Marie Rötzer: „Das Theatervirus überall hinbringen!“

Auf Tour in Niederösterreich: Marie Rötzer, neue Intendantin des Landestheaters.
Auf Tour in Niederösterreich: Marie Rötzer, neue Intendantin des Landestheaters.(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Marie Rötzer möchte das Landestheater Niederösterreich beleben, indem in Bezirksstädten gespielt wird. Zudem soll durch Gastspiele die weite Welt nach St. Pölten kommen und die heimische Literatur eine Bühne bekommen.

Die Presse: Die Fassade des Landestheaters Niederösterreich ziert die Projektion eines Globus. Sie waren lang draußen in der Fremde. Jetzt sind Sie als Intendantin in Ihrer Heimat zurück. Was ist an Welt in dieses Haus hereingekommen?

Marie Rötzer: Verlässt man das Vertraute, muss man sich neu erfinden. Unser Leitmotiv hier lautet auch „Die Welt ist groß“. Theater bedeutet eine wesentliche Form, sie ist zu erforschen, im Dialog zwischen Bühne und Zuschauerraum auszuloten. Das Publikum will anderes kennenlernen. Als Theatermacherin will ich von der großen Welt erzählen. Das meine ich nicht topografisch. Es geht um geistige Offenheit. Kunst ist immer eine Form von Brückenschlag. Wir helfen dabei, den Horizont zu erweitern, die Perspektive zu wechseln. Es ist mir auch ein Anliegen, internationale Autoren nach St. Pölten zu bringen. Damit haben wir bereits begonnen. Im Herbst war zum Beispiel der irakisch-deutsche Romancier Najem Wali bei uns zu Gast.


Ihre Vorgängerinnen haben ebenfalls danach gestrebt, das Theater zu öffnen, mit Gastspielen, mit Bürgertheater. Wie werden Sie diese Öffnung bewirken?

Wir werden in allen Richtungen initiativ werden, das Land stärker einbinden, indem wir zum Beispiel auf Tournee durch Bezirksstädte gehen. Ein Format heißt „Landestheater unterwegs“ – wir nehmen Schauspieler mit, die von Produktionen erzählen, Szenen daraus spielen. Wir arbeiten auch mit Regisseuren, die bereits internationalen Kontext haben, zum Beispiel Alia Luque, die hier bei Franz Grillparzers „Das goldene Vlies“ Regie geführt hat. Das interessierte auch das Wiener Publikum, das sie bereits von einer Burgtheater-Inszenierung kannte. Und im Mai 2017 wird vom türkisch-deutschen Regisseur Hakan Savaş Mican „Die Eroberung des Goldenen Apfels“ aufgeführt, ein Projekt über die osmanische Belagerung von Wien 1683. Das ist, nicht nur durch die aktuellen Entwicklungen, ein europäisches Thema. Wir sind hier auch so nah dran an den Nachbarländern – Tschechien, Ungarn, Slowakei. Das sehe ich als eine große Chance. Wir haben schon Kontakte zu Kollegen dort geknüpft.


Was liegt Ihnen besonders am Herzen, was muss Ihnen unbedingt gelingen?

Dass ich Künstler, die ich aus dem internationalen Bereich kenne, hierher bringe, aber auch, dass wir es schaffen, St. Pölten vermehrt für österreichische Künstler interessant zu machen. Wichtig sind mir zudem Kooperationen mit niederösterreichischen Einrichtungen. Unser Theater hört nicht an der Schwelle dieses Hauses auf, wir wollen hinausgehen zu den Leuten, in der Stadt und auf dem Land. Wir wollen uns mit dem Theaterkarren bei ihnen zeigen. Kleine Inszenierungen sollen das Theatervirus überall hinbringen. Im Theaterprojekt Utopia werden wir die Menschen auch zu alternativen Lebensformen befragen.


Sie waren Referentin des Intendanten am Thalia-Theater in Hamburg, wo Wert auf Aktualität und Sozialkritik gelegt wird. Was bedeutet Ihnen das?

Aktualität lässt sich nicht nur durch Sozialkritik darstellen, sondern auch dadurch, dass sich die Disziplinen vermischen: Theater, Musik, Film, Tanz, Dokumentarisches werden verbunden, dadurch will man ganz nahe an der Wirklichkeit sein. Diese Formen haben alle ihre Berechtigung. Wir sind kein Museum. Wie in jeder Kunst gibt es aber auch unumstößliche Denkmale und Klassiker. Mich interessiert am Theater besonders die Literatur. Ich habe Germanistik studiert. Die Leidenschaft zur Sprache ist bei mir ganz eng mit der Bühne verbunden. Da denke ich an Jelinek, Handke, Bernhard, Ransmayr bei den Österreichern. Wir werden im Jänner Josef Winklers „Roppongi“ in der Theaterwerkstatt dramatisieren. Auch auf Shakespeare will ich nicht verzichten. Ich möchte zudem multilinguale Produktionen zeigen, mit Menschen unterschiedlicher Kulturen. Es geht dabei vor allem um Gemeinsamkeiten. Da sind wir wieder bei unserem Leitmotiv „Die Welt ist groß“, sie bietet uns auch unheimlich viele Chancen. Theater lässt sich nicht begrenzen, der Spielraum ist unendlich, wir gehen auch gern und wagemutig auf das Fremde zu.

Ist es ein Schock, vom Thalia-Theater mit 300 Mitarbeitern nach St. Pölten zu kommen, wo es circa 100 Mitarbeiter gibt?

Es ist schwierig und leicht zugleich. Ich habe schon Theater der unterschiedlichsten Größen kennengelernt, alle mit ihren spezifischen Problemen. In Hamburg etwa gibt es viele Gastspiele. Mit „Warten auf Godot“ gastieren sie zum Beispiel im Juni bei uns. Weil aber die Schauspieler dann auf Reisen sind, wird die Probensituation oft konfliktreich. Der künstlerische Druck ist überall hoch, schwierige Probenbedingungen ergeben sich auch in kleinen Häusern. Wenn bei uns im Landestheater ein Schauspieler krank wird, müssen wir meist Ersatz von außen suchen.


Sie sind an sich Dramaturgin. Geht Ihnen diese Arbeit nicht bereits ein bisschen ab?

Ich war schon am Maxim-Gorki-Theater Dramaturgin, in Graz und Mainz Chefdramaturgin, da hat man auch viel Organisatorisches. Hier bin ich allein künstlerisch verantwortlich, muss mich um vieles kümmern. Deshalb werde ich auch nicht selbst inszenieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2016)

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