„Romeo und Julia“ bei Friedhofskerzenschein im Abbruchhaus

(c) Barbara Pálffy
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Kultursommer Semmering. Auch abseits der stets ausverkauften Festspiele Reichenau gibt es auf dem Semmering und in dessen Umgebung Theater, Musik und Literatur. Zum Beispiel Shakespeare im Kurhaus.

Nachtigall oder Lerche? Eher Nachtigall. Im alten Kurhaus am Semmering, wo etwa Paulus Mankers „Alma-Show“ gastierte, nahe dem Südbahnhotel, jahrelang beliebte Dependance der Festspiele Reichenau, ist heuer „Romeo und Julia“ mit jungen Schauspielern zu sehen. Beim Kultursommer Semmering, den der Pianist und Dirigent Florian Krumpöck übernommen hat. Aufgrund von Ausfällen von Finanzierungen hätte Krumpöck letztes Jahr beinahe aufgeben müssen, aber heuer strömen Künstler, zu kleinen Gagen, und das Publikum herbei, das in der Gegend urlaubt.

Das Kurhaus ist ein „Event“ für sich, die Prominenz der Jahrhundertwende machte hier Ferien, von Max Reinhardt bis Arthur Schnitzler, von Josef Kainz bis Hermann Bahr. Im Kurhaus und auch im nahen Hotel Panhans, wo einige Veranstaltungen stattfinden, kann man in Ausstellungen nostalgisch in die vergangene große Zeit reisen. Die Bad-Ischlerin Alex Riener, die in Wien lebt, und u. a. im TAG, im Schauspielhaus und im Nestroyhof inszeniert hat, dekonstruierte Shakespeares Liebestragödie, die zwar halbwegs chronologisch erzählt wird, aber die Rollen sind auf viele Figuren aufgeteilt. Die Besucher wandeln durch die verwunschenen Räume des Hauses, Tanz- und Speisesaal, Foyer, Küche, Bar. Und einmal turnt Romeo halsbrecherisch auf dem Balkon herum.

Karaoke-Zeitsprünge und fliegende Stühle

Die Idee der Fragmentierung des Textes ist wohl, auf die Universalität der tragischen Leidenschaft hinzuweisen. Das Publikum spielt mit beim Ball, per Karaoke wird vor und zurück geblendet in der Geschichte. Mercutios großer Monolog vor seinem Tod wird zur Hymne auf die Jugend, ihre Träume, ihre Fantasien. Im Kampf der jungen Männer sieht man, wie unabsichtlich die Schwelle zwischen Gerangel und Gewalt überschritten wird. Und Vater Capulet wirft Stühle vor Wut, dass seine Tochter nicht den ihr zugedachten Paris heiraten will.

Die Geschlechterrollen sind aufgehoben. Zwei Mädchen schwärmen in der Künstlergarderobe, zu der ein Raum im Untergeschoss umgestaltet wurde, von der Liebe – und am Ende finden sich die Zuschauer zusammen gepfercht bei Friedhofskerzenlicht. Riener und Bühnenbildner Hannes Salat haben sich wirklich viel ausgedacht. Die Aufführung hat einiges von einer Schauspielschul-Produktion, Temperament, Begeisterung, Improvisation einerseits, andererseits: Das Können hält noch nicht ganz mit.

(c) Barbara Pálffy

Am 11. und 12. August ist „Romeo und Julia“ noch einmal zu erleben. Das Highlight des Kultur-Semmering gilt am 25. August einer Uraufführung: „Tot“ von Anton von Webern, eine Frau und ein Mann haben ihr Kind verloren. Otto Brusatti (ORF) inszeniert. Das gespenstische Kurhaus wird auch hier einen formidablen Rahmen abgeben. Weiters bietet der Kultursommer bis 4. 9. Lesungen und Konzerte (18. 8. Fritz Karl & OÖ. Concert-Schrammeln, 19. 8. Karl Markovics & Gottlieb Wallisch über Georg Antheil, „Bad Boy of Music). Andere Veranstaltungen: Helga David hat sich mit ihrem Literatursalon auf Schloss Wartholz niedergelassen und präsentiert dort u. a. Schnitzler-Einakter (z. B. 12., 20., 27. 8.) oder „Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter“ (Herzmanovsky-Orlando, mit Wolfram Berger, 13. 8.).

Heilige Ruhe am Semmering

Anna Maria Krassniggs ambitionierter Salon5 siedelt sommers in den Thalhof in Reichenau, wo ab 25. August „Der Idiot“ von Dostojevski zu erleben ist, mit Daniel F. Kamen, die Intendantin inszeniert. Der Psychiater Paulus Hochgatterer, die Journalistin Karin Kneissl und der Philosoph Konrad Paul Liessmann geben Einführungen in die szenische Fassung des Romans. Vielleicht erlebt der Semmering mit seiner prächtigen Naturlandschaft rundum ja nicht nur bei Wanderern, sondern auch bei Kulturinteressierten eine Renaissance. Er hebt sich jedenfalls auch in der Hochsaison stark ab von überfüllten Ferienorten, bietet mannigfaltige Refugien, attraktive kulinarische Angebote, verhältnismäßig bescheidene Preise – und, wenn man nicht gerade eine Herberge neben Volksfesten und Kirtagen erwischt hat, heilige Ruhe!

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