Verschollen in Hoffmanns Märchenwald

FOTOPROBE: ´KLEIN ZACHES - OPERATION ZINNOBER´
FOTOPROBE: ´KLEIN ZACHES - OPERATION ZINNOBER´(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Autor Péter Kárpáti und Regisseur Victor Bodo nehmen E.T.A. Hoffmann auseinander: Teils kühn, teils witzig, teils befremdlich. Das Ensemble ist toll, etwa Gábor Biedermann als Punk oder Anja Herden als Fee Rosabelverde.

Der Dichter ist der lateinische ,vates', der wie der Wahnsinnige sieht, was im Konkreten nicht existiert“, schreibt die französische Schriftstellerin Gabrielle Wittkop-Ménardeau in ihrer 1966 erschienenen E.-T.-A.-Hoffmann-Biografie. Das Buch wendet sich gegen viele Urteile über den genialen Dichter: Hoffmann (1776–1822) sei widerspenstig und liberal gewesen, kein typischer Romantiker. Er war auch kein Fantast, sondern ein Satiriker.

Hoffmann, Jurist, Autor, Musiker, Zeichner und Karikaturist, lebte in unruhigen Zeiten. Nach der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen setzten die deutschen Fürsten auf Restauration und Repression. Hoffmann muckte auf und wurde in Etappen ruiniert bzw. trug er selbst zu seinem Niedergang bei. Aber er lebte auch in einer Epoche großen geistigen Aufschwungs; Aufklärung, Naturwissenschaft, Psychologie boten reichlich Inspiration – und ebenso Material zum Polemisieren.

Im Wiener Volkstheater zeigt Victor Bodo mit „Klein Zaches – Operation Zinnober“ nach Hoffmann – Peter Kárpáti hat das Bühnenstück zur Uraufführung geschrieben – wie ein Zwerg an die Macht kommt. Diktatur liegt in der Luft: „Ich würde die Herrn Leibwächter bitten, die Türen zu verschließen und wachsam zu sein – ich möchte nur ungern, dass etwas vorzeitig nach außen sickert“, sagt zu Beginn des Abends der Fürst. An einem Maschendrahtzaun kleben Menschen, unter ihnen die Mutter des Zwerges Klein Zaches. Das Land wurde von Feen und Geistern gesäubert, man huldigt der Aufklärung.

Auch der Kinderfilmhit „Shrek“ beginnt so, Lord Farquaad treibt die Fabelwesen in den Sumpf, zum Ärger des dort hausenden Ogers. Die Bühnenkunst muss achtgeben, dass sie sich im Jugendwahn nicht verrennt und immer mehr schlechte Filme, Popvideos und Popkonzerte fabriziert. Hoffmann wäre zwar idealer Fantasy-Stoff, aber das Theater hat nicht die Mittel dafür, man sieht bloß – wie oft noch? – Trash, chaotische Dreharbeiten und Kameraleute, die spornstreichs hinter Akteuren herlaufen.

Liebende, Sexsklavin und Automat

Aber Bodo ist auch viel eingefallen. Mit seinem wüsten Treiben, das den Schauspielern wieder einmal das Äußerste abverlangt, hat er auch ein durchaus nahe bei Hoffmann siedelndes eigenes Werk geschaffen. Gábor Biedermann ist als Zaches-Zinnober mehr Punk als Zwerg, faul lümmelt er bei wichtigen Kabinett-Sitzungen herum wie ein mürrischer Teenie. Doch blitzschnell schlägt er zu mit dem Charisma und der Frechheit eines Außenseiters – und schon sind die Autoritäten ausgehebelt. Die heftigsten Metamorphosen sind Evi Kehrstephan als Candida (vielleicht nach Voltaires „Candide“) verordnet worden: die idealistische Liebende, das rebellische Girlie, das dem Vater eins auswischen will, aber sich nicht recht traut, der Automat und die Sexsklavin, Kehrstephan ist großartig. Stefan Suske spielt den karrieregeilen Wissenschaftler, der mit einer aus Kot hergestellten Droge den braven Balthasar in einen psychedelischen Rausch versetzt und sich selber gleich mit. Balthasar (Christoph Rothenbuchner) und Fabian (Luka Vlatkovic), der Dichter und der Musiker, sind zwei der vielen Alter Egos des Autors Hoffmann. Balthasar, der Poet und geistreiche Analytiker des Wurm-Wesens (ein Stück Polit-Satire), ist einer der wenigen, der Klein Zaches' Ränke durchschaut.

Dieser ist auch ein Muttersöhnchen, er strampelt und hampelt an den Fäden einer ehrgeizigen Fee, deren Macht durch die Abschaffung der Geister zerstört wurde und die sich nun rächt, indem sie den Staat unterhöhlt: Anja Herden ist fabelhaft als Rosabelverde, bei Hoffmann eine Fusion aus Fee und Aristokratin. Frauen behaupten im Hintergrund des Männermachtspiels ihre Position, zum Beispiel Claudia Sabitzer als opportunistische Staatssekretärin, die sich an Neo-Chef Zinnober ranschmeißt – obwohl dieser sie zur Vorzimmerdame degradiert hat. Bald darauf serviert Zinnober mit stalinistischer Brutalität den Innenminister (Thomas Frank) ab. Politik ist längst Sache geheimer Zirkel. Als nächster ist der Großfürst/Kleinfürst dran: Jan Thümer parodiert so geschmackvoll wie treffend den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

Hoffmann überwuchert Ungarn-Satire

Auf ihn zielt diese Kreation der Ungarn Bodo und Kárpáti, aber die Aufführung ist keine Ungarn-Satire, dazu ist Hoffmann zu mächtig. In seinem schaurigen Märchenwald kann man sich leicht verirren, das ist Bodo auch passiert. Nur einer behält im Tohuwabohu die Oberhand, der Zauberer (Günter Franzmeier), dieser gerät höchstens über Mozart in Ekstase. Das Orchester hat viel zu tun. Und gegen Schluss singt das Ensemble Offenbachs Ballade von „Klein Zack“.

In der Oper wirkt Hoffmanns Kosmos reduziert, das Erotische ist wichtiger als in den Originalgeschichten. Wie wäre es, wenn diese VT-Aufführung weniger unruhig, klarer gestaltet und mit weniger Videokapriolen ausgestattet wäre: Wahnsinn mit etwas mehr Methode. Ein Meisterwerk? Vielleicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2017)

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