Melk: Keine Blutorgie, Aufklärung

Fusion möglich. Katharina Stemberger steht Religion fern, Alexander Hauer war Schüler in Melk.
Fusion möglich. Katharina Stemberger steht Religion fern, Alexander Hauer war Schüler in Melk.Katharina Rossboth
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Melk-Intendant Alexander Hauer und Schauspielerin Katharina Stemberger über "Die Bartholomäusnacht", Gott und Königinnen.

Als jüngstes von zehn Kindern eines Zimmerers und einer Organistin wurde Alexander Hauer 1968 in Sankt Oswald im Waldviertel geboren. Nach dem Stiftsgymnasium in Melk studierte er Germanistik und Theaterwissenschaften in Wien. 60 Inszenierungen hat er herausgebracht, auch in Deutschland, zuletzt widmete er sich im Schlosstheater Schönbrunn mit Studenten der Musikunversität Tschaikowskis "Eugen Onegin". Doch Hauers wahres Imperium liegt in Melk, wo er seit 16 Jahren Intendant der Sommerspiele ist. Inzwischen betreut der bescheiden wirkende Herr, der noch immer einen Hauch von Boh me ausstrahlt, mehrere weitere Festivals in der Region, darunter die Internationalen Barocktage in Stift Melk. Insgesamt ist er für über 100 Veranstaltungen zuständig.

Viele Rätsel. In Melk bringt Hauer heuer die "Bartholomäusnacht" heraus: Paris 1572, die Hochzeit der katholischen Marguerite de Valois mit dem protestantischen König Heinrich von Navarra soll für die Versöhnung der beiden Kirchen sorgen. Stattdessen bricht eine Blutorgie unter den Gläubigen aus, die zur Vertreibung der Hugenotten führt. Was interessiert Hauer an dem Stoff, den der verstorbene französische Regiestar Patrice Ch reau 1994 in nicht unumstrittener Schwelgerei in der Schönheit des Martyriums verfilmt hat? "Ch reau bezog sich auf den Roman La Reine Margot von Alexandre Dumas, der ein bisschen eine Räuberpistole ist, aber interessante Figuren zeichnet", erzählt Hauer. Das Schwierige dabei sei, dass man sich nicht auf Faktizität berufen könne. ",Die Bartholomäusnacht war ein historisches Ereignis, für die Bühne muss man das relativieren, weil wir dem Publikum nicht weismachen können, dass wir die Wahrheit erzählen." Sehr lang habe er sich mit dem Thema beschäftigt, meint Hauer, "und wir müssen achtgeben, dass wir nicht mit den Moralbegriffen von heute auf diese Zeit blicken, das muss man reflektieren". Hauer geht es vor allem darum, wie ein Volksfuror entsteht: "Für mich ist entscheidend, welcher Funke reicht, um das Massaker auszulösen. Wie geht das vor sich? Wann läuft der Mob los?" Wie viele Menschen damals ums Leben gekommen sind, steht nicht fest. "Waren es 20.000 bis 30.000 oder nur 3000 wie andere Quellen sagen oder gar 50.000?" (Hauer). Eine Hauptrolle in der "Bartholomäusnacht" wird jedenfalls Publikumsliebling Katharina Stemberger spielen, sie war in Melk bereits in Shaws "Heiliger Johanna" und in "Die Päpstin" zu sehen.

Königinnen. Jetzt ist die dämonische Dame Katharina von Medici an der Reihe. "Eine Typ-Besetzung für mich", grinst Stemberger, " No acting required das hat Robert Mitchum als Anmerkung in die Drehbücher der Filme geschrieben, in denen er gespielt hat. Man wusste lang nicht, was die drei Buchstaben NAR bedeuten." Wie steht Stemberger zu Königinnen? "Was mir als Erstes dazu einfällt, ist eine große Unfreiwilligkeit", überlegt sie, "das ist einer der undankbarsten Jobs, die man überhaupt erben kann. Man kann es sich nicht aussuchen, wie Bundeskanzler oder Bundespräsident. Interessant wird es für mich, wenn Menschen, die in diese Königs- oder Königinnenposition hineingeboren wurden, sie gestalten wollen."

Schöne Kleider, Staatsbankette interessieren die stets politisch engagierte Stemberger nicht: "Mich beschäftigt: Was macht man mit so einer Funktion? Man muss Verantwortung übernehmen, Visionen haben, mutig sein, Hoffnung verbreiten können." Die uns heute am nächsten stehende Königin ist Elizabeth II. von England: "Mit Katharina von Medici kann man sie in der Machtfülle sicher nicht vergleichen", wehrt Stemberger ab, "aber Elizabeth II. hat in dem Spielfeld, in dem sie regiert hat bzw. regiert, vom schrumpfenden britischen Weltreich zum Commonwealth, sicher einen gewissen überzeugenden und guten Grundton angeschlagen."

