Volkstheater: Vom Massaker zurück zur Party in „Rechnitz“

Boten eines Massenmords (von links): Katharina Klar, Thomas Frank, Steffi Krautz, Kaspar Locher, Birgit Stöger, Claudia Sabitzer, Sebastian Klein.
Boten eines Massenmords (von links): Katharina Klar, Thomas Frank, Steffi Krautz, Kaspar Locher, Birgit Stöger, Claudia Sabitzer, Sebastian Klein. (c) Lupi Spuma/Volkstheater
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Miloš Lolić hat das ausufernde Drama von Elfriede Jelinek auf knapp zwei Stunden konzentriert. Bei den Tanzeinlagen wird stark übertrieben. Das Ensemble holt schonungslos eine ganze Menge aus dem schwierigen Text heraus.

An der Rampe des Volkstheaters öffnet sich eine Klappe im Bühnenboden, es klingt wie ein Schuss, wenn sie auf den Boden knallt. Das passt zur Premiere am Sonntag: „Rechnitz (Der Würgeengel)“ handelt von der Erschießung 180 ungarischer Juden in diesem burgenländischen Grenzort im März 1945, in den letzten Tagen des Nazi-Regimes. Von einem Fest bei Gräfin Margit von Batthyány, einer geborenen Thyssen, wurden in der Nacht zum Palmsonntag mehr als ein Dutzend Männer der Gestapo und der SS geholt, um dieses Massaker zu begehen. Danach kehrten sie wieder ins Schloss zurück. Ihre Opfer, die irgendwo in Rechnitz vergraben sein sollen, wurden nie gefunden.

Die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat aus diesem Thema 2008 ein ausuferndes, betroffen machendes, in scharfer Sprache das Skandalon suchendes Stück geschrieben: vom Feiern zum Mord und wieder zurück zur Party, vor dem Untergang des Dritten Reiches. Es passt also auch irgendwie, dass Regisseur Miloš Lolić (*1979 in Belgrad) diesen Totentanz mit fetziger Musik unterlegt hat – R & B, Disco, Rock, Jazz, Blues. Weniger erschließt sich, warum diese Musik ausschließlich von schwarzen Sängerinnen dargeboten wird, die in eingeblendeten Videos gezeigt werden – Beyoncé, Tina Turner, Whitney Huston, Janet Jackson, Grace Jones, Nina Simone, Billie Holiday . . . Die singen nämlich weniger von Gewalt (das tun männliche Rapper), sondern eher von Sex, Liebe, Einsamkeit und Unterdrückung. Ihre tollen Tanzbewegungen werden jedenfalls vom Ensemble brav nachgeturnt.

Die Frisur als Persiflage der Dichterin

Das taucht gleich in der ersten Szene geschlossen auf: Sieben Schauspieler kommen der Reihe nach aus der Klappe hoch. Sie tragen alle, Männer wie Frauen, hautenge Trikots und Netzstrümpfe, wie die Damen im Video, ihre Beine, Brüste und Hintern sind großzügig ausgestopft. Diese Darsteller sind die Boten, die über Rechnitz berichten, die Beobachter und auch die Täter. Alle haben anfangs Frisuren, wie man sie von Frau Jelinek kennt, später setzen sie unter anderem Afrolookperücken auf oder verstecken sich unter Baseballkappen. Auch das bleibt ein Geheimnis: Warum wird die Dichterin so häufig in Inszenierungen ihrer Stücke persifliert? Manchmal ist sie eine Puppe, manchmal eine Vagina. Hier handelt es sich nur um ihr zurückgekämmtes, langes Haupthaar, dunkles jedoch. Ist das gar Kritik an ihrer zynischen Vernunft? Rächt sich das Theater so vielleicht gar dafür, dass diese übertriebenen Texte eine lerntechnische Zumutung sind?

Solch lustige Einfälle sind bald Nebensache. Disco, Video und Modegags kann man vergessen, was hier zählt, ist das Zeugnis, das von den Boten wortreich, sprachverspielt, gallenbitter und kalauernd abgelegt wird. Die Sprachspiele können nur unzureichend davon ablenken, dass diese Dichtung beklemmend und todernst ist. Lolić hat für seine knapp zwei Stunden dauernde Aufführung aus dem riesigen Drama passend prägnante Stellen ausgewählt. Die Fragmente ergeben ein sinnvolles Ganzes. Steffi Krautz legt los, monologisiert über das Fest, den Befehl zum Mord, die herannahenden Russen, Gasleitungen, Gas, das Geschäft mit ihm. Kaum hat sich ihr Sprachfluss ein wenig erschöpft, sind schon die nächsten dran: Thomas Frank, Katharina Klar, Sebastian Klein, Kaspar Locher, Claudia Sabitzer und Birgit Stöger verleihen irren Sätzen Sinn, jeder und jede auf individuelle Art, alle aber fokussiert. So bleibt Spannung erhalten. Die Tanzeinlagen und das Umkleiden (Glitzer, Punk, Hippiefetzen – Kostüme von Jelena Miletić) für jede neue Nummer ermüden hingegen bald.

Der Ösi vergisst eben immer alles

Der Text hat es in sich. Das Böse. Alles hier ist hohl und morsch, morbid: „Das Fleisch muss weg!“, heißt es. Oder: „Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein“, während „der Ösi immer alles vergisst“. Dazwischen wird geturnt, rund um aufgetürmte Kulissen (Bühne: Paul Lerchbaumer), die einen höfischen Raum vortäuschen. Die flotte Choreografie hat Jasmin Avissar geschaffen. Sie spielt mit, in einer stummen, mysteriösen Rolle, bewegt sich langsam in Unterwäsche über die Bühne, ins Parkett, verlässt den Raum, filmt dann die anderen. Was will sie aus der Distanz dokumentieren? Die Boten können nicht entkommen. Sie behalten ihre Last, bis sie wieder untertauchen. Ihre um die Vernichtung kreisenden Sätze verstricken sie immer tiefer in Widersprüche. Diese Dauer-Argumentation, in der sich Perfides bei aller Verschleierung entblößt, in der sich der frühe Wunsch des Zudeckens von Verbrechen mit der gegenwärtigen Strategie, jetzt müsse „endlich Schluss sein“ trifft, macht „Rechnitz“ trotz seiner sprachlichen Umwege so treffsicher. Der Inszenierung gelingt es, abgesehen von wenigen entbehrlichen Längen, das Böse der Verharmlosung und des Vergessens zu vermitteln. Dieses gut eingespielte Ensemble schont sich nicht. Es schont uns nicht.

Termine: 16. und 27. Dezember, 10., 22. und 28. Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2016)

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