Pippi Langstrumpf à la Christine Nöstlinger

FOTOPROBE: ´LUMPENLORETTA´
FOTOPROBE: ´LUMPENLORETTA´(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Mobbing in der Vorstadt und eine unmögliche Liebesgeschichte: Sarah Viktoria Frick und Simon Jensen begeistern in der Uraufführung von „Lumpenloretta“, Martina Gredler inszenierte witzig und aufwendig.

Aber jetzt, wo wir das Haus von der Großtante vom Papa geerbt haben und ein bissl Geld noch dazu, wird alles anders . . .“ In eine gutbürgerliche Wohngegend zieht ein Altwarenhändler mit Familie, auffällig ist Tochter Loretta, die zum Zirkus will. Nachbar Konrad verliebt sich in das schrille Girl. 2010 schrieb Christine Nöstlinger „Lumpenloretta“. Die Inszenierung von Martina Gredler, die Mittwochabend im Kasino Premiere hatte, versucht kaum, die raue Vorlage zu glätten. Gredler und Dramaturg Klaus Missbach haben den Text geschrieben.

Das Burgtheater hat sich für die Produktion zum 80. Geburtstag Nöstlingers – der am 13. Oktober stattfand – nicht „lumpen“ lassen. Die Aufführung ist mit Liebe gemacht und gut bis sehr gut besetzt. Sarah Viktoria Frick, Spezialistin für aus- und abgerissene Mädchen, spielt Loretta mit knallroten Haaren und Hippie-Outfit: Sie trägt kaputte kurze Jeans oder ein Tanzkleid mit Sternchen. So lustig die Story manchmal ist, Loretta ist ein Fall für den Psychologen. Mit dem Mut der Verzweiflung versucht sie, ihre schwierige Situation, das Vagabundieren der Eltern, die Armut, die Verwahrlosung schönzureden.

Wenn sie Hunger hat, was oft vorkommt, weil der Vater nur selten Pizza heimbringt, hüpft sie bei den Nachbarn durchs Fenster und bittet um Milch und Nutella-Semmeln. Sie lügt und klebt sich wie eine Klette an alle, die Bindung und Freundschaft versprechen. Für Konrad, den wohlbehüteten Knaben, dem der Vater nach einer Lausattacke die Haare abgeschnitten hat, was der Sohn beibehielt und seither Glatze heißt, ist Loretta das reine Wunder. Doch mit der zarten Romeo-und-Julia-Geschichte will es nicht klappen. Loretta ist zu unstet. „Lumpenloretta“ wirkt, als hätte Nöstlinger Astrid Lindgrens unbändige Pippi Langstrumpf, ein Märchen, mit der bitteren Realität konfrontieren wollen. Und wenn hier Ostwind weht, schwebt nicht Mary Poppins herab, sondern es gibt neues Ungemach. Die Nachbarsmütter (Petra Morzé, Dunja Sowinetz) mobben Loretta.

Die wendet ihre Zuneigung der blonden „Locke“ (Nélida Martinez) zu, was in dieser gemischte Gefühle weckt, da sie in Glatze verliebt ist. Beginnt Liebe wirklich so früh? Die Aufführung ist für Kinder ab acht. Einige kleine Mädchen fanden die Annäherungsversuche, Andeutungen von Küssen zwischen Loretta und Glatze „bäh“ und sahen weg. Ein Störfaktor für die junge Lovestory ist die Clique, Glatzes Freunde, der eitle „Zahn“ (Aaron Friesz) und der obergescheite „Zecke“ (Florian Appelius). Ein Gewinn ist die fetzige Popmusik (Raimund Hornich).

Schönes Video von Sophie Lux

Für ein Kinderstück ist die Produktion – über zwei Stunden mit Pause – lang, aber recht kurzweilig. Jura Gröschl baute ein weitläufiges Bühnenbild, rechts das blitzsaubere Häuschen von Glatzes Eltern, in der Mitte die Bruchbude von Lorettas Familie, links die Hollywoodschaukel für Lockes Opa (Hans Dieter Knebel), der wegen des Chaos in Lorettas Bude die Behörden verständigt.

Ein Video von Sophie Lux illustriert im beliebten Stile der TV-Serie „Angela Anaconda“ die Träume der Kinder, doch der wunderbare surreale Schluss von „Lumpenloretta“ im Buch geht unter in einer herzigen Show. Das ist allerdings der einzige Verlust bei dieser gelungenen Aufführung – bei der Nöstlinger doppelt anwesend war, zur Premiere im Publikum und kurz im Video.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

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