"Wir erleben einen Kampf um die Seele!"

Ilija Trojanow
Ilija Trojanow(c) Clemens Fabry
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Ilija Trojanow glaubt nicht an eine Destabilisierung der Gesellschaft durch die Flüchtlinge, aber dass Migration das Leben prägt. Sein Roman "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall" wird im Landestheater Niederösterreich gespielt.

Die Presse: Am 16. September kommt in St. Pölten eine szenische Fassung Ihres ersten Romans „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ von 1996 heraus. Der Titel klingt optimistisch.

Ilija Trojanow: Je nachdem. Es gibt auch Leute, die ihn als Paradoxon empfinden. Im Wort „lauert“ steckt etwas Bedrohliches. Der Titel hat viele verschiedene Echoräume.

Ganz kurz: Worum geht es in dem Buch?

Es geht um die vielen Fragen des Aufbruchs, der Sehnsucht des Lebens mit verschiedenen Verlusten und neuen Verheißungen.

Ist Ihnen der Roman nach 20 Jahren noch nahe oder sind Sie schon ganz woanders?

Als Autor ist man immer sehr intensiv im Aktuellen. Wenn man ein Buch abschließt und abgibt, gehört es einem nicht mehr. So geht es mir bei jedem Buch. Aber ich stehe zu dem Roman und bin sehr glücklich, dass er weiterhin wirkt und gelesen wird.

Die Geschichte handelt von Alexandar, der mit seinen Eltern in den Westen flüchtet und nach ihrem plötzlichen Tod sich selbst verliert – bis er von seinem Großvater und Paten aufgefangen wird. Der Roman hat einiges von einem Märchen.

Ich habe absichtlich eine märchenhafte Form gewählt, weil sie typisch für die Verklärung der Vergangenheit bei Flüchtlingen ist. Die verlorene Heimat wird in einem sehr komplizierten Wechselspiel einerseits dämonisiert, sonst hätte man ja nicht fliehen müssen, andererseits idealisiert. Es gibt aber auch Kapitel wie jenes im Flüchtlingslager, die alles andere als märchenhaft sind. Der alte Mann, der bei Alexandar auftaucht, setzt quasi eine nötige Intervention in dessen Krise, indem er dem jungen Mann den Aufbruch in die Fülle der Welt vermittelt.

Hat sich das Erleben der Flüchtlinge seit Erscheinen des Buchs verändert?

In dem Roman geht es vor allem darum, was nach der Flucht passiert. Wir sehen die verschiedenen Facetten dieses lebenslangen Kampfs mit einer existenziell grundsätzlich geänderten Situation, die das Buch durchspielt. Daran hat sich nichts verändert.

Sie sind in Bulgarien geboren, mit sechs Jahren mit Ihren Eltern in den Westen gekommen. Sie sind ein bekannter Schriftsteller. Haben Sie es geschafft?

Jeder Flüchtling fängt ein neues Leben an. Ein Geschafft oder Nicht Geschafft gibt es nicht. Man ist immer zwischen Herausforderungen und Brechungen aufgespannt. Man muss sich immer neu orientieren, weil man verschiedene Richtungen in sich trägt. Integration wird gemeinhin damit verbunden, dass irgendwann alles in Ordnung ist. Diese Idee greift zu kurz. Flüchtlinge bleiben lebenslang durch die Flucht geprägt, egal wie oberflächlich erfolgreich sie sein mögen.

Wie sehen Sie die jetzige Flüchtlingskrise?

Flüchtlingskrisen gab es immer. Ich war jüngst in Breslau, dort sind aus einer einzigen Stadt allein Hunderttausende vertrieben worden oder mussten fliehen. Dann wurden andere Flüchtlinge aus Ostpreußen dort angesiedelt. Es gab immer wieder große Flüchtlingsströme, 1956 gab es eine Flüchtlingsbewegung aus Ungarn, 1968 aus der Tschechoslowakei und so weiter. Die Geschichte der Menschheit ist auch eine von Flucht aufgrund politischer Katastrophen. Was vielleicht jetzt anders ist: Die mediale Unmittelbarkeit. Bürger und Bürgerinnen können an diesen Ereignissen nicht vorbeisehen, weil sie durch die Massenmedien extrem präsent sind und dadurch ein Gefühl der direkten Betroffenheit entsteht.

Die Stimmung ist sehr schnell gekippt, von Willkommen zu Unwillkommen. Und man hat den Eindruck, die westlichen Demokratien sind durch die jetzige Flüchtlingskrise destabilisiert.

Die Destabilisierung ist großteils Fiktion. Die Hypo Alpe Adria kostet nach neuen Schätzungen 19 Milliarden Euro, die Flüchtlinge kosten Österreich im Jahr 800 Millionen Euro. Da kann man schon rein finanziell nicht von Destabilisierung reden. Die korrupten Machenschaften österreichischer Eliten finde ich problematischer als die Flüchtlingskrise. Man muss das Gefühlte vom Realen unterscheiden. Beim Gefühlten haben Sie recht. Es gibt eine generelle Verunsicherung, die damit zu tun hat, dass sich viele Menschen von dem pluralisierten Neoliberalismus zunehmend ökonomisch und kulturell entmachtet fühlen. Das Ankommen vieler fremder Menschen ist nicht die Ursache der Krise, sondern ein besonders auffälliges und irritierendes Symptom.

Wie wird es weitergehen?

Das wird man sehen. Es hängt davon ab, wie weit sich die Gesellschaft zu ihren zivilisatorischen Werten und Idealen bekennen will und ob jene, die nichts anderes im Kopf haben, als die gegenwärtige Lage zu instrumentalisieren und mit vulgären Ressentiments zu operieren, sich durchsetzen. Wir erleben einen Kampf um die Seele unserer Gesellschaft, der noch nicht ausgefochten ist.

Es gab ein Einreiseverbot für Sie in den USA. Ist das noch aufrecht?

Nach dem Einreiseverbot gab es einen öffentlichen Aufschrei, darauf haben die Amerikaner das Problem schnell wieder verschwinden lassen. Ich weiß bis heute nicht, was überhaupt die Ursache war. Es wurde mir nicht erklärt. Das ist die Krux. Als Bürger ist man anonym bleibenden Instanzen ausgesetzt. Dieses Phänomen verschärft sich.

ZUR PERSON

Ilija Trojanow wurde 1965 in Sofia geboren. Seine Familie bekam politisches Asyl in Deutschland. Der Vater arbeitete als Ingenieur in Kenia. Trojanow lebte in Nairobi, Paris, München, Indien. Sein Roman „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ war auch im Wiener Schauspielhaus zu sehen. Weitere Bücher: „Der Weltensammler“, zuletzt: „Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2016)

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