Der Atomkrieg kommt, wirklich

Hosea Ratschiller be reinigt als FM4-Ombudsmann seit zehn Jahren diverse Widerstände.
Hosea Ratschiller be reinigt als FM4-Ombudsmann seit zehn Jahren diverse Widerstände.Christine Ebenthal
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Jetzt ist Schluss. Der Kabarettist Hosea Ratschiller hat einen ausgezeichneten Weltuntergang beschlossen.

Weil Hosea Ratschiller "mit respektvoller Nähe zu Karl Kraus das Abgründige unserer Gegenwart" aufdeckt, wird er im November mit dem Kabarettpreis für das beste Programm ausgestattet. In voller Länge heißt es: "Der allerletzte Tag der Menschheit (Jetzt ist wirklich Schluss!)". Zusammen mit den Zwillingen Birgit und Nicole Radeschnig, mit denen er nicht nur die gemeinsame Wurzel Kärnten teilt, sondern auch den theatralen Kabarettansatz, gibt er moralisch verwirrten Managern ein Gewissen und Politikern eine Massage. Sie sezieren die Liebe, vermissen das Herz. Er nimmt den Gebrauchsfeminismus, der immer nur dann gut passt, wenn eine Burka in der Nähe ist, aber nie, wenn ein Mann eine Rede hält und sich bei seiner ihm den Rücken frei haltenden Gattin bedankt, zärtlich auseinander. Das Endzeitszenario kommt im Sommer 2014 an. Kraus hätte seinen Spaß.

Ihr "allerletzter Tag der Menschheit" beginnt früher als Karl Kraus "Letzte Tage", diese starten an einem Feiertagabend, Sie schon um 5.46 Uhr. Vielleicht geht sich deshalb auch alles gut in einem Abendprogramm aus. Kraus ist trotzdem eine schwere Vorlage, eine, die sich nichts geschissen hat. Ist Ihnen das nah?

Ich würde gar nicht sagen, dass Karl Kraus für mich ein Vorbild ist. Denn diesen bildungs bürgerlichen Hintergrund, der seinem Werk zugrunde liegt, den kann ich in hundert Jahren nicht aufholen. Was tatsächlich ein Vorbild ist, ist Helmut Qualtingers Interpretation. Das war eine der CDs, die ich als Jugendlicher am häufigsten gehört habe. Und zu diesem Nixscheißen, da könnte man wahnsinnig ausholen. Natürlich be wundert man das irgendwo. Und es ist wohl auch eine Grundbedingung für den Beruf des Kulturkritikers. Vernichtungen interessieren mich aber nicht so.

Was hielte Kraus vom Internet, wo jeder frei reden kann?

An schlechten Tagen würde er in diversen Foren die Beistrichfehler zählen. An besseren Tagen würde er schillernde Thesen darüber formulieren, wie online die Sprache als Teststreifen in Vermutungen des Sozialen hineingehalten wird. Faszinieren würde ihn wohl die Angstfreiheit, mit der man sich dort ausprobiert, seine sprachlichen Einfälle spazieren führt und schaut, was passiert. Ich glaube, er wäre Blogger. Karl Kraus würde sicher nicht auf Facebook und Ähnlichem stattfinden, weil er die Geschäftsmodelle dieser Firmen ablehnen würde. Karl Kraus wäre wahrscheinlich im Darknet.

Würde ihm da nicht das große Publikum fehlen?

Nein, das wäre ihm wurscht.

Er hat sich ja eigentlich auch immer an eine Elite von Intellektuellen gerichtet.

Und an sich selbst. Kraus hätte das Internet vor
allem sehr früh bemerkt und seine Entwicklungen intellektuell begleitet und kritisiert. Man denkt an ihn auch immer als rechthaberischen Eigenbrötler, dabei hielt er wahnsinnig gut besuchte Lesungen und war ein richtiger Star. Das ausverkaufte Konzerthaus wäre für ihn sicher nicht durch 200.000 Twitter-Follower ersetzbar gewesen.

Wie ist Ihr Bezug zu Karl Kraus unaufführbarem 200-plus-Szenenwerk gekommen?

Es ist tatsächlich so, dass die äußere Gestalt, der Titel, erst nach dem Inhalt gekommen ist. Die Ähnlichkeit fiel mir erst beim Zusammenstellen auf. Dann gab es noch dieses Gedenkjahr mit den ganzen Neuinszenierungen, und ich dachte mir: "Warum gibt man nicht etwas für die Gegenwart in Auftrag?" Wie junge Buben, die beim Fußballspielen David-Alaba-Trikots anziehen, habe ich mir dann diesen Schuh angezogen.

Steht Ihnen.

Das freut mich wirklich, weil ich mich anfangs total gefürchtet habe.

In den "Allerletzten Tagen" geht es auch um Ängste.

Grundsätzlich habe ich versucht, so konkret wie möglich zu arbeiten. Die Vorarbeit zu den Texten war eine Art Journalismus. Ich war zum Beispiel im Gefängnis und habe mit Sozialarbeitern und Häftlingen gesprochen und danach erst Figuren und Geschichten entwickelt.

Ist das Ihre natürliche Arbeitsweise, Ihr Anspruch?

Ich könnte gern immer so arbeiten. Irgendwo muss aber Geld herkommen. Künstlerische Arbeit ist selten gut bezahlt. Jedenfalls wollte ich keine anthroposophischen Weltformeln aufstellen, weil ich finde, dass daran im Moment kein Mangel besteht. Die Qualitätskontrolle war immer: Geht es um etwas, das wirklich stattfindet? Ist es relevant? Kann es mit "Saturday Night Live" mithalten? Und gibt es diesen Typ schon im Kabarett? Das apokalyptische Thema ist vielleicht eine Gemeinsamkeit zu den "Letzen Tagen der Menschheit". Ich nehme reale Situationen her, in die Katastrophenmeldungen einbrechen. Und es zeigt sich: Die Leute haben andere Probleme. Dieses Spannungsfeld interessiert mich.

Karl Kraus hat auch behauptet, dass alles wahr sei, was er schreibt.

Das alles wahr ist, glaube ich gar nicht, aber dass die Probleme aus dem Programm tat sächlich existieren, das stimmt schon.

Der Kraus'sche Begriff Lügenpresse ist modern. Wie schlecht geht es dem Journalismus?

Die Kreativität der Verlage ist in einer Krise. Lügenpresse ist ein völlig alberner Begriff, mit ihm sollte man sich nicht aufhalten.

Tipp

Preis. Am 8.11. wird Hosea Ratschillers Programm "Der allerletzte Tag der Menschheit" in der Urania beim Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet. Sehen kann man es zum Beispiel am 13.11. in der Wiener Kulisse. Weitere Terimine online: hosearatschiller.at

("Kultur Magazin", 21.10.2016)

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