Karin Bergmann: "Ich bin eine liebende Dilettantin"

Karin Bergmann vor einem Bild von Peter Pongratz: ''Gute-Nacht-Lied'' von 1993
Karin Bergmann vor einem Bild von Peter Pongratz: ''Gute-Nacht-Lied'' von 1993Christine Ebenthal
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Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann über bildende Kunst, nackte Männer und warum jeder Chef mal brutal sein muss.

Das Dramatische, aber auch das Spirituelle schätzt Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann an der bildenden Kunst, die sie seit früher Jugend beschäftigt. Eine besondere Schwarmphase verband sie mit den österreichischen Malern Rudolf Hausner und Christian Ludwig Attersee. Beim Studium ihrer eigenen Tagebücher von einst war Bergmann entsetzt: "Ich habe es mir wahnsinnig schwer gemacht!" Ein Gespräch über Europas Krisen und darüber, wie das Theater trotz Amüsements seine Themenführerschaft behaupten will.

Wir sitzen hier in Ihrem Büro im Burgtheater unter einem Bild von Peter Pongratz: "Gute-Nacht-Lied" von 1993. Was ist Ihre Beziehung zu bildender Kunst?

Ich bin eine liebende Dilettantin.

Malen Sie?

Nein. Aber ich hatte von früher Jugend an eine Neigung zu bildender Kunst. Als Teenager habe ich Rudolf Hausner und seine "Adam"-Bilder sehr verehrt. Sie haben mich zu philosophischen Betrachtungen angeregt. Aber damals hatte ich auch eine Schwäche für Christian Ludwig Attersee und seine berühmte Serie von Nacktfotos, auf denen er nur mit Stiefeln bekleidet ist.

Heute würde ein nackter Mann keinen mehr umhauen.

Mich haben diese Bilder fasziniert. Heute schätze ich aber auch Meditatives und Spirituelles, die Skulpturen von Karl Prantl. Leider gehöre ich nicht zu den Menschen, die einen Stein von ihm besitzen, aber sie anzuschauen und zu berühren, im freien Gelände zwischen ihnen zu spazieren, das hat viel zu tun mit der Besinnung auf Material und Natur und ist ein schöner Kontrast zu meinem bewegten Alltag hier im Theater. Wunderbar finde ich auch die Arbeiten von Franz Xaver Ölzant.

Kehren wir noch kurz zurück zu Pongratz. Wer sind diese drei schwarzen Gestalten da auf dem Bild über Ihrem Schreibtisch?

Das sind meine drei Inselmänner, mit denen ich Zwiesprache halte.

Ist einer von ihnen Claus Peymann?

Definitiv nicht!

Weiß er das?

Das weiß er, wir beide kennen uns sehr gut. Wir reden Tacheles miteinander.

In Wien ist ein Inselmann einer, mit dem man sich nicht einmal auf einer einsamen Insel vergnügen würde.

Nein, so meine ich das nicht. Jeder dieser Köpfe ist ein Eiland. Wenn man eine Insel betritt, dann erlebt man etwas, manches ist zum Fürchten, manches zum Träumen und so weiter. Peter Pon gratz kenne ich seit 29 Jahren. Er ist ein sehr literarischer Mensch und ein großartiger Jazzmusiker. Es bleibt nicht ohne Spuren, wenn man eine persönliche Beziehung zu einem Maler hat. Mein Mann (Architekt Luigi Blau, Anm.) und ich haben mehrere Bilder von Pon gratz. Ein anderer Lieblingsmaler von mir ist Wolfgang Herzig. Als ich 50 wurde, bekam ich ein Bild geschenkt, eine Theaterszene, in der ich vorkomme. Man erkennt mich zwar nicht . . .

Werden nicht alle Burgtheater-Direktoren porträtiert, somit auch Sie?

Nein, das können wir uns nicht leisten. Ich bin einmal porträtiert worden, von Xenia Hausner gemeinsam mit zwei anderen Frauen.

Die meisten Menschen fangen bei bildender Kunst mit Impressionisten oder Picasso an. Sie waren immer schon ein Fan österreichischer Maler?

Meine Schwarmphase für Attersee und Hausner habe ich entwickelt, lang bevor ich überhaupt wusste, dass es mich nach Österreich verschlagen würde. Klar bin ich als junger Mensch zu einer Max-Ernst-oder einer Picasso-Ausstellung gefahren. Heute gehe ich ganz besonders gern immer wieder ins Kunsthaus Zürich. Dazu kommt: Durch die Gespräche mit Bühnenbildnern habe ich sicher einen genaueren Blick auf bildende Kunst gewonnen.

