Werk X: Nah am Leben

(c) Christine Pichler
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Über Monster, Migration und die Macht des Geldes
im Werk X: Schauspielerin Leila Abdullah und
Intendant Ali M. Abdullah im Gespräch.

Unser Vater hat damit nichts zu tun!“, sagt Ali M. Abdullah bestimmt. Er ist – zusammen mit Harald Posch – Intendant des Theaters Werk X, seine Schwester Leila ist Schauspielerin. Obwohl der Vater Geschäftsmann war, wurde bei beiden schnell der Wunsch laut, einen künstlerischen Weg zu gehen: „Wir waren einfach in einem Kreis von jungen Leuten, die sich stark damit beschäftigt haben: Was will ich in der Welt machen, um gut zu leben – außer Geld verdienen?“ Diese Frage führte beide ans Theater, wenn auch auf getrennten Wegen: Ihn über ein Studium der Schauspielregie in Graz und weitere Stationen zum Werk X in Wien Meidling und am Petersplatz, sie über eine Schauspielausbildung in Berlin zu diversen Engagements in Deutschland. Nun arbeiten die Geschwister das erste Mal gleichzeitig am selben Haus: Im Stück „It’s a Free World“, das die aktuelle Spielzeit in Meidling eröffnet hat, spielt Leila Abdullah die zen­trale Figur Angie.

Diese Figur hat die Frage, was denn ein gutes Leben ausmacht, ganz konträr beantwortet – ihr geht es ums Geld: „Sie will auch einmal ein Stück vom großen Kuchen“, beschreibt Leila Abdullah ihre Rolle. Die Inszenierung von Alexander Simon, nach dem gleichnamigen Film von Ken Loach, behandelt mit einer großen Portion Sozialkritik die unschönen Seiten unserer kapitalistischen Arbeitswelt. Frei ist in dieser Welt nur die Marktwirtschaft. Auch wenn das System vorgaukelt, dass jeder seines Glückes Schmied sei, am Schluss würden doch nur jene profitieren, die nach oben kommen und die Unteren ausbeuten: „Es geht darum, was der kapitalistische Gedanke mit einem macht. Man muss mitspielen, es sei denn, man steigt ganz aus und geht in den Wald oder so“, ist die Schauspielerin überzeugt. Angie steigt nicht aus, sondern mit vollem Einsatz in die Branche der Arbeitsvermittlung ein und macht ihr Geld mit dem Elend von Einwanderern, die auf Leiharbeit hoffen. Unsympathisch ist sie dabei nur bedingt, findet Leila Abdullah, es sei nachvollziehbar: „Sie kämpft ums Überleben, es gibt keinen anderen Weg für sie. Natürlich verdient sie dabei, aber wer beutet nicht aus! Nur weil sie eine Frau ist, denkt man, dass das widerlich ist, würde ein Mann das machen, würde man sagen: Die Geschäfte laufen nun mal so.“

Familiensache. Die Geschwister Leila und Ali M. Abdullah machen beide Theater.
Familiensache. Die Geschwister Leila und Ali M. Abdullah machen beide Theater.(c) Christine Pichler

Volksnähe. Aber egal ob Mann oder Frau: „Es dreht sich doch alles nur mehr um die Kohle!“, empört sich Leila Abdullah. Von der Macht des Geldes und Hierarchien ist freilich nicht einmal die Theaterwelt verschont. „Wir sind nominiert, ein Theater zu leiten und Gehälter festzulegen, damit ist natürlich der Anfang gemacht“, spricht Ali M. Abdullah aus der Perspektive des Leiters: „Wir werden natürlich jenseits der Qualität unserer Theaterarbeiten auch daran gemessen, wie viel wir produzieren, wie viele Nestroy-Preise wir bekommen, und wir sind gezwungen, das Geld zusammenzuhalten.“ „Die Kombination Kunst mit Geld finde ich ja immer verrückt“, ergänzt seine Schwester, doch auch als Schauspieler sei man heute gezwungen, sozusagen Einzelunternehmer zu werden, man müsse sich selbst gut vermarkten.

