Papa Potter und die Kämpfe der Kindheit

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Im achten, in Gestalt eines Theaterstücks erschienenen Teil rückt J. K. Rowling einen Vater-Sohn-Konflikt in den Mittelpunkt – und weicht die Grenzen zwischen Gut und Böse weiter auf.

„All was well.“ In diesen schönen Schlusssatz mündete 2007 der siebte Teil der Harry-Potter-Saga. Besser gesagt: dessen Nachspiel, eine Vorausschau („19 Jahre später“), in der man ganz kurz Ron und Hermine, Harry und Ginny als Eltern sieht, wie sie die nächste Generation zum Zug in die Zaubererschule bringen.

Alles war gut, aber es bleibt nicht gut, sonst gäbe es ja keinen Grund für eine Fortsetzung. Was stört die Harmonie, was treibt die Handlung von „Harry Potter and the Cursed Child“? Im Grunde ein Vater-Sohn-Konflikt. Das ist ein ganz neues Motiv in Rowlings Geflecht, in dem bisher die zentralen Figuren vaterlos waren. Und heimatlos, verloren („forlorn“ blickt Harry Potter auch diesmal laut einer Regieanweisung drein): Der gute Potter, der böse Tom Riddle vulgo Voldemort und der zwischen Gut und Böse changierende Snape, sie seien alle „abandoned boys“, schrieb Rowling im siebten Teil. Verlassene Buben, die in Hogwarts ihr erstes Heim gefunden haben.

Harry ist eine Erlöserfigur

„Das arme Waisenkind, gekommen, um uns alle zu retten“: So verspottet nun Albus Potter seinen Vater – und bringt damit ein zentrales Motiv auf den Punkt. Denn Harry Potter ist eine Erlöserfigur, und wie viele Erlöserfiguren der Religionen und Helden der Mythen, von Ödipus über Moses bis Jesus, war er als kleines Kind einer lebensbedrohlichen Gefahr ausgesetzt. Er ist, so eine stehende Formel in Hogwarts, „the boy who lived“, der Bub, der den Angriff Voldemorts überlebt hat und daher auserkoren ist, diesen zu besiegen. Die Narbe, die ihm von diesem Angriff geblieben ist, schmerzt ihn jetzt wieder, und wie im Wundfieber spricht er von sich selbst als Kind, das sterben muss, um die Welt zu retten.

In der grauen Wirklichkeit ist er ein wenig ambitionierter höherer Magiebeamter, auch nicht sonderlich glücklich. Vor allem, weil er mit seinem Sohn Albus nicht zurechtkommt, ihn nicht versteht. „Wenigstens hast du einen Vater“, sagt er ihm, Albus erwidert: „Ich wünschte, du wärst nicht mein Vater“, Harry gibt zurück: „Manchmal wünsche ich, dass du nicht mein Sohn wärst.“ Eisige Szenen.

Am meisten kränkt den alten Potter, dass sein Sohn mit dem Spross der Familie befreundet ist, die den mit dem Voldemort-Faschismus sympathisierenden Adel repräsentiert: mit Scorpius Malfoy. Dass sich dieser als gar nicht so unsympathisch herausstellt, dass sein Vater Draco nun weniger als kalter Aristokrat denn als ebenfalls besorgter Vater gezeichnet wird, ist eine für Rowling typische Wendung: Bei ihr zeigen die Lichtfiguren – sogar der grundgütige Direktor und Ersatzvater Dumbledore – irgendwann eine dunkle Seite, und die Bösen sind kaum je nur böse. Und wenn, dann hat das einen seelischen Grund: „Tom Riddle was also a lonely child“, sagt Draco.

Reisen mit dem Zeit-Umkehrer

Was also ist die Mission des Sohnes Albus? Die Fehler, die Schuld seines Vaters zu korrigieren. Praktischerweise mit dem Gerät namens Time-Turner, das bereits im dritten Band eingesetzt worden ist. Diesmal geht die Zeitreise zurück in den vierten Band, zum trimagischen Turnier, das Harry nur überlebt hat, weil an seiner Stelle Cedric Diggory gestorben ist. Dessen Cousine Delphi will die Zeitreisen beherrschen: „I am the new past, I am the new future“, sagt sie unheilvoll – und erweist sich schließlich als Tochter von . . .

Genug verraten. Delphis Versuch, die Voldemort-Diktatur durch Eingriff in die Vergangenheit zu etablieren, kann schließlich rückgängig gemacht werden, und so tritt auch die Prophezeiung nicht dauerhaft ein, die da heißt: „When unseen children murder their fathers: then will the Dark Lord return.“ So klingt auch noch ein ödipales Motiv an, das in der Familie Potter quasi sublimiert wird: „I'm a parent who hasn't seen his child“, sagt Harry und erklärt: Das heiße, er habe es nicht verstanden. Da will er sich bessern, am Ende schaffen Vater und Sohn beinahe eine Umarmung. „My childhood was a constant struggle“, gesteht Harry. „So was mine“, antwortet Albus.

Unkomplizierter ist das Familienleben bei Ron und Hermine, die einander, wie aus der Schule gewohnt, nun eben als Ehepaar, liebevoll häkeln: „Keine Ahnung, wo sie ihren Ehrgeiz herhat“, sagt Ron etwa einmal über seine Tochter. Leider nicht weitergesponnen wird ein Motiv aus dem dritten Band, das die politische Bedeutungsebene der Potter-Saga bereichert hat: Hermines quasi gewerkschaftliches Engagement für unterdrückte Hauselfen. Aber man kann, vor allem im Theater, nicht alles weiterspinnen, und Rowling braucht ja auch noch etwas Garn für weitere Teile, mit denen trotz neuer Dementi wohl zu rechnen ist: Über das Seelenleben Tom Riddles würden wir etwa gern noch einiges lernen . . .

„Harry Potter and the Cursed Child“, als Theaterstück verfasst von J. K. Rowling und Jack Thorne, hatte am Samstag Weltpremiere im Londoner Palace Theatre. In Buchform ist es am Sonntag (am Geburtstag von Rowling und Harry Potter) erschienen, die deutsche Übersetzung kommt am 24. September in den Handel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2016)

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