Was schätzt Stemberger an Melk? "Man stellt sich dort den wirklich großen Fragen und es gibt nicht immer Antworten darauf. War Katharina von Medici eine Intrigantin, die in einer Art Staatsstreich zuließ, dass Menschen ausgerottet wurden, oder war sie um einen Friedensprozess bemüht, der schrecklich gescheitert ist? Wir forschen." Stemberger selbst kommt aus einer Familie, die der Religion fernsteht. "Zuerst habe ich mich mit Händen und Füßen gewehrt, in dieses Setting in Melk zu kommen, das war ein echter Clash für mich", erzählt sie, "aber dann habe ich diese Patres kennengelernt, die aufgeklärter waren als meine linksintellektuellen Kaffeehausfreunde und sie haben mich sehr beeindruckt." Hauer, Stiftszögling wie Josef Hader oder der Musiker Otto Lechner, braucht keine Einführung in katholisches Denken. Das Melker-Sommerspiele-Zelt, die Wachau-Arena, steht direkt im Schatten des Stifts. Mischt dieses sich in die Programmierung ein? "Nein, das würde das Stift ganz langweilig finden", betont Hauer.

Wie hält er es mit der Religion? "Ich komme aus einem religiös geprägten Elternhaus, das aber auch sehr offen war. Ich habe im Stift Melk positive Erlebnisse gehabt", erläutert Hauer, "Ich habe Meinungsfreiheit erlebt und sogar, dass religiöse Provokation diskutiert werden konnte hier gab es weder körperlichen noch geistigen Missbrauch. Ich habe im Stift großartige Persönlichkeiten kennengelernt, die weniger darauf aus waren, dass man sich religiös weiterentwickelt, sondern sich damit beschäftigt haben: Wo liegen die Stärken einer Persönlichkeit? Meine ersten Theaterprojekte wurden stark unterstützt." Existiert Gott? "Ich glaube an das Unbeschreibliche, was immer das auch ist", sagt Hauer: "Die Religion ist einfach ein gutes philosophisches Programm für die Welt und das Stift ist für mich ein spiritueller Ort. Ich persönlich brauche das Jenseitige nicht um spirituell sein zu können." Wie bringt man nun ein Massaker auf die Bühne in einer lauen Sommernacht? "Das Publikum wird sicher nicht mit Bildern von einer Blutorgie nach Hause gehen. Das war voriges Jahr bei der ,Odyssee auch nicht der Fall. Wir haben eine Tötungsaktion ohne Waffen gezeigt. Wir werden auch für die "Bartholomäusnacht" starke Bilder finden", ist Hauer überzeugt.

Schlachtfeld Glaube. Religion ist für viele Menschen heutzutage vor allem ein Schlachtfeld. Wie kommt das? Stemberger: "Religion hat viel mit Identität zu tun. Wenn sie eine solche Wichtigkeit bekommt, dass ich dafür bereit bin, großes Unrecht zu begehen oder gar zu morden, dann geht es nicht so sehr um meine Beziehung zu Gott, sondern um anhaltende Konflikte. Menschen auf beiden Seiten haben derartige Verluste erlebt, dass sie nur mehr vom Hass vorwärts getrieben werden." Hauer: "Heinrich von Navarra war ein Religionshopper sondergleichen. Er wechselte mehrmals zwischen Katholizismus und Protestantismus. Da spielen strategische Motive eine Rolle, wirkliche Überzeugungen wohl nicht."

Wie kommt man mit einem literarisch ambitionierten Programm im oft konservativen niederösterreichischen Theatersommer durch, der sich zwar qualititativ verbessert hat, aber noch immer gern dem derberen Amüsement dient? Hauer: "Die Menschen sind gar nicht so konservativ. Sie gehen bei vielen Dingen mit. Man merkt, dass hier ständig Fremde waren und sind. Es gibt 500.000 Touristen jährlich im Stift, bis zu 1, 5 Millionen in der Stadt. Trotzdem hat Melk seinen Kern nicht verloren."
Seit 1160 gebe es die Schule im Stift: "Seit Jahrhunderten wurde hier der Boden vorbereitet, ein schöner Schwimmteich für alle möglichen Arten der geistigen Auseinandersetzung." Auch über die Flüchtlingsthematik die in der "Bartholomäusnacht" eine wichtige Rolle spielt. Wie steht Stemberger dazu? "Alle reden jetzt von der Angst der Menschen, für die habe ich Verständnis, aber sie breitet sich aus wie ein Krebsgeschwür und ist völlig undifferenziert", meint sie. Und Hauer fügt hinzu: "Viel wichtiger wäre doch die Frage: Wie schafft es die Gesellschaft in der Vielfalt mit unterschiedlichen Standpunkten zu leben?"

Tipp

Sommerspiele Melk. Einführung für die Aufführung "Bartholomäusnacht" von Alexander Hauer und Stefan Lack am 10. Mai (freier Eintritt). Vorstellungen mit Katharina Stemberger, Kajetan Dick, Giuseppe Rizzo, Thomas Dapoz, Dagmar Bernhard, u. a. vom 14. Juni bis 5. August auf der Wachau-Arena-Bühne; dazu sehenswert: "Freyheit durch Bildung" 500 Jahre Reformation auf der Schallaburg (bis 5. 11.).

Birdland. Andy Hallwaxx jährliche Musikrevue in Melk mit Hits von Beatles, Pink Floyd, Ambros & Co. (ab 6. 7.).

("Kultur Magazin", Print-Ausgabe, 14.4.2017)

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