Das dekadente Europa tafelt im Verfall

Ach, Europa! (v. li.): Catrin Striebeck, Maria Happel, Sylvie Rohrer, Kirsten Dene, Frida-Lovisa Hamann und Katharina Lorenz
Ach, Europa! (v. li.): Catrin Striebeck, Maria Happel, Sylvie Rohrer, Kirsten Dene, Frida-Lovisa Hamann und Katharina Lorenz(c) APA/BURGTHEATER/GEORG SOULEK (GEORG SOULEK)
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Die Uraufführung des Auftragswerks „Ein europäisches Abendmahl“ im Akademietheater überzeugt durch Konzentration wie auch Vielfalt: Fünf Autorinnen und sechs Schauspielerinnen suchen Antworten auf drängende Fragen.

Wie soll man sich Europa derzeit vorstellen? Reich? Attraktiv? Oder doch dekadent dem Verfall preisgegeben? „Ein europäisches Abendmahl“, am Freitag im Akademietheater von Barbara Frey subtil, subversiv und stellenweise eindringlich inszeniert, signalisiert Endzeit, zumindest mit Martin Zehetgrubers Bühnenbild: Seine Interpretation von Leonardo da Vincis Gemälde „Il Cenacolo“, das dieser für Ludovico Sforza vor 520 Jahren schuf, zu Beginn der europäischen Expansion, ist ein Negativbild. Bei Leonardo sitzt Jesus kurz vor der Passion mit den Jüngern in einem prächtigen Saal an langer Tafel. In starker Perspektive hat man Ausblick auf ideale Landschaft. Höchste abendländische Kunst! Ein Triumph der Renaissance, noch immer mit dem Christentum als Hauptmotiv – das sehen Gläubige gern, die in Mailand Santa Maria delle Grazie besuchen.


Frauen im Schutt. Und was macht Zehetgruber daraus? Fortgesetztes Leid. Die Kassettendecke ist arg lädiert, ungeschützt wurden offenbar über lange Zeit Staub und Steinchen in den ruinierten, menschenleeren Raum hereingeweht, im Schutt stecken noch vereinzelt Sessel. Doch schon kommt Bewegung in die Szene. Ein halbes Dutzend Frauen müht sich mit einer langen Tafel ab, trägt sie von rechts nach links und wieder hinaus. Dann setzt sich eine dieser Damen hin, die erste von fünf Szenen fünf europäischer Autorinnen in diesem Drama beginnt. Kirsten Dene setzt den Anfangsmonolog in Szene, einen scharfsinnigen, harten Text der aus Ungarn stammenden, seit 1990 in Berlin lebenden Autorin Terézia Mora. Dene spielt Mari, eine ältere Frau, eine Studierte, die vor langer Zeit aus dem Osten in den Westen emigriert ist, lange offenbar als U-Boot gelebt hat und noch immer von Ängsten beherrscht wird. Ihr Pass ist abgelaufen, die Tochter studiert in den USA, Mari traut sich kaum noch aus dem Haus, nur zum Einkaufen geht sie noch raus. Doch sie hatte einen Kontakt: Einem jungen Flüchtling hat sie einmal die Woche Deutschunterricht gegeben. Diese Aufgabe hat sie von ihrer Tochter übernommen. Es ist meisterhaft, wie Mora die aktuelle Stimmung wiedergibt, Hoffnungen wie Pessimismus andeutet, Hilfsbereitschaft und kalkulierte Ablehnung mischt. Dene bringt dieses feine Gewebe fabelhaft zur Sprache.

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