Wie im Rausch: „Mugshots“

(c) Mark Glassner
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In „Mugshots“, dem ersten Theaterstück von Thomas Glavinic, stehen sich die Schauspieler Nadine Quittner und Christoph Rothenbuchner nach einer ausschweifenden Nacht gegenüber.

Das Thema Rausch liegt Thomas Glavinic offenbar: Die — zum Teil autofiktionalen — Protagonisten seiner Bücher frönen immer wieder dem exzessiven Missbrauch diverser Substanzen. So begann etwa sein jüngstes Buch, „Der Jonas-Komplex“, mit der Geschichte eines den Drogen und dem Alkohol zugeneigten Schriftstellers, der in elendigem Zustand neben einer Frau aufwacht und nicht weiß, wie diese an seine Seite gekommen ist. Eine recht ähnliche Situation wie in jenem Romaneinstieg hat der Autor nun zu seinem ersten Theaterstück verdichtet. „Mugshots“ greift die Stimmung eines solchen Morgens auf, an dem auf den Rausch nicht nur ein Kater, sondern auch ein Erinnerungsverlust folgt. Auch in dem Stück wachen eine Frau und ein Mann, gespielt von Nadine Quittner und Christoph Rothenbuchner, nach einer ausschweifenden Nacht im selben Bett auf, doch kennt der Mann seine Bettgefährtin diesmal nicht. Er fragt sich: Was ist bloß passiert? Und was nun?

Extremsituation. In „Mugshots“ ist es kein Schriftsteller, sondern ein Werbefachmann, der mit den Auswirkungen seines Rausches zu kämpfen hat. Rothenbuchner, seit vorigem Jahr Ensemblemitglied am Volkstheater, mimt diesen „Repräsentanten der privilegierteren Mittelschicht“, der nur zufällig, wie er sagt, ebenfalls Christoph heiße. „Er lebt sehr karrierebewusst, vielleicht auch sehr steril oder modern“, charakterisiert der Schauspieler seine Figur. Als Ausgleich zum Arbeitsleben macht Christoph regelmäßig einen drauf und fühlt sich danach ernüchtert und reuig, als müsse man Mugshots von ihm machen, jene schonungslos bloßstellenden Polizeifotos einer eben festgenommenen Person.

Doch diesmal ist da jene fremde Frau in seiner Wohnung. Sie bringt seine Lebensvorstellung durcheinander: „Sie ist sehr impulsiv, ein Gegenmodell zu ihm“, beschreibt Quittner, die ebenfalls mit der vergangenen Spielzeit an das Volkstheater gekommen ist, ihre Figur Anastasia. Diese Anastasia hat gegenüber Christoph einen Startvorteil: Sie leidet nicht wie er an einem Filmriss. Folglich entspannt sich ein Machtspiel zwischen den beiden, was das Wissen um den Vorabend betrifft. Sie gibt ihm Hinweise und stellt schließlich klar, dass sie eine Zwangsprostituierte aus der Ukraine ist und er ihr die Rettung versprochen, sie gar freigekauft habe. Dann steht der vermeintliche Zuhälter vor der Tür und fordert sie zurück. Kann Christoph sein Versprechen halten?

So klischeehaft diese Handlung beim schnellen Erzählen anmuten mag: Dies sei nur die erste Ebene, sind sich die Schauspieler einig. „Diese Klischees sind erst einmal die Referenzpunkte, damit man sofort ein Milieu, eine Vorstellung hat“, sagt Quittner. Darüber hinaus gehe es um eine tief greifendere, zwischenmenschliche Ebene: um Rollenbilder und Vorstellungen vom eigenen und fremden Lebensentwurf, um Identitäten und Maskeraden. Und um gegenseitige Erwartungen, die mit so einer Begegnung einhergehen. „Was ich zentral finde, ist zum einen die Frage: Was ist Wahrheit, was Lüge? Und zum anderen die Sehnsucht nach Liebe“, so Rothenbuchner. Diese Sehnsucht würden beide Charaktere hegen, meint auch Quittner, wobei sie sich auch nach Dramatik, nach einem großen, wichtigen Moment im Leben sehnen würden. Für die beiden Sehnenden sei es daher „eine Wahnsinnschance, dass sie in so eine Extremsituation hineingeraten sind“, erzählt sie.