„Die Zeit macht auch vor den heiligen Tempeln der Kunst nicht halt“, seufzt Ali M. Abdullah und lenkt dann ein: „Und das ist gut so. Die Realität schwappt in die Kunst hinein, und wir müssen jeden Tag von Neuem überlegen, ob sie diese nicht überholt hat.“ Damit weist er auf den grundsätzlichen Anspruch des Werk X hin: ein Kulturbetrieb zu sein, der sich politisch positionieren will, indem er die aktuelle gesellschaftliche Situation und sich anbahnende Krisen und Veränderungen analysiert. Für diese Spielzeit hat das Theater dazu einen Satz des Theoretikers Antonio Gramsci aus den 1920ern ausgegraben, der heute wieder sehr aktuell sei: Wenn eine alte Welt sterbe und eine neue noch nicht geboren ist, sei es die Zeit der Monster, so die Aussage. Welche Monster sind es heute, die uns bedrohen? Bei „It’s a Free World“ nicht nur der Kapitalismus; auch schwinge die Frage nach der Entwicklung der EU mit, Stichwort Brexit: „Wenn wir so weitermachen, wo führt das dann hin? Und wie werden diese in Loachs Film beschriebenen Arbeitssituationen in England nach dem Brexit aussehen?“, sorgt sich Ali M. Abdullah und nennt noch weitere Entwicklungen, die Monster gebären – von Trumps Wahlkampf in den USA bis zur Präsidentensuche hierzulande: „Bei all dem wird immer mit dem Volk argumentiert, das etwas möchte. Oder: Man möchte etwas für das Volk tun und behauptet, das Sprachrohr eines Volkes zu sein, das es so gar nicht gibt“, so der Intendant. Deswegen wolle man in dieser Spielzeit auch besonders den Begriff des Volks hinterfragen und habe folglich den ambivalenten Spruch „Vorsicht Volk“ als Leitmotiv gewählt: „Auf der einen Seite heißt das, das Volk soll Vorsicht walten lassen, auf der anderen Seite: Vorsicht vor dem Volk.“

Recht auf Kunst. Dass ein homogenes Volk sowieso nur ein Phantasma eines meist allzu nationalen Denkens ist, werden das aktuelle und die anlaufenden Stücke (in Meidling: „Macht und Rebel“, „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ und „Demokratische Nacht – du Prolet!“) zeigen, indem sie verschiedene Dimensionen des Begriffs aufgreifen. Ist die Bevölkerung nicht vielmehr eine Menge ganz unterschiedlicher Individuen? Besonders durch Zuwanderung ließe sich das schließlich behaupten.

Aufstieg. In „It’s a Free World“ will Angie auch ein Stück vom großen Kuchen.
Aufstieg. In „It’s a Free World“ will Angie auch ein Stück vom großen Kuchen.(c) Werk X

Auch die Abdullahs haben Migrationshintergrund, selbst wenn sie in Wien aufgewachsen sind: „Unser Vater ist aus Indien und unser Familienname ist ja ganz klar muslimischer Herkunft. Wir haben mit dem Glauben beide gar nichts am Hut, aber ich sehe natürlich, dass der Islam jetzt überall ein großes Thema ist“, erzählt Ali M. Abdullah. So hätten beide aufgrund ihres Namens schon oft komische Situationen erlebt; auch negative, schildert Leila Abdullah: „Wenn ich ein Zimmer mieten will, gebe ich manchmal den Namen von meinem Mann an, weil ich keinen Bock habe auf dieses ,Ausländer wollen wir nicht‘.“ Dass es in Theaterhäusern übrigens immer mehr Projekte gebe, die sich mit Migration und Flucht beschäftigen, „finde ich bezeichnend und gut“, meint ihr Bruder. Auch dem Werk X ist es ein Anliegen, postmigrantische Positionen zu fördern: „Dabei geht es darum, Randgruppen ins Theater zu lassen, diesen einen Platz und ein Sprachrohr zu geben. Wer hat ein Recht auf Kunst, und wer darf daran teilnehmen – nicht nur im Zuschauerraum?“, erklärt Ali M. Abdullah.
In diesem Zusammenhang gibt es etwa das partizipative Projekt Diver-Citylab, und mit „Du schaust, und die Wolken ziehen“ wird ab November erstmals ein Stück zweisprachig, auf Deutsch und Türkisch, aufgeführt. Integration finde dabei nicht nur seitens der migrantischen Teilnehmer statt: Auch „eine positive Aufklärung für die Zuschauer ist eine Aufgabe, die das Theater übernehmen kann, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen“, glaubt er.

Katharsis. Wie macht man Theater so, dass es Menschen erreicht, zusammenbringt und so bestenfalls ganz nah am Leben ist? „Mit Theaterabenden, die zwar mit aktuellen Themen und neuen Thesen arbeiten, diese aber unterhaltsam verhandeln. Der Zuschauer muss hineingezogen werden, nur so sind kathartische Momente möglich“, ist Ali M. Abdullah überzeugt. Ob die Stücke dann nicht nur einen politischen Anspruch, sondern auch eine ebensolche Wirkung haben können? „Wir hoffen natürlich immer, dass wir mit unseren Arbeiten viele infizieren, die dann sagen: Wir müssen mal genauer über das Thema reden, was ist denn da los? Antworten wollen wir aber keine geben, die Hauptaufgabe ist, die richtigen Fragen zu stellen.“ Seine Schwester freut sich, dass sie gewisse Fragen stellen kann: „An den Stadt- und Staatstheatern, an denen ich auch arbeite, wäre so etwas wie hier nicht möglich. Hier kann man vieles ganz offen sagen, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen.“ In den Proben habe sie gemerkt, wie sehr ihre Rolle uns alle betrifft: „Dass es um dich und mich geht.“

Tipp

Werk X. Spielzeit unter dem Motto „Vorsicht Volk“: „It’s a Free World“ (bis 20. 12., Meidling), „Du schaust, und die Wolken ziehen“ (ab 2. 11., Eldorado) etc.

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