„Schluss mit diesem Pessimismus!“

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Bastian Kraft inszeniert „Ludwig II.“ nach Viscontis Film von 1972. Mit der „Presse“ sprach er über den Märchenkönig und Hermann Hesses „Steppenwolf“, Schönheit und Wahnsinn und das Leben in einer Zeit der Hochstapler.

Die Presse: Luchino Visconti hat heuer seinen 110. Geburtstag und seinen 40. Todestag. Erklärt sich daraus das lebhafte Interesse für seine Filme? „Ludwig II.“ kommt ins Akademietheater, „Die Verdammten“ laufen in der Josefstadt . . .

Bastian Kraft: Das ist reiner Zufall. Ich wollte „Ludwig II.“ unbedingt machen, weil ich die Themen für diese Stadt, Wien, zum jetzigen Zeitpunkt absolut richtig fand.

Wieso das?

Es geht um die Frage, welche Rolle Kunst für einzelne Menschen, aber auch für eine Gesellschaft spielt. Visconti stellt die Frage, ob es Sinn hat, für Kunst Geld auszugeben. Ist Schulunterricht in Kunst und Musik weniger wichtig als in Naturwissenschaften? Welche Rolle spielen Ästhetik, Schönheit, Kultur in unserem Leben? Ist das der Luxus, den wir uns leisten, wenn wir satt sind, wenn genug Geld auf dem Konto ist und die To-do-Liste abgehakt? Oder hat Kunst eine Lebens- und eine staatliche Priorität?

Sprechen Sie von den Investitionen Ludwigs II. in Bayreuth und in seine Schlösser, die ihm als Verschwendung angekreidet wurden, was letztlich zu seiner Absetzung führte?

Genau. Heute würde kein bayerischer Minister Neuschwanstein infrage stellen. Niemand würde behaupten, das war schlecht investiertes Geld. Ludwig II. ist ein Held in Bayern, vielleicht sogar der beliebteste König aller Zeiten. Und der Film schafft es, Ludwigs Handeln nachvollziehbar zu machen, obwohl es einem oft weltfremd erscheint.

Welche Rolle spielt die Homosexualität?

Historisch gibt es keine sicheren Quellen. Wir können nicht ins Schlafzimmer des Königs schauen. Es kann sein, dass er jeden Tag einen Stallknecht bei sich hatte, es kann aber auch sein, dass er niemals Sex hatte. Mich interessieren bei Ludwig das Außenseitertum und die Ambivalenz, dass er in vielerlei Hinsicht aus der Konvention gefallen ist.

Die Frage ist, ob Normalität überhaupt existiert.

Ich glaube nicht. Jedes Individuum ist ein Außenseiter. Nicht dazuzugehören ist eine zutiefst menschliche Empfindung. Das Anderssein ist das Definierende, nicht die Konvention.

Ludwig verfällt sehr schnell. Er ist ein wunderschöner junger Mann, am Ende ist er ein Wrack. Macht Ihnen das Alter Sorgen?

Es gibt wohl sehr wenige Menschen, die nicht diese Momente kennen, in denen sie erschrocken feststellen, wie schnell die Zeit vergeht. Allerdings ist mein Leben bis jetzt immer schöner geworden. Ich möchte lieber der sein, der ich heute bin, als der, der ich vor fünf oder 15 Jahren war. Heute hatten wir einen Dreh in einer Garderobe, da war eine Uhr, die bei jeder vollen Minute Klick gemacht hat. Das war enervierend. Beim Arbeiten vergeht die Zeit überhaupt sehr schnell.

Ludwig II. wird gern der Märchenkönig genannt. Und der Film hat auch etwas Märchenhaftes. Welches Märchen haben Sie als Erstes gesehen?

„Die Schneekönigin“ im Stadttheater Gießen. Ich habe dort später auch studiert, mein wichtigster Professor war Heiner Goebbels. Wenn ich Kindertheater sehe, fällt mir auf, dass es oft grausamer ist als Erwachsenentheater. Das Schauerliche, der Wonnegraus, sind gerade das Anziehende am Theater: Man möchte hinschauen, hat aber Angst vor dem, was man sehen wird. Im Kindertheater gibt es immer den Helden, mit dem man sich identifiziert, aber von hinten kommt der Böse herangeschlichen.