Freude am Ausprobieren. Die Katerstimmung, ein ja eigentlich recht unangenehmer Zustand, also als Chance? Auch Rothenbuchner ist davon überzeugt, dass nicht nur der Rausch, auch der dazugehörige Kater durchaus spannend sein kann: „Man hat das Gefühl, dass man aus seiner Routine ausgebrochen ist, und plötzlich ist alles möglich, weil man dann sehr pur ist“, beschreibt er die Vorzüge einer Eskapade und deren Nachwehen und ergänzt: „Das ist ein uns allen bekanntes Thema, das hier in einer Überhöhung behandelt wird.“ Wohl wissend, dass es im Alltag unmöglich wäre, zusammenzufinden, können die grundverschiedenen Charaktere an jenem Morgen unbedarft ausprobieren, wie es wäre, eine Beziehung zu führen. „Sie erleben eine Form von Märchen, haben Hoffnung auf Nähe“, erzählt Quittner. Doch für wie lang kann so eine Märchenblase währen? Zerplatzt sie an der Außenwelt oder an zwischenmenschlichen Problemen?

Fragen wie diese stellen sich die Schauspieler nach wie vor: „Es ist noch ein Herantasten“, schildert Quittner den Probenprozess, bei dem sie gemeinsam mit Glavinic auf die Suche nach Antworten gehen: „Es ist spannend, weil er uns so viel Freiraum lässt, offen ist für unsere Interpretation vom Text.“ Nach Unstimmigkeiten über das Regiekonzept von Lukas Holzhausen, der das Stück ursprünglich hätte inszenieren sollen, führt nun der Autor selbst Regie. Rothenbuchner, der während seines früheren Engagements am Grazer Schauspielhaus in „Das bin doch ich“ gespielt hat und so mit Glavinic’ Werk bereits in Berührung gekommen ist, findet es gleichfalls erfrischend, nun mit dem Autor selbst zu proben, dessen Neugierde an Theaterarbeit zu erleben: „Das ist eine ganz andere Art zu arbeiten, wenn jemand nicht die Schauspielsprache spricht.“

Liebe mit Risiko. Aber nicht nur bei „Mugshots“ gilt es für die beiden, Unvertrautes auszuprobieren. Ganz allgemein haben sie sich seit der vergangenen Spielzeit auf etwas Neues eingelassen, als sie im Rahmen der Intendanzübernahme durch Anna Badora an das Volkstheater gekommen sind, Quittner aus Dresden, Rothenbuchner aus Graz. „So ein Neuanfang ist ein großes Privileg“, glaubt Rothenbuchner. In ihrem zweiten Jahr am Theater haben sich beide endlich eingelebt. Im gesamten Haus habe sich der Druck nach dem Wechsel der Intendanz nun ein wenig gelöst, dabei werde aber auch weiterhin mutig Neues versucht, ein Umstand, den Quittner sehr schätzt: „Ich habe das Gefühl, dass nun geatmet wird, angstfrei mehr für das eingestanden wird, was man macht. Das ist vergleichbar mit einer Aussage aus unserem Stück: Liebe muss mit Risiko besetzt sein!“

Das Volx/Margareten, an dem „Mugshots“ demnächst uraufgeführt wird, ist Teil von Badoras neuem Konzept, nicht nur Theater auf großer Bühne zu machen, sondern auch eine kleinere Spielstätte zu etablieren. „Diese Bühne ist wichtig, hier kann man ganz andere Stücke machen“, meint Quittner. Man spiele hier direkter, sagt Rothenbuchner, was beim aktuellen Stück wichtig sei: „Auf der großen Bühne wäre es schwierig, so eine Intimität herzustellen.“ Eine Intimität, die gut zu Rothenbuchners Grundmotivation beim Schauspiel passt: dem Ungehörten, das im Alltag oft untergeht, Raum zu geben. Mit diesem Alltag für ein paar zu Stunden brechen ist für Quittner eine besondere Qualität, die Theater bietet: „Man kann eine andere Welt schaffen und in diese eintauchen, mit dieser dem Publikum auch einen Spiegel mitliefern.“ Einen Spiegel der Gesellschaft liefert freilich auch „Mugshots“: Das Stück zeige passend zum Spielzeitmotto ein „Ringen nach Gemeinschaft als einen der lebenserhaltensten Zustände, den man erreichen kann“.

Tipp

„Mugshots“. Text und Regie: Thomas Glavinic, mit Christoph Rothenbuchner und Nadine Quittner. Uraufführung, Premiere im Volx/Margareten am 16. 12.

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