Superamas: Auf der Leinwand Filme, auf der Bühne Krieg

„Wir wollen nicht wegschauen, weil wir besorgt sind“, sagt Philippe Riera, Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs Superamas.
„Wir wollen nicht wegschauen, weil wir besorgt sind“, sagt Philippe Riera, Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs Superamas.(c) Riera/Superamas
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Das Kollektiv Superamas hat mit Jugendlichen den Ersten Weltkrieg nachgespielt – um den Nationalismus der Gegenwart zu verstehen. „Die Presse“ sprach mit dem Performer Philippe Riera über das Stück.

Die Bilder sind beunruhigend. Man sieht darauf junge Menschen, Teenager, mit entschlossenen Gesichtern in historischen Uniformen – manche recken die Fäuste in die Luft, als wollten sie gleich einen Schlachtruf brüllen. Andere zielen mit zwei Fingern auf den Betrachter, als hätten sie eine Pistole im Anschlag. Auch ein Marsch von sich Ergebenden ist da zu sehen – die Hände hoch erhoben sind sie völlig schutzlos jedem möglichen Angriff ausgeliefert. Feiern Superamas mit ihrem neuen Stück, „Vive l'Armée!“, also die Militarisierung, den Kampf, den Nationalismus? „Au contraire“, würde der Franzose und Wahlwiener Philippe Riera sagen. Genau das Gegenteil ist hier passiert: Die Bilder zeigen Schüler aus Frankreich, die an Workshops und Aktionen des Künstlerkollektivs teilgenommen haben. Die Teenager haben sich dabei mit den Geschehnissen des Ersten Weltkriegs auseinandergesetzt, mit den sozialen und emotionalen Belastungen eines Krieges, mit sich ausbreitendem Nationalismus – von wo die Gedanken nicht weit in die heutige Zeit und zu aktuellen Themen wie dem Terrorismus reisen müssen . . .

„Die Uniform verändert etwas“

„Wir haben mit den Schülern ein Reinactment gemacht: Schlachten aus dem Ersten Weltkrieg – an der Somme oder bei Verdun. Historiker haben mit ihnen darüber gesprochen.“ Die geschichtliche Aufarbeitung war Teil des Unterrichts. Und sehr anschaulich. „Sie haben sich dann die Uniformen angezogen – das verändert etwas. Da hast du plötzlich das Gefühl, dass du mächtig bist. Und am Ende bleibt in den Köpfen mehr hängen, als zu sagen: ,Krieg ist schlecht.‘“ Bei den Workshops sei es für die jungen Leute möglich geworden, tiefer in die Geschichte einzutauchen. Ein Jahr lang haben Superamas immer wieder mit den Teenagern gearbeitet. „Da stellen sich dann Fragen wie: Was führt dazu, dass ein Vater bereit ist, seinen eigenen Sohn zu opfern, indem er ihn in den Krieg schickt? Aus welchen Gründen gehen Leute freiwillig zur Armee? Und: Wie entsteht heute Nationalismus?“ Diesen ortet Riera überall: in Großbritannien, Frankreich, Ungarn, Polen und Österreich. „Das wird immer mehr. Wir wollen nicht wegschauen, weil wir besorgt sind“, sagt er.

„Wir“, das sind Superamas, ein Kollektiv aus sechs Künstlern, dessen Gründungsmitglied Riera ist. Seit 1999 bringt die Gruppe multimediale Performances auf die Bühne, produziert Filme, veröffentlicht Bücher. Auch das neue Stück, „Vive l'Armée!“, das am 7. November im französischen Amiens uraufgeführt wurde und von Donnerstag bis Samstag im Tanzquartier Wien zu sehen ist, verbindet eine Vielzahl künstlerischer Ausdrucksformen miteinander: „Auf der Leinwand Filme, auf der Bühne Krieg“, heißt es auf der Website – auch ein terroristischer Anschlag ist Thema. Superamas verweben Geschichte und Gegenwart. „Wenn ich an die Migrationsbewegung durch Europa und die Angst vor dem Fremden denke, dann erinnert mich das an Stefan Zweigs ,Welt von Gestern‘ und die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als man ohne Pass durch Europa reisen konnte. Heute sind wir jedem gegenüber argwöhnisch.“ Politik-, Sozial-, Medienkritik sind Themen der Bühnenshows von Superamas. Man will eher unterhalten als belehren. „Wir predigen nicht, aber wir schüren Zweifel.“ Und Riera liebt die Momente, in denen einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

„Ich glaube nicht, dass die Kunst die Welt verbessern kann“, sagt er. „Das ist auch nicht unser Auftrag. Die Probleme müssen politisch gelöst werden. Wir legen nur den Finger in die Wunde – und wir öffnen Türen. Man kann mit einer Performance sehr wohl das Denken eines Menschen bewegen.“ Als Kollektiv hätten Superamas den Vorteil, dass durch das gemeinsame Erarbeiten vielschichtige Performances entstehen: „Wir vermitteln nie einseitige Gefühle, es ist immer sehr komplex – und nie fad.“ Er halte es auch für ein gutes Zeichen, wenn sich eine Vorführung keiner der Kategorien wie Tanz, Musik oder Theater eindeutig zuordnen lässt. „Das mag ich so am Begriff Performance: Niemand weiß, was das genau heißen soll – es ist eine offene Definition. Das ermöglicht der zeitgenössischen Kunst, sich freier auszudrücken.“ Mit klassischem Theater kann Riera eher weniger anfangen. „Im Theater verkauft man Texte, die schon definiert sind. Was wir machen, ist viel fordernder – für uns und für das Publikum. Wer zu uns kommt, der hat kein Sicherheitsnetz – man muss ein Risiko eingehen, weil man nicht genau weiß, was passieren wird.“

„Vive l'Armée!“: 24.–26. 11., 19.30 Uhr im TQW/Halle G.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2016)

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