Herbert Fritsch: "Wer trifft bei der Liebe schon ins Schwarze?"

„Ein Doppelgänger kann toll sein, aber auch schrecklich“, sagt Regisseur Herbert Fritsch.
„Ein Doppelgänger kann toll sein, aber auch schrecklich“, sagt Regisseur Herbert Fritsch.(c) Burgtheater/Reinhard Werner
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Regisseur Herbert Fritsch ärgert, dass er für „quietschbunte Klamotte“ steht. Er ist überzeugt, dass Theater die Quelle aller Künste ist, auch der Computerspiele. Und er glaubt an Engel, Teufel, Übersinnliches, aber nicht an Katholiken.

Die Presse: Was ist der Unterschied zwischen Wien und Berlin?

Herbert Fritsch: Berlin ist unorganisiert und hat einen sehr herben Charme. Wien hat einen Zauber. Es ist eine gewachsene Stadt, es gibt kleine Geschäfte, nicht nur Shoppingmalls. Das Traditionelle kann einem auch auf den Wecker gehen. Aber mir tut es gut. Gemeinsam ist Berlinern und Wienern, dass sie das Theater lieben.

Worum geht es, kurz und bündig, in Shakespeares „Komödie der Irrungen“?

Das Stück ist sehr schnell geschrieben, erst, wenn man genauer hinschaut, sieht man die Qualität. Es geht nicht nur um Verwirrung, um Doppelgänger, das Amphitryon-Thema, das tausendfach variiert wurde. Wenn die Ehefrau fragt: „Erkennst du mich nicht mehr?“ Da sieht man das überzeichnete Psychogramm einer Beziehung, den ganzen Schmerz, die Eifersucht.

Interessant, die Leute heiraten immer wieder, und dann lassen sie sich scheiden. Besonders Prominente. Man fragt sich, findet das nur zu Zwecken der Publicity statt? Der 100-jährige Kirk Douglas hingegen ist seit 1954 mit der gleichen Frau verheiratet, eine Sensation in Hollywood.

Wahrscheinlich ist Kirk Douglas deshalb 100 geworden, weil er ins Schwarze getroffen hat. Aber wer trifft schon ins Schwarze? Die Liebe ist eine heikle Sache, unsere Gefühle verwirren uns und verirren sich.

Die Hauptakteure in „Komödie der Irrungen“ sind Zwillinge. Kennen Sie welche?

Ich kenne keine, und über Shakespeares Zeit können wir wenig sagen. Das ist das Schöne an der Kunst. Das Dokumentarische bleibt immer an der Tür stehen. Es kommt nicht überall hinein. Die Fantasie schon.

Sind Sie Spezialist für Theaterkomödien?

Nein. Man kann das gar nicht berechnen. Man weiß nicht, worüber man lacht. Es gibt Leute, wenn ich denen auf der Probe zuschaue, amüsiere ich mich köstlich, egal, was sie machen. Komödien können ganz schön schiefgehen, wenn man sich verkalkuliert – und das passiert.

Sind Sie manchmal mit Ihrer Arbeit nicht zufrieden?

Mit dem Wort zufrieden habe ich ein großes Problem. Das klingt nach einem Endpunkt, da kann man sich dann langsam auf den Sarg vorbereiten. Man muss unbedingt immer in Bewegung bleiben.

„Komödie der Irrungen“ handelt auch von Entsetzen, Entgeisterung und Existenzangst. Ein alter Mann trifft die tot geglaubte Mutter seiner zwei Söhne. Der Ruf eines saturierten Geschäftsmanns wird in Zweifel gezogen. Zwei Diener werden fortwährend verwechselt und geprügelt.

Man sagt mir oft nach, ich mache quietschbunte Klamotte. Es sieht aber nur so aus, als würden die Leute Faxen machen oder sich verrenken. Das ist eine Ausdrucksform, über die man vieles erzählen kann.

Sie sind auch Medienkünstler?

Jetzt nicht mehr. Ich habe Probleme mit dem Kino, und fürs Fernsehen habe ich praktisch umsonst gearbeitet. Früher war ich sehr filmbegeistert, aber das bin ich immer weniger. Am Theater ist man freier. Theater hat etwas Pures. Und zum Unterschied vom Fernsehen bin ich im Theater unterstützt worden. Ich finde Theater viel aufregender und zeitgemäßer als Film. Ich kriege im Theater oft nasse Augen.

