Landestheater Linz: „Jägerstätter“ zeigt das banale Böse

Jägerstätter Kammerspiele Linz
Jägerstätter Kammerspiele Linz(c) Christian Brachwitz
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Felix Mitterers Drama wird von Markus Völlenklee flott, manchmal leider allzu plakativ inszeniert. Es gelingen aber einige zu Herzen gehende Nuancierungen.

Das Ende Franz Jägerstätters, der für seine Überzeugung in den Tod ging, wird in Felix Mitterers Theaterstück an den Anfang gestellt: Ehefrau Franziska und Mutter Rosalia erhalten auf ihrem Hof in St. Radegund im Bezirk Braunau einen Brief, in dem mitgeteilt wird, dass der Bauer aus dem Innviertel, der den Wehrdienst für das NS-Regime verweigert hatte, im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet worden sei. Die Mutter macht der Schwiegertochter schwere Vorwürfe: Ihr frommer Katholizismus habe Franz in den Tod getrieben. So denken fast alle im Dorf, sie wiederholen im Chor die Umkehrung von Täter- und Opferrolle: Franziska sei schuld am Tod von Franz.

In den 30 folgenden Szenen wird in „Jägerstätter“ (2013 im Theater in der Josefstadt uraufgeführt) gezeigt, wie es zum Martyrium, zum Mord gekommen ist, wie von 1933 bis 1943 aus einem anfangs gar nicht frommen Mann ein standhafter Gegner der Nazis wurde, den weder die Bitten der Bewohner seines Dorfes noch die verwinkelten Argumente des Linzer Bischofs oder die Drohungen des Regimes von seinem geraden Weg abbrachten. Nur seine Frau stand stets zu seiner Überzeugung. Das macht dieses Drama auch zu einer außergewöhnlichen Romanze.

Im Landestheater Linz, seit Saisonbeginn unter der Leitung des neuen Intendanten Hermann Schneider mit Stephan Suschke als Schauspielchef, hat man sich dieses düsteren Kapitels österreichischer Geschichte angenommen. Markus Völlenklee hat das Stück flott inszeniert, wie die Premiere am Sonntag in den Kammerspielen zeigte. In zweieinhalb Stunden kommt die Drehbühne kaum je zur Ruhe, es geht Schlag auf Schlag. Auf der einen Seite hat Momme Röhrbein eine schlichte Bauernstube hingestellt, die andere dient als Wirtshaus oder als abstrakter Raum – unter anderem für eine Audienz beim Bischof, die Kaserne in Enns, das Zuchthaus. Die Choreografie beschleunigt noch den Effekt der Drehbühne. Tänzerisches und das Stakkato eines Chores vermitteln Übereile. Vielstimmig werden Schlüsselsätze mit Pathos wiederholt, die Musik trägt mit Dröhnen und Glockenschlägen zur Segmentierung bei. Das erschöpft sich mit der Zeit. Die leisen Töne, die sich auch erschließen lassen könnten, sind seltener. Es bleibt haften, dass die Botschaft eines Seliggesprochenen so volkstümlich wie volksbildend verbreitet wird.

Die Grausamkeit der Schreibtischtäter

Wie entwickelt sich die Geschichte? Franz Jägerstätter (Julian Sigl), Sohn einer Magd, die von einem Bauern geheiratet wurde (der den Stiefsohn zum Erben einsetzt), hat selbst eine Magd geschwängert. Die Mutter (Eva-Maria Aichner) fordert, dass Franz diese Theresia (Christina Polzer) nicht heiratet, sie selbst werde für die Alimente aufkommen. Der Hof brauche eine Bäuerin mit Aussteuer. Beide Frauen werden später durch Verhärtung auffallen. Der Sohn fügt sich, so widerborstig er auch sonst am Anfang scheint. Er scheut keinen Raufhandel, verlässt nach einem Konflikt den Ort, um in Eisenerz zu arbeiten (ein Ballett am Hochofen). Nach der Rückkehr beginnt die Liebesgeschichte und Heiratssache mit Franziska (Ines Schiller), beim Werben wechseln sich Zartheit, Robustheit und unsicheres exaltiertes Lachen ab. Hier haben sich zwei Untypische gefunden. Sie lesen gern, sie durchblicken das Geschehen, als die Nazis aufsteigen, Österreich angeschlossen wird und der Krieg beginnt. Sigl und Schiller spielen mit Herz, sie überzeugen vor allem in den brutalen seelischen Konflikten, die wesentlich für dieses Drama werden.

Nicht alles an dieser Inszenierung ist also plakativ. Auch Horst Heiss setzt in der Doppelrolle von Pfarrer und Oberst einige schöne Nuancen, so wie Lutz Zeidler, der den NS-Ortsgruppenleiter und den Bischof von Linz spielt – Paradeexemplare von Schreibtischtätern. Jan Nikolaus Cerha macht den Offizier, der Jägerstätter in Berlin verteidigt, zu einer seltsamen Mischung aus Mittäterschaft und Empathie. Bis zum Schluss bittet er den Angeklagten darum, dass er sich arrangiert und die Wehrdienstverweigerung widerruft. Dessen Gewissen aber ist stärker, er kennt keinen falschen Kompromiss, wählt den Tod.

Was folgt, ist ein übles Nachspiel. Ehe der Chor den 2007 seliggesprochenen Jägerstätter am Ende um Beistand bittet, erfahren wir, dass der Bischof sich von diesem „Fall“ kurz nach dem Krieg distanziert, dass die Landesregierung Franziska Jägerstätter eine Witwen- und Waisenrente verweigert. So unbarmherzig ist die Banalität des Bösen. Bei Mitterer wird das wirklich sonnenklar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2016)

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