„Die Blumen von gestern“: Holocaustbewältigung mit Krawall

Film. Chris Kraus zeigt mit seiner Tragikomödie, dass Erinnerungskultur nicht nur als versteifte, institutionalisierte Verpflichtung begriffen werden darf, sondern auch als höchstpersönliche Sache. Dass dabei ordentlich die Fetzen fliegen, ist sozusagen ein Nebeneffekt.

Die Historiker sitzen versammelt an einem großen Tisch unter einem Foto vom Konzentrationslager in Auschwitz, besprechen sich im Hinblick auf den bevorstehenden Kongress und jausnen dabei französische Köstlichkeiten, die die Praktikantin aus Paris mitgebracht hat. Und Totila kann es nicht fassen: Im Ernst? NS-Forschung betreiben und dabei Salami snacken? Und dann auch noch Großkonzerne als Sponsoren anwerben, die doch nicht wirklich an Vergangenheitsaufarbeitung, sondern, wenn überhaupt, nur an sozial aufgehübschtem Marketing interessiert sein können? Ja, hat denn hier keiner mehr Anstand?

Der bierernste, zutiefst moralische, misanthropische Historiker Totila (Lars Eidinger), seinerseits Enkel eines Nazi-Verbrechers, hat es nicht leicht; mit den Kollegen in der Zentralstelle Ludwigsburg nicht, mit seiner Frau, die mit anderen Männern schläft, nicht, und auch nicht mit der nervigen Praktikantin, die man ihm zur Seite stellt: Zazie (sprühend: die Französin Adèle Haenel), ihrerseits Enkelin eines Holocaustopfers, ist hoch emotional, psychisch komplett labil – und scheint ihre eigenen Forschungsschwerpunkte zu verfolgen, die einiges mit Totila Familie zu tun haben.

Opferkind liebt Täterkind

Dass die beiden sich im weiteren Verlauf der deutsch-österreichischen Tragikomödie „Die Blumen von gestern“ ineinander verlieben, ist nicht nur dramaturgisch vorauszusehen, sondern wird auch mittels psychologischer Theorien (Opferkind liebt Täterkind) zu erklären versucht. Dabei ist die – weitgehend unromantisch erzählte – Beziehungsgeschichte der beiden nur ein Aspekt des Filmes. Vor allem zeigt der deutsche Regisseur und Autor Chris Kraus, wie sich die Geister der Vergangenheit über Generationen halten, und dass Erinnerungskultur nicht nur als versteifte, institutionalisierte moralische Verpflichtung begriffen werden darf, sondern auch als höchstpersönliche Sache. Und was persönlich ist, ist eben, wie Personen sein können: unprofessionell, banal, emotional, aufbrausend, verletzlich. Und ehrlich.

Denn ehrlich, das ist der Film, wenn man manche Wirrung des überfrachteten Drehbuchs und die zuweilen krawallige Inszenierung beiseiteschiebt und auf den Kern der Geschichte blickt. So sind die guten komischen Momente des Films auch nicht die erzwungenen – wenn der unliebsame Kollege (Jan Josef Liefers) etwa nach einer Schlägerei eine lächerliche Kieferschiene tragen muss oder der Hund des verstorbenen Chefs durch das Autofenster fliegt – sondern die beiläufigen: Wenn Totila etwa im Gespräch mit einer Holocaustüberlebenden (die im Vorjahr verstorbene ehemalige Burgschauspielerin Sigrid Marquardt), die keine Lust auf eine Rede auf dem Auschwitz-Kongress hat, die Fassung verliert und sagt: „Sie haben ja keine Ahnung, was den Juden da angetan wurde!“

Die schrecklichen Ereignisse der NS-Zeit werden dabei nie ins Lächerliche gezogen, wohl aber die verbissene, manchmal verlogene Art, mit ihnen umzugehen. Und die zeitgenössischen Ausformungen rechten Gedankenguts: Da präsentieren sich Neonazis als übergewichtige hirnlose Schläger, und im Wiener Augarten stibitzen Totila und Zazie den Säbel einer stramm zum Foto aufgestellten Burschenschafter-Gruppe.

Eidinger und Haenel überzeugen als tief zerrissene Figuren, denen das Schicksal keine Romantik zu gönnen scheint, und ringen dem Film einige berührende Momente ab. Dabei spielt „Die Blumen von gestern“ auch mit dem Gedanken: Kann die Vergangenheit überhaupt je bewältigt werden? Und wollen wir das denn auch?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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