Es ist zu Ende, es geht zu Ende, und es ist gut

An der Wand ein „umgedrehtes Gemälde“, wie Beckett es vorgeschrieben hat: Nicholas Ofczarek und Michael Maertens im „Endspiel“.
An der Wand ein „umgedrehtes Gemälde“, wie Beckett es vorgeschrieben hat: Nicholas Ofczarek und Michael Maertens im „Endspiel“. (c) APA/BARBARA GINDL
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Dieter Dorns im Juli bei den Salzburger Festspielen präsentierte Inszenierung von Samuel Becketts „Endspiel“ ist nach Wien ins Akademietheater übersiedelt. Sie ist mustergültig geblieben, vor allem dank ihrer Werktreue.

„Nichts ist komischer als das Unglück“, sagt die alte Nell aus der Mülltonne, in der sie bis zu Hals steckt: „Doch, doch, es gibt nichts Komischeres auf der Welt.“ Wenn das Publikum auf diese Sätze mit einem Lachen antwortet, von dem man nicht weiß, ob es betroffen oder durchschaut klingt, wenn es vorher schon einige Male haltlos gelacht hat, dann weiß man: Diese Inszenierung des „Endspiels“ ist geglückt.

Dieter Dorns Inszenierung ist höchst geglückt, da muss man allen Rezensenten recht geben, die das schon nach der Premiere bei den Salzburger Festspielen fast einmütig festgestellt haben. Sie ist geglückt, weil Regisseur Dieter Dorn den Text Samuel Becketts sehr ernst nimmt, weil er, von ganz kleinen Anpassungen an den österreichischen Sprachduktus abgesehen („Routine“ statt „der alte Schlendrian“ etwa), die Übersetzung Elmar Tophovens wortgetreu sprechen lässt.

Die Pausen sind nur so lang wie nötig

Weil er auch die Regieanweisungen streng befolgt – und dabei die Pausen, die Beckett vorschreibt, nicht unnötig dehnt, sondern als Rhythmusinstrumente einsetzt. Nur die auch in glaubensarmer Zeit erschütternde Szene, in der alle vier Figuren vergeblich beten, fällt aus diesem Rhythmus. Becketts/Dorns „Endspiel“ hat über weite Strecken den Charakter einer – todtraurigen und todlustigen – Doppelconférence, ihre Figuren haben, so sehr sie am Ende, erledigt sind, die Lust an der Sprache nicht verloren. Vor allem Hamm, der behinderte Herr dieses Spiels, hält sich an seinen Geschichten fest, wie sein Diener Clov an der Ordnung der Dinge.

Nicholas Ofczarek ist ein erstaunlich lebendiger, ja sinnlicher Hamm, noch im Verfall, blind, lahm und in Lumpen majestätisch. Sein Elend ist erhaben, wie er gähnend sagt: Er thront auf seinem Fauteuil; eingesperrt in eine Nussschale, ist er ein König von unermesslichem Gebiete, um es mit den Worten Hamlets zu sagen. Im Gegensatz zu diesem hindern ihn keine bösen Träume, nur die ganz reale Hinfälligkeit und das Wissen über das unaufhaltsame Ende der Welt, das in seinem Kopf tropft wie chinesische Wasserfolter.

Ja, die alte Welt: Sie bereitet die Pointe in dem Witz vom Schneider und der Hose, den man gut als das Zentrum dieses Stücks ansehen kann. Vater Nagg erzählt Mutter Nell diesen tiefsten aller Witze, und er sinniert zugleich darüber, wie oft er ihn ihr schon erzählt hat, zuerst am Tag nach der Verlobung, und dass er ihn immer schlechter erzählt. Sie hört ihm gar nicht zu, mit fernen, glücklichen Augen denkt sie ans erste Mal: Barbara Petritsch sieht in diesem Moment ganz alt und ganz jung zugleich aus, eine kindliche, nicht kindische Greisin; Joachim Bissmeier ist ihr ein ewiger Bub, gemeinsam sind sie das rührendste Paar, das man seit Langem im Theater gesehen hat; als sie sich in ihren Mistkübeln zu küssen versuchen und daran scheitern, meint man kurz, man könne ganz naiv zu diesem Philemon und dieser Baucis halten, das Endspiel kurz vergessen . . .

Es läuft weiter. Clov schließt die Deckel der Tonnen, Hamm fordert sein Beruhigungsmittel, wieder einmal, wieder vergeblich, lässt Clov seinen Thron schieben, „eine Runde um die Welt“, dann neu zentrieren, dann heißt er ihn aus den Fenstern schauen: Nichts rührt sich. Es wird völlig klar, dass die beiden ihre Spiele schon oft gespielt haben, sie aber von Mal zu Mal mit vollem Einsatz spielen. Es wird gewütet, geschrien in dieser Inszenierung, auch Clov lässt sich nichts gefallen: Er weiß, dass sein Herr von ihm mindestens so abhängig ist wie umgekehrt.

Maertens: Herr der Ordnung

Michael Maertens ist kein abgeklärter Hausknecht, seine Augen strahlen irre, wenn er seine Routinen verrichtet, und wenn er in den Keller hinabsteigt – in den Dorn die Küche verlegt hat –, will man gar nicht wissen, welche wahnwitzige Ordnung dort herrscht. Am Ende steht er fertig da, straffer als die ganze Zeit davor, im korrekten Reiseanzug, ein überlebendes Rätsel: Ist er jetzt aus dem Spiel draußen? Wird er ein neues beginnen? Findet das herrenhafte Ende ohne den Diener statt?

Ob im Zorn oder in der Resignation: Sowohl Maertens als auch Ofczarek bestechen auch dadurch, dass sie die rhythmische Struktur von Becketts Sprache befolgen. Das verleiht diesen verlorenen Helden einsame Größe: „Ich sage mir, dass die Erde erloschen ist, obgleich ich sie nie glühen sah“, sagt Maertens feierlich, und jede Senkung sitzt. Ofczarek gelang bei der Akademietheater-Premiere sogar eine Improvisation: Auf ein Handyläuten im Publikum antwortete er, als ob Beckett es vorgeschrieben hätte.

Oder hat Dorn das arrangiert? Bestürzend perfekt ist das Arrangement der von Jürgen Rose gebauten Bühne: ein dreiseitiger Holzkasten, der sich zu Beginn des Spiels knarrend zum Publikum hin bewegt und am Ende von ihm weg. Dann sieht man noch einmal, wie die Welt draußen aussieht, außerhalb des Endspiels: schmutziges Gemäuer, ein sonnenferner Hinterhof. Kein Wort mehr, kein Lachen mehr, kein Spiel. Lauter, langer Applaus für Schauspiel und Regie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2016)

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