Erstaufführung: Das Außereheliche im Ehelichen

FOTOPROBE KAMMERSPIELE 'DIE KEHRSEITE DER MEDAILLE'
FOTOPROBE KAMMERSPIELE 'DIE KEHRSEITE DER MEDAILLE'APA/HERBERT PFARRHOFER
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Alexandra Liedtke inszeniert in den Kammerspielen „Die Kehrseite der Medaille“ stimmig und präzise. Ein Quartett aus der Josefstadt entzückt.

Zuweilen erweist sich die Betrachtung der Zuschauer in Theatern als mindestens so interessant wie das auf der Bühne Dargestellte. Ein Glücksfall aber ist es, wenn ein Drama höchstes Vergnügen wie auch Erkenntnisgewinn bereitet und sich dieser Denkprozess vor der vierten Wand fortsetzt, wenn er in der Pause und nach dem Schluss bis ins Foyer wirkt. Das war am Donnerstag in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt der Fall. Alexandra Liedtke hat Florian Zellers Anfang 2016 in Paris uraufgeführte, so bezaubernde wie heimtückische Komödie „Die Kehrseite der Medaille“ stimmig und präzise inszeniert, die vier Darsteller haben derart glaubhaft gewirkt, dass nach kurzer Zeit ein kollektiver Denkprozess einsetzte: Ja, Monsieur Zeller, auch Wien darf Paris werden, wir haben verstanden! Die Ehe ist eine Machtprobe mit vielen Verlierern.

Das Publikum der Kammerspiele, ein mit reichlich Lebenserfahrung versehenes Abbild gutbürgerlicher Wiener Gesellschaft, begann sich gegenseitig beim Flanieren fast indiskret zu beäugen. Es drängten sich unwillkürlich heimliche Fragen auf: Wer ist die blutjunge Frau an der Seite des grauhaarigen Herrn, dessen wunderbar wilde Jahre doch schon eine Zeit lang vergangen sind? Und was denkt diese als spitzzüngig bekannte feine Dame gerade über ihren Gatten, der blöde grinsend fremdes Weibsvolk taxiert? Sitzt meine Krawatte? Bauch rein! „Grüß' Sie!“

Solch Assoziationen löst Zeller (*1979 in Paris) in seinem Kammerspiel durch ein verlässliches Muster und auch einen bewährten Kunstgriff aus. Die Situation: Daniel (Michael Dangl) hat seinen Freund Patrick (Marcus Bluhm) getroffen, der sich nach vielen Jahren von seiner Ehefrau getrennt hat, der besten Freundin von Isabelle (Sona MacDonald), Daniels Frau. Diese Paare, sie sind bereits in ihrer mittleren Reife, haben sich lange gekannt, sie waren oft gemeinsam auf Urlaub. Seit aber Patrick eine wesentlich jüngere Neue hat, Emma (Alma Hasun), herrscht Funkstille. Isabelle nimmt Partei für die Ex. Patrick aber hat sich nun bei Daniel samt Emma zum Diner eingeladen. Dieser muss seiner Frau beichten, dass dieses Treffen am nächsten Samstag stattfinden soll, in der kompakten Kombination von Wohnzimmer, Küche und Esszimmer, die Volker Hintermeier auf die kleine Drehbühne gebaut hat.

Die leibhaftige Versuchung

Der Kunstgriff: Einen beträchtlichen Teil des Textes macht das Beiseitesprechen aus. Die vier Personen reden nicht nur miteinander, sondern, wenn die anderen auf der Bühne erstarren, zum Publikum. Das kennt dann auch ihre Gedanken und heimlichen Strategien. Diese Diskrepanz wirkt komisch bis zur Schmerzgrenze. Für Dangl ist der Harmoniesüchtige, der von Außerehelichem träumt, aber verlässlich kuscht, eine Traumrolle. In MacDonald hat er einen souveränen Widerpart: Sie spielt Isabelle als eine, die ihrem Gatten im Denken immer um einen Schritt voraus ist. Das zweite Paar wird von Liedtke klug etwas zurückgenommen. Bluhm spielt einen angeberischen Middle-Ager, der keinen Gedanken an Vergangenheit oder gar Verantwortung verschwendet. Und Hasun bleiben als leibhaftiger Versuchung zwar am wenigsten Gedankenspiele, sie hat aber dennoch das schönste „à part“: Emma tritt an die Rampe und sagt – nichts. Potztausend! Isabelle hat völlig recht. Wie konnte Patrick wegen dieser billigen Affäre, deren Ende abzusehen ist, nur seine edle Frau verlassen? Ja, wie konnte er nur? Der Schlussapplaus war unisono herzlich. Aber ob dabei alle Männer fast nur auf diese Emma schauten, wird wohl nur den Frauen aufgefallen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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