Gottes Sohn im Bandenkrieg

(c) Herwig PRAMMER
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Wiedersehen mit „Jesus Christ Superstar“, Kultmusical aus den Siebzigerjahren. Werner Sobotka modernisierte das Werk: Dabei ging viel vom Sinn verloren.

Mit manchen geliebten Werken ist es wie mit verflossenen Affären. Sieht man die einst Vergötterten nach Jahrzehnten wieder, kann man sich nicht mehr vorstellen, was einen verzauberte. „Jesus Christ Superstar“, derzeit im Wiener Ronacher zu sehen, ist so ein Fall. Das frühe Werk der späteren Musical-Magnaten Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Text) war ein Teil der 1968er-Bewegung: Revolution für die Braveren gewissermaßen.

Um die Rockoper gab es heftige Diskussionen, nach dem Motto: Darf man das? Besonders für Aufregung sorgte, dass Judas kein verabscheuungswürdiger Verbrecher und Verräter war, sondern ein zweifelnder Gläubiger. In dieser Interpretation war er, könnte man sagen, fundamentalistischer als Jesus, und warf diesem vor, die Lehre zu verwässern und eine Prostituierte (Maria Magdalena) zu begnadigen. Im Ronacher ist eine semikonzertante Fassung zu sehen, Werner Sobotka hat inszeniert. Er hält von Spiritualität anscheinend nicht viel und misstraut dem, zugegeben, etwas kitschigen Plot. Zu Beginn sieht man altmeisterliche Abbildungen von Jesus Christus im Video. Auf der Bühne ereignet sich allerdings ein rabiater Bandenkrieg.

Kaiphas planscht mit leichten Mädchen

Die jungen Tänzer und Sänger verwandeln sich blitzschnell – aus dem fröhlichen Hippie-Volk werden bunt gekleidete Apostel, Plastik-Palmzweige schwingende Anhänger Jesu und gemeine Verfolger des Gottessohnes. Ex-Rudolf Drew Sarich spielt ihn, weiß gekleidet, kahlrasiert und tätowiert. Gegenspieler Judas (Sasha di Capri) trägt schwarz und dunkle Mähne. Marjan Shaki darf als Maria Magdalena als einzige für einige sanfte Töne sorgen. Dirigent Koen Schoots heizt das Orchester, das auf der Bühne platziert ist und die Bewegungsfreiheit der Akteure stark einschränkt, zu heißen Beats an. Spätestens wenn der Hohepriester Kaiphas mit leicht bekleideten Mädchen im Schwimmbad herumtobt und die Jünger, die wie Touristen in Kalifornien ausschauen, beim letzten Abendmahl ihr Fladenbrot kauen, ist klar, dass hier nicht an weihevolle Atmosphäre gedacht ist. Interessant ist, wie Jesus sich vor dem Martyrium drücken will, bevor er verhaftet wird. Verzweifelt fleht er seinen Vater an, ihm die Qual zu ersparen – und diesem Jesus glaubt man aufs Wort: Gleich wird er sich in den Himmel zurück beamen.

Vermutlich hat es Entertainment-Serienfabrikant Sobotka gut gemeint. So ähnlich wie Klassiker-Interpreten, bei denen man heute manchmal den Eindruck hat, sie hätten nach der Reclamheft-Lektüre gefunden: „Teufel, wer versteht diesen Schmus heute noch! Da muss alles radikal verändert werden.“ Die Schnitte sind dann oft brutal.

Das Publikum jubelte. Immerhin, die Vorstellung funktioniert tadellos. Der englische Text ist allerdings weithin unverständlich. Die edlen Absichten der Herren Webber und Rice dahin gestellt, aber eines ist sicher: „Jesus Christ Superstar“ – das übrigens nicht so viele eingängige Melodien hat wie es in der Erinnerung scheint, eigentlich nur eine wie alle anderen Webber-Musicals – war zurecht Kult: Weil es die Botschaft von Heil und Erlösung in eine nachvollziehbare und begeisternde Form brachte, zu einer Zeit, da viele an eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft glaubten. Taucht man die Geschichte in Mainstream-Pop, entfernt man den Sinn. Das ist vielleicht egal, weil viele der Religion fernstehen, aber Spiritualität ist wie bei Gospels zentraler Teil der Wirkung von „Jesus Christ Superstar“. Und davon fehlt im Ronacher zuviel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2017)

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