Ich kriege eher im Kino nasse Augen. Nichts gegen Theater, aber der Film ist doch das jüngere Medium. Klassiker sind nun einmal ein paar hundert Jahre alt. Wem sagen sie heute noch wirklich etwas?

Das kann ja alles wahr sein. Aber die Wurzel, das, wo alles herkommt, das ist doch das Theater! Filme verarbeiten hundertfach Theaterthemen, eben zum Beispiel das Doppelgängermotiv aus „Komödie der Irrungen“. Auch Games kommen vom Theater.

Ist es bedrohlich oder erfreulich, einen Doppelgänger zu haben?

Kommt drauf an, was sich entwickelt. Es kann toll sein oder schrecklich. Mein Doppelgänger kann überall Unfug anrichten und mich diskreditieren. Er kann aber auch ein Engel sein. Ich glaube an Engel.

Tatsächlich? Mit Flügeln und so?

Wie die aussehen, weiß ich nicht.

Bevor Sie die Treppe hinunterfallen, rettet Sie ein Engel?

Oder er schubst mich.

Das wäre dann der Teufel.

Der Teufel war ursprünglich ein Engel.

Sind Sie religiös?

Ich wurde katholisch erzogen. Aber ich würde mich nicht als katholisch bezeichnen. Katholiken haben zu viel Schlechtes gemacht. Trotzdem bin ich ein gläubiger Mensch. Wir glauben, viel zu wissen, und spielen uns auf. Aber es gibt Dinge, von denen wir eben nichts wissen und die uns doch bewegen.

Sie sind von der Schauspielerei ins Regiefach gewechselt. Warum?

Das ist eine komplizierte Geschichte. Ich habe nie daran gedacht, ans Theater zu gehen. Ich war das erste Mal mit 22 Jahren im Theater, im Residenztheater in München. Ich sah Nestroys „Zerrissenen“ mit Walter Schmidinger in der Hauptrolle. Das hat mir unendlich gefallen, die Aufführung hat mich sofort ins Theater hineingezogen.

Theater hat auch die Funktion, Emotionen Raum zu geben, die in unserem Alltag oberflächlich praktisch wegrationalisiert sind. Man schreit nicht, und schon gar nicht wälzt man sich auf dem Boden.

Das ist richtig. Darum mache ich Theater. Die Leute sagen, der Fritsch ist ein Verrückter. Aber nicht ich bin verrückt, sondern wie wir leben, ist verrückt. Wir sind durch Kino und Medien völlig runtergedimmt. Das ist schrecklich und macht das Leben langweilig. In Talkshows sagen einander die Leute die extremsten Dinge, aber sie bleiben dabei ruhig und cool.

Und wie geht's Ihnen damit, dass Sie den ganzen Tag und das halbe Leben mit exaltierten Schauspielern verbringen?

Ich mag ja den starken Ausdruck. Aber nach der Probe fällt mir das Gesicht runter, ich schlurfe nach Haus, lasse die Arme hängen und versuche, jede emotionale Explosion zu meiden. Leider wird das Theater immer mehr reguliert, die Schauspieler sind großem Stress ausgesetzt, sie müssen sehr viel produzieren, verdienen oft sehr wenig. Sie haben keine Chance, verrückt zu sein. Das Theater hat leider keine Lobby mehr. Dabei ist es so wichtig – als Gegengewicht, als freier Raum, wo Entäußerung eben möglich ist. Ich glaube ganz fest ans Theater.

ZUR PERSON, ZUR PREMIERE

Herbert Fritsch, 1951 in Augsburg geboren, spielte an Frank Castorfs Berliner Volksbühne, z. B. in Dostojewskis „Dämonen“ oder „Der Idiot. Fritsch drehte witzige experimentelle Filme („hamlet?X“) und war Medienkünstler. Am Burgtheater zeigte er Molières „Eingebildeten Kranken“ mit Joachim Meyerhoff.

„Komödie der Irrungen“ mit Sebastian Blomberg, Simon Jensen, Klaus Pohl, Mavie Hörbiger hat am 25. 1. im Haupthaus Premiere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2017)

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