Aber Sie würden niemals einen Pinsel schwingen, so wie Sie niemals auf einer Bühne auftreten würden?

Nein. Diese Art von Dilettieren verabscheue ich. Diese Idee, ich male mal ein Bild, das beruhigt mich das ist nicht meins. Wussten Sie übrigens, dass Gert Voss im Urlaub gemalt hat? Er ging gern tauchen, und diese Unterwasserwelt hat er in sehr schöne Aquarelle gebannt.

Welche Bühnenbildner mögen Sie?

Ich schätze sehr viele, mit Katrin Brack bin ich befreundet. Wir haben uns schon als ganz junge Menschen in Bochum kennen gelernt. Mittlerweile war sie mehrfach Bühnenbildnerin des Jahres. Bei Bracks Arbeiten kann man nicht von Bühnenbildern sprechen, sie schafft inszenierte Räume, die für mich viel mit bildender Kunst zu tun haben. Sie liest den Text und entwickelt Visionen und sie hat das Glück, dass sie an Regisseure gerät, die ihr Freiheit gewähren.

Das ist ja das Problem von Bühnenbildnern. Erstens ist weniger Geld für Bühnenbilder da als früher, denke ich. Und: Der Regisseur bestimmt, was der Bühnenbildner zu machen hat.

Bei Karl-Ernst Herrmann oder Martin Zehetgruber ist das definitiv nicht der Fall.

Wir sind stark geprägt von Herrmann, seinem Licht, seinen Naturbildern. Das war schon eine neue Welt.

Ich sage immer, als Claus Peymann 1986 ans Burgtheater kam, hat er das Licht angeknipst. Wobei Anknipsen klingt, glaub ich, sehr piefkinesisch. Jedenfalls hing die neue Ästhetik sehr stark mit der Magie der Räume von Karl-Ernst Herrmann zusammen. Dieses Novum hat die Leute zum Staunen gebracht.

Der Bilderkult, finde ich, geht teilweise auf Kosten der Sprache. Sie soll natürlich sein, und daher versteht man sie oft nicht mehr.

Das muss nicht sein. Es gibt Regisseure wie Andrea Breth, bei ihr steht die Sprache im Zentrum. Oder den hohen Kunstton, zum Beispiel bei Peter Handke und Claus Peymann, der dann, in der gleichen Aufführung, sofort wieder gebrochen wird, zuletzt in "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rande der Landstraße".

In der heurigen Spielzeit-Broschüre werden die Schauspieler gefragt: Welche Waffe besitzen Sie? Besitzen Sie eine Waffe?

Meine Offenheit.

Sie sagen, Mensch, Heinz oder Peter, du kannst den Hamlet nicht spielen, weil das bist du nicht und nerve mich jetzt nicht mehr!

So rede ich nicht mit Schauspielern.

Sie sind diplomatischer? Wirklich? Aber man muss den Leuten doch die Wahrheit sagen.

Das ist einer der Gründe, warum ich Burgtheater-Direktorin bin: Ich kann mit den Leuten sehr offen und zugewandt reden, ich streue ihnen keinen Sand in die Augen, aber ich spreche mit ihnen auf Augenhöhe und respektvoll.

Sind Männer als Chefs brutaler?

Brutal muss man manchmal sein als Chef wie als Chefin. Man muss unpopuläre Entscheidungen treffen.

Und wann werden Sie richtig sauer?

Bei Disziplinlosigkeit.

Kommt es vor, dass Sie jemand nervt?

Natürlich.

Eine weitere Frage, auf die Schauspieler in der Broschüre lustige Antworten gefunden haben, ist: Was machen Sie tagsüber? Bei Ihnen ist das klar. Sie sind immer hier, zehn Monate des Jahres, beinahe rund um die Uhr, oder? Führen Sie Tagebuch?

Ja, ich bin natürlich viel im Theater. Darum habe ich auch manchmal Sehnsucht nach dem Meer und der Natur. Heuer im Sommer waren wir in Bad Radkersburg, mein Mann und ich, wir haben da eine kleine Bleibe. Dort habe ich festgestellt, dass ich Talent zur Landpomeranze habe. Nein, Tagebuch führe ich nicht. Natürlich ist im Computer verbrieft, was ich mache, jeder Termin ist einge tragen. Aber als junger Mensch habe ich Tagebuch geschrieben.

Haben Sie diese Aufzeichnungen noch?

Ich habe versucht, sie als Erwachsener wieder zu lesen. Aber ich habe nach kurzer Zeit damit aufgehört. Es hat mich deprimiert zu sehen, wie wahnsinnig schwer ich es mir gemacht habe.

