Kasimir und Karoline beim Totentanz

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Mutig hat Philipp Preuss im Volkstheater Ödön von Horváths Drama inszeniert - erfindungsreich, bizarr, mit starken Paarungen, aber auch verkrampft in manchen Details.

Die ersten untypischen Lacher kriegt Karoline (Stefanie Reinsperger) bereits früh in der Inszenierung dieses Volksstücks am Volkstheater, das am Freitag in Wien Premiere hatte: Sie blickt an ihrem üppigen Körper herab, mustert dann den fülligen Leib ihres Gegenübers, als wolle sie das gemeinsame Gewicht schätzen, und sagt: „Vielleicht sind wir zu schwer füreinander.“ Dieser Schlüsselsatz aus Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“, der meist mit ungeheurer Melancholie gesprochen wird, erhält hier durch Regisseur Philipp Preuss eine fast leichtsinnige Leichtigkeit, die aber wirkungsvoll mit der Serie nachfolgender Schrecklichkeiten kontrastiert.

Karoline will ihren Verlobten Kasimir (Rainer Galke) dazu bringen, sich mit ihr auf dem Oktoberfest zu vergnügen, vor allem will sie mit der Achterbahn fahren. Doch Kasimir sträubt sich. Eben erst wurde er als Chauffeur abgebaut, ist nun arbeitslos. Das scheint besonders hart in Deutschland um 1930, so kurz nach dem Ersten Weltkrieg, mitten in der Weltwirtschaftskrise, unmittelbar vor der Machtergreifung der Nazis. Spielerisch bewältigen die beiden anfangs ihren Konflikt, der Vertreter des Prekariats und die Tochter pensionierter Kleinbürger, die ihr gern als Mann einen Beamten mit Pensionsberechtigung verschafft hätten, nun aber akzeptieren müssen, dass sie aus ihrer Sicht einen Versager aus der Arbeiterklasse genommen hat.

Kasimir und Karoline herzen sich, sie stoßen einander gleich wieder ab und können dann doch nicht voneinander lassen. Ähnlich, aber von Anfang an ganz ins Negative gekehrt, ist die Beziehung zwischen dem Merkl Franz (Kaspar Locher), einem Kleinkriminellen, und „seiner“ Erna (Birgit Stöger). Er misshandelt diese Erniedrigte und Beleidigteaufs Roheste. Franz frisst Erdnüsse. Wenn er sie knackt, klingt es wie Knochenbrechen. Einmal legt er eine Nuss unter Ernas Hand und steigt drauf, dass es kracht. Dann schleift er Erna an den Haaren fort, wirft sie in eine Rinne, wo sie lange Zeit regungslos liegen bleibt.

Preuss kostet die Extreme aus, die man aus diesem Text tatsächlich herauslesen kann. Das Lustige, das Lächerliche und das Unerträgliche lösen sich spielerisch ab. Der Text (auch zahlreiche Varianten sind berücksichtigt) wurde angereichert: weniger gut etwa durch Spektakeltheorien des kapitalismuskritischen Situationisten Guy Debord, etwas besser durch Anspielungen auf Horváths Stücke „Glaube Liebe Hoffnung“ und „Zur schönen Aussicht“ sowie einen toten Soldaten aus dem Roman „Ein Kind unserer Zeit“. Karolines Bruder ist im Krieg gefallen, er kehrt hier als Zombie in der Fantasie der Überlebenden zurück. Das ergibt mehr Schatten. Auch Zuschneider Eugen Schürzinger (Sebastian Klein), der einen intensiven Flirt mit Karoline beginnt, taucht am Ende als Untoter auf, als Offizier des Alten Fritz, dem ins Herz geschossen wurde. Die leichten Mädchen Elli (Seyneb Saleh) und Maria (Nadine Quittner), die lasziv tanzen wie Rap-Queens, sind am Ende wie für einen Totentanz geschminkt. Aberwitzig auch die Auftritte von Thomas Frank als Direktor eines Gruselkabinetts. Er spielt gekonnt ein frühe Form des Herrn Karl - aber noch viel tiefer.

Ähnliches bieten die „besseren“ Bürger, Rauch und Speer, die auf der Wiesn Sex suchen. Wenn diese älteren Herren schweinisch über die jungen Frauen reden, sieht man den Text von Horváth nur auf Übertiteln einer Videowand. Die beiden Freier (Michael Abendroth und Lukas Holzhausen), die in miesester Absicht von Volksnähe reden, rülpsen dazu ausgiebig. Das trifft die Situation. Und gesoffen wird symbolisch. Da setzt bei fast allen Beteiligten ein Glucksen ein, das Mitleid mit ihren Lebern erregt.

Diese Inszenierung ist tatsächlich mutig, bizarr, erfindungsreich. Gelegentlich wird dabei übertrieben, dann spürt man Verkrampfung. Das Bühnenbild von Ramallah Aubrecht hingegen wirkt in seiner Simplizität überzeugend: Als Symbol fürs Oktoberfest gilt eine Art Karussell aus Hunderten Schnüren mit Tausenden LEDs für Farbspiele. Dazu Musik, die irgendwo zwischen Varieté und Kaufhaus angesiedelt ist, außer wenn Lana Del Rey „Video Games“ singt. Drinnen im Zentrum des Fests sitzt über Abgründen der Gruseldirektor wie eine menschenfressende Spinne. Sein entstelltes Gesicht ist groß auf einer Videowand zu sehen. Dort sieht man auch formatfüllend Lüstlinge und Perverse sowie den Schürzinger und Karoline beim Achterbahnfahren. Statt Eis essen sie anzüglich Bananen. Wenn alle dem Zeppelin nachschauen, diesem großen Zeichen entschwundener Freiheit, erscheint das auf dem Screen aus der Sicht des Luftschiffs. Nur Kasimir, der Untergeher, sitzt meist isoliert an der Rampe.

Viel Aufwand im Off, wie das sonst bei älteren Wilden der Volksbühne Ost üblich ist. Eine der tollsten Szenen hier: Franz auf Diebstour – eine Kamera folgt ihm bis in die Garderobe, wo er sich an Mänteln bedient. Natürlich wird er gefasst. Längst ist das Stück wirr zu Kasimir und Erna oder Karoline und Eugen mutiert. Angeführt von Galke, Reinsperger, Stöger, Locher und Klein bietet das Ensemble aber Beachtliches. Der zweistündige Abend ist gewöhnungsbedürftig, die Mühe lohnt sich dann doch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2017)

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