Mögen Sie lieber das Lustige oder den Wonnegraus?

Theater ist einer der wenigen Orte, wo man sich noch mit den verstörenden Seiten des Daseins konfrontieren kann. Unsere Welt ist ja gänzlich darauf ausgerichtet, dass alles funktioniert. Ich zum Beispiel habe noch nie einen Toten gesehen. Der Tod, aber auch alles Unangenehme, wird ausgelagert. In dieser Funktionalität kommen wir viel zu selten dazu, uns mit Fragen zu beschäftigen, auf die es keine leichten Antworten gibt. Theater kann hier anders kommunizieren als Mainstreamkino und Fernsehen.

Schauen Sie sich Blockbuster an?

Ich finde gute Unterhaltung wunderbar. Ich möchte auch im Theater unterhalten werden. Aber ich will dann auch einen Schritt weiter gefordert werden, über die Unterhaltung hinaus. Für mich ist Theater vergleichbar mit einer Kirche, in der man eben auch mit dem Nichtalltäglichen und der eigenen Sterblichkeit konfrontiert wird.

Sie haben relativ viele Romane auf die Bühne gebracht. Lesen die Leute keine Bücher mehr?

Schluss mit diesem Pessimismus! Jede Generation glaubt aufs Neue, nach ihr gehe das Abendland vor die Hunde. Wenn ich Romane dramatisiere, hat das inhaltliche und ästhetische Gründe. Ich möchte neue Erzählweisen erfinden, Romane zwingen einen dazu, für die Bühne eine eigene Form zu suchen. Brecht hat mit seinem epischen Theater den Weg dazu geebnet. Ein „Zauberberg“ im Theater ist kein Ersatz fürs Lesen des Buches, sondern ein neues Werk, basierend auf einer literarischen Vorlage.

2008 haben Sie im Burgtheater-Vestibül „schöner lügen. Hochstapler bekennen“ gezeigt. War das so eine Art Vorschau für die Burg-Krise?

Nein. In dem Stück ging es darum, den Typus des Spielers zu feiern und die Lüge von dem Verdacht zu befreit, sie sei per se etwas Schlechtes.

Also soll man lügen?

Nein. Aber wir leben in einer Zeit der Hochstapler, wir werden dazu erzogen. Ich glaube nicht an die Idee vom wahren Ich und noch weniger an den Leitspruch „Sei du selbst!“. Ich bin Bastian Kraft, aber doch kein in sich geschlossenes Wesen. Identität ist bis zu einem gewissen Grad immer eine Rolle. Wir finden früh heraus, welches Genre für uns das richtige ist. Manche Kinder merken: Sie müssen immer lächeln, dann kommen sie gut durchs Leben und andere merken, sie müssen schreien und wieder andere müssen sich verstecken. Unsere Mitmenschen sind unser Publikum.

Sie haben auch Hermann Hesses „Steppenwolf“ in Zürich auf die Bühne gebracht. Ist das eine Phase, durch die wir alle durch müssen? Weltekel! Wie war das bei Ihnen?

Ich hatte nie eine Phase des Weltekels. Diese deprimierte Stimmung in der Pubertät oder in der Adoleszenz, in der man denkt, das hat alles keinen Sinn hier, kenne ich nicht. Ich war eigentlich immer ein positiver Mensch. Übrigens endet „Der Steppenwolf“ mit Lachen, mit einer positiven Vision. Insofern schildert Hesse, was er selbst nicht geschafft hat. Wir wissen oft, was richtig für uns wäre, aber kommen nicht zum Punkt, es zu tun.

Warum nicht?

Weil es schwierig ist, sich zu verändern. In „Ludwig II.“ kommt diese Szene vor, in der Elisabeth sagt: Veränderung ist immer eine Täuschung.

ZUR PERSON

Bastian Kraft wurde 1980 in Göppingen geboren. Er studierte in Gießen angewandte Theaterwissenschaft. Seit sechs Jahren läuft am Burgtheater Basts Inszenierung von „Dorian Gray“ nach dem Roman von Oscar Wilde – mit Markus Meyer. Dieser spielt auch die Hauptrolle in „Ludwig II.“ nach dem Filmklassiker von Visconti. Ab 10. Dezember im Akademietheater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2016)

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