Aktionstheater: Von Blut und Grabenkämpfen

In „Jeder gegen jeden“ begräbt Martin Grubers Truppe laut und munter den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Solidarität hat Grenzen. Jedenfalls für Teile der Protagonisten und auch Teile des Publikums von „Jeder gegen jeden“, der neuen Produktion des stets am Puls der Zeit arbeitenden Aktionstheater-Ensembles. „Ich würde auch einem Nazi Blut spenden“, verkündet Michaela (Bilgeri, wie in jedem Aktionstheater-Stück tragen die Schauspieler auf der Bühne ihre echten Vornamen) voller Überzeugung. Das sei echte Solidarität, da wisse man nämlich nicht, wem man hilft. Die anderen auf der Bühne wollen das nicht unterschreiben, und so werden die Zuschauer gefragt: Wer sein Blut auch für Nazis hergibt, möge in ganz hoher Stimmlage summen, wer sich weigern würde, in ganz tiefer. Auch wenn die hohen Töne nicht jeder ungeschulten Stimmlippe so leicht entweichen: Da war bei der Uraufführung im Werk X in Meidling eher ein kollektives Brummen zu vernehmen.

Watschen und „Bankengsindel“

Das passt jedenfalls zum Grundmotiv des Stücks: Regisseur Martin Gruber will die „schleichende Entsolidarisierung“ der Gesellschaft thematisieren und lässt seine Darsteller dazu in flott choreografierten Assoziationsketten verschiedene Alltagsszenarien durchformulieren: Da geht es um Menstruationsblut und Männer, die sich nach dem Sex ausgenutzt fühlen, um das „Bankengsindel“, das seine als Maskottchen verkleideten Arbeiter ausbeutet, um Watschen und um Anarchie – aber irgendwie will sich dabei das große ganze Bild der sozialen Grabenkämpfe nicht einstellen, es bleibt bei einem diffusen Gefühl der Unzufriedenheit.

Doch beginnen wohl auch die großen Konflikte mit kleinen Reibereien, und denen widmet sich das Ensemble mit großer Spielfreude: Da muss das Publikum mittels Summabstimmung immer wieder urteilend eingreifen, und Isabella (Jeschke), die friedliebende unter den Charakteren, lamentiert: „Ich hätte lieber bei einem positiven Stück mitgemacht.“ So wird munter weiter der Zusammenhalt begraben, bis nur noch beim leidenschaftlich vorgetragenen Schlusslied Einigkeit herrscht: „I wanna be happy until I die.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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