpreis (geteilt mit Nicholas Ofczarek).

2005/06 wechselte er ans Schauspielhaus Zürich, seit 2009/10 ist er fixes Ensemblemitglied am Burgtheater. Maertens ist mit der Burg-Schauspielerin Mavie Hörbiger verheiratet, die beiden haben zwei Kinder.

2016. Bei den Salzburger Festspielen spielt Maertens den Clov in Becketts „Endspiel“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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