Was bedeutet Europa für Sie?

Europa ist immer noch eine sehr gute Perspektive. Im Moment hat es wieder einmal eine sehr schwierige Phase, sie ist aber bei Weitem nicht so schwierig wie frühere Phasen. Europa ist unsere Zukunft und unsere einzige Möglichkeit. Ich hoffe, dass wir noch so viele Jahrzehnte des Friedens vor uns haben wie wir sie hinter uns haben.

Glauben Sie, dass das funktioniert?

Ja. Allerdings: Man muss den Menschen immer wieder sagen, dass die Zeit, die wir momentan erleben, an die 1920er-Jahre erinnert. Es gibt starke Kräfte, die rückwärts gewandt und ewig gestrig sind. Wir müssen uns an vernünftige und im Dialog bleibende Politiker halten, dann hat Europa Zukunft.

Das Motto der heurigen Spielzeit im Burgtheater ist aus "Torquato Tasso" und lautet: "Ja, es umgibt uns eine neue Welt!" Ist das nicht immer so?

Die Veränderungen gehen so schnell vor sich, dass wir kaum mehr hinterherkommen. Vor einem Jahr sind innerhalb eines Sommers Zehntausende in dieses Land gekommen, die auf der Flucht vor Krieg waren und hofften, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Damals wurde geholfen. Jetzt, nur ein Jahr später, gibt es eine Wende in der öffentlichen Meinung. Ich möchte jetzt nicht die Medien dafür kritisieren, aber sie haben eine große Verantwortung. Und in den sozialen Netzwerken gibt es eine Radikalität der Sprache, die einen manchmal erstarren lässt.

Der II. Weltkrieg rückt im öffentlichen Bewusstsein immer mehr in die Ferne. Ein Krieg in Syrien ist letztlich doch weit weg. Ich fürchte, viele Menschen sagen sich, was geht uns die Weltlage an? Wir wollen uns amüsieren.

Die Leute wollen auch angeregt werden, sich mit großen Themen zu beschäftigen. Sonst würde ich nicht nächstes Jahr die "Orestie" machen, im Burgtheater und in der Offenen Burg. Das ist eine so allgemein gültige bekannte Geschichte, dass man darüber mit Menschen unterschiedlicher Nationen und Erfahrungen reden kann. Dazu gehen wir in die Bezirke. Man darf das Publikum nicht unterschätzen, das Theater hat die Chance, seine Themenführerschaft zu nutzen. Das habe ich fest vor.

Sie spielen aber auch einen Schwank wie "Pension Schöller".

Wenn ein Regisseur wie Andreas Kriegenburg sich dieses Stoffes annimmt, dann wird das Stück von einer Anarchie durchdrungen sein und jenseits von Maxi Böhm. Wir haben etliche Komödien diskutiert, ich freue mich, dass Kriegenburg zu diesem herrlichen Schwank ja gesagt hat.

Stichwort Themenführerschaft: Eines der explosivsten Themen heutzutage ist die Religion. Jahrhunderte hindurch war das Theater geknebelt von Zensur im Interesse der Mächtigen, und diese wiederum bedienten sich der Religion als Druckmittel. Irgendwie hat es das Theater trotzdem geschafft, sich zu emanzipieren, es will aufklären, trotzdem hat es auch eine sakrale Komponente behalten.

Um frei Thomas Bernhard zu zitieren: Auf dem Land ist die Religion das einzige Theater, das es gibt. Theater hat immer mit Religion zu tun. Es ist ein Andachtsraum, Menschen versammeln sich, schließen sich ein, um gemeinsam etwas zu erleben. Nehmen Sie Becketts "Endspiel". Das ist meiner Ansicht nach der Sukkus aller dramatischen Möglichkeiten. Dieser Text ist beinhart und wirft uns zurück auf uns selbst. Theater hat aber auch mit Anarchie zu tun und mit Subtilität. Es kann eine große Kraft entwickeln. Nehmen Sie allein zwei Stücke aus unserem Programm, in denen es um das Zerstörerische an der Religion geht: Arthur Millers "Hexenjagd" und "Geächtet" von Ayad Akhtar.

Tipp

Die nächsten Premieren im Burgtheater: "Pension Schöller" von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby, (ab 22. 10.), "Geächtet" von Ayad Akhtar (Regie: Tina Lanik), "Hexenjagd" von A. Miller (Regie: Martin Kusej) www.burgtheater.at

("Kultur Magazin", 21.10.